Hamburg. Allround-Dirigent Pablo Heras-Casado und das belgische Ensemble Anima Eterna Brugge mit Brahms und Bruckner in der Elbphilharmonie.
Dass dieser vom Schleswig-Holstein Musik Festival angesetzte Abend nicht den spätromantischen Konventionen entsprechen würde, war relativ flott klar. Stehen Großformate von Brahms und erst recht von Bruckner auf dem Programm, könnte man, mehr oder weniger pauschal organisiert, eine sinfonische Breitseite erwarten, satt ausgepinselte Streicherflächen, die behutsam choreografierte Verschmelzung der Holzbläser-Klangfarben, und natürlich die alles mit Macht überstrahlenden Blechbläser-Sätze für die Höhepunkte, ohne die eine Bruckner-Sinfonie keine Bruckner-Sinfonie wäre.
Doch dann kommt, energisch federnd, Pablo Heras-Casado auf die Bühne des Großen Saals der Elbphilharmonie, wo Anima Eterna Brugge, ausgerüstet mit entsprechenden Instrumenten, auf ihn wartet.
Konzertkritik: Alles klingt anders
Ein interessanter, neugieriger Allround-Dirigent mit Kompetenz und Renommee vor allem in der Älteren Musik, dazu ein belgisches Ensemble, das für klugen Umgang mit den Prinzipien der historischen Aufführungspraxis bekannt ist. Aber bislang eindeutig nicht für dieses Repertoire. Brahms und Bruckner sind von diesem Umgang mit dem Material weit entfernt. Heras-Casado gibt den ersten Einsatz, Brahms’ „Tragische Ouvertüre“, das verschattete Geschwisterwerk zur „Akademischen Festouvertüre“, beginnt, und alles klingt: anders. Energisch federnd nämlich. Gegen den gängigen Strich.
Für Heras-Casado ist der schon eher späte Brahms kein verklärender Epochen-Senior, sondern eher noch eine nervös unruhige Verlängerung von Beethovens gereiftem Stürmen und Drängen. Er dirigiert den Sturz in dieses Stück aufbrausend und sehnig, mit schroff gesetzten Akzenten und losgelöst von der eher beschaulich ablaufenden Melancholie, für die Brahms oft so gern geliebt wird. „Tragisch“ ist hier sehr relativ, es geht eher bockig und widerspenstig zu. In den schlanker klingenden Holzbläsern verschmilzt und amalgamiert nur wenig, das ist wohl Absicht.
Heras-Casado will dekonstruieren
Heras-Casado stellt die Details nebeneinander und sorgt so für eine geänderte Durchhörbarkeit. Dass die Streicher ein leichtes Defizit im Ton-Fundament aufweisen, wird sich beim Bruckner ungleich deutlicher bemerkbar machen, weil es dort ungewohnt konkret zugeht.
Denn Heras-Casado will dekonstruieren, erhellen statt beleuchten. Also keine dieser gottesfürchtigen Bruckner-Kathedralen voller Weihrauch errichten, in denen sich das Publikum ehrfurchtsvoll verlieren darf, bis auch der letzte Akkord-Nachhall verklungen ist. Er möchte die Baupläne erläutern, die Fugen im Gemäuer zeigen, die Strukturen der Themensäulen, die Bruckner so manisch zur Diskussion stellt, wieder und wieder und sicherheitshalber dann noch ein Mal.
Kein verwirrendes Fassungs-Durcheinander
Ein typisch kniffliges Bruckner-Problem hat Heras-Casado mit der Siebenten allerdings nicht: Es gibt dort kein verwirrendes Fassungs-Durcheinander zu klären, weil der berüchtigt selbstunsichere Komponist gern nachträglich viel änderte oder sogar verschlimmbesserte; einzig über den Beckenschlag im Zentrum des vorwiegend dunkel wagnernden Adagios gibt es leise Experten-Uneinigkeit. Heras-Casado nimmt ihn, wie die meisten, dankbar mit, als Unterstreichung dieses aufleuchtenden Moments, in dem der Himmel kurz, aber weit aufbricht.
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Den Auftakt in den Kopfsatz gestaltet Heras-Casado rheingoldig fein. Hauchleises Streichersäuseln, aus dem sich eine Melodielinie herausblüht. Das Schwelgen wird entkernt und gestrafft. Deswegen verzichtet Heras-Casado wohl auch auf das Auskosten der Generalpausen, mit denen Bruckner seine Gottesdienst-Lektionen portioniert. Pathosreduziert grübelt er sich durch den zweiten Satz, die Wagnertuben bekommen ihre Chance, wie eine kurz ausgeliehene „Götterdämmerung“-Requisite zu wirken und nutzen sie anständig, aber nicht berauschend.
Konzertkritik: Bruckner wurde originell umgesetzt
Wie „original“ Bruckner das alles war, darüber könnte man sich streiten. Originell war es auf jeden Fall, der Applaus nach dem effektvoll eskalierenden Finale war entsprechend stark. Für 2023 ist Heras-Casado als Debütant für die Bayreuther Festspiele gebucht, für die Neuinszenierung vom „Parsifal“, jenes „Bühnenweihfestspiels“, das die Raum- und Zeitwerdung von Klang, Religion und Philosophie so stundenlang zelebriert wie keine andere Oper. Dieser Abend in der Elbphilharmonie mag ein Vorgeschmack darauf gewesen sein, wie sehr man bei seinen Auftritten umdenken muss und umhören kann.
Konzert: Anima Eterna und Pablo Heras-Casado gastieren mit Bruckners 7. am 25.8. beim Musikfest Bremen, Glocke Bremen.