Hamburg. Beim Hamburger Label „Grosse Freiheit“ veröffentlicht der Leipziger sein neues Soloalbum. Wie er sich für Toleranz und Demokratie einsetzt.

Als Frontmann der A-cappella-Band Die Prinzen ist er Teil der deutschen Pop-Geschichte. Sebastian Krumbiegel, 1966 in Leipzig geboren und vor zwölf Jahren mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet, war und ist ein engagierter Streiter wider soziale Ungerechtigkeit, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Nach seinem bis dato letzten Soloalbum „Ein Mann, sein Klavier und ihr“ (2014) erscheint auf dem Hamburger Label „Grosse Freiheit“, unterstützt von dessen Chef Gunther Buskies (Bass und Gitarre), an diesem Freitag sein neues Album „Aufstehen, Weitermachen“.

Das klingt nicht nur kämpferischer, es ist für den Sänger, Pianisten, Komponisten und Texter auch „optimistischer“. Im Titellied singt der Musiker, der sich im Abendblatt mal als „bekennender Grundgesetz-Ultra“ bezeichnet hat, über seine Kindheit und seine Mutter, die ihn unterstützt habe, Autoritäten zu hinterfragen. Obwohl die Platte nicht vordergründig kämpferisch ist, bezieht Krumbiegel im Interview Stellung gegen Rechtsextremismus. Im Osten gibt er teilweise Konzerte unter Polizeischutz.

Polizeischutz für Krumbiegel: „Der Osten ist eine unrühmliche Avantgarde, wenn wir nicht aufpassen“

Hamburger Abendblatt: In Ihrem Album-Opener „Voll auf Risiko“ lautet der Refrain: „Ihr habt mich geliebt, ihr habt mich gehasst/Bejubelt oder ausgebuht sowieso/Ich fühl mich frei/Und gehe weiter voll auf Risiko.“ Worin liegt denn das größere Risiko: Solch ein Album aufzunehmen oder es unters Volk zu bringen?

Sebastian Krumbiegel: „Voll auf Risiko“ meine ich eher so, dass ich mein Ding mache. Ich möchte gern meine eigene Zielgruppe sein. Und ich möchte nicht darauf schielen, was irgendjemandem gefallen könnte, das ist eben mein Risiko. Den Hass, der mir zurzeit vermehrt auf Social Media entgegenschlägt – ich bin ja Shitstorm-erprobt –, den versuche ich zu ignorieren. Notfalls lege ich mich eben auch mit meinem Publikum an, wenn ich nicht gut finde, was die sagen.

Trotz des Überfalls zweier später verurteilter Nazi-Skins 2003 auf Sie in Ihrer Heimatstadt Leipzig?

Ich habe daran lange gekaut und musste mir da meinen Kiez zurückholen, wo das passiert ist. Doch das ist für mich kein Thema mehr. Eher ein Thema ist, was ich jetzt bei der neuen Platte versucht habe zu machen: über Dinge singen, die mich beeinflusst oder geprägt haben. Zum Beispiel das Lied „Nicht noch mal“, in dem ich über meine Omi singe, die mir vom 9. November 1938 erzählt hat und mir gesagt hat, sie habe damals danebengestanden und nichts gemacht. Ich glaube, ich habe noch nie so ehrliche Lieder geschrieben. Und das geht eben von „Aufstehen, Weitermachen“ über „Tante Dagmar“ bis zu „Der Führer hätte sich gefreut“.

Ist das auch der Grund dafür, dass sich bei Ihnen, wie Sie es mal formuliert haben, politischer Aktivismus und Kunst mischen und Sie in Clubs im Osten touren, insbesondere vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen?

Auf jeden Fall. Für mich ist das ein Prozess, zu lernen oder zu verstehen, dass Kunst, meine Musik am besten funktioniert, wenn es mit einer Haltung oder mit einem Bekenntnis Hand in Hand geht. Dass ich mehr möchte als nur unterhalten. Ich bin in erster Linie Sänger und Musiker, aber ich weiß eben auch, dass es gut ist, das zu nutzen, um mehr zu sagen oder über mehr zu singen als über Sonnenschein und Strand, Liebe, Triebe, Herzschmerz.

Die Prinzen und Krumbiegel „Immer gegen das Unrecht in der Welt kämpfen“

Glauben Sie, dass Sie Menschen davon abhalten können, die AfD oder andere extreme Parteien zu wählen?

Ich will mich da gar nicht überschätzen, wirklich nicht. Es haben schon über Generationen Leute versucht, mit Musik die Welt zu retten. Die Hippies haben in den 60ern über Peace und Love gegen den Vietnamkrieg angesungen und haben es am Ende doch nicht so richtig geschafft. Aber ein bisschen haben sie doch bewegt. Man mag mir Blauäugigkeit vorwerfen, aber ich bin davon überzeugt, wir können alle etwas tun. Als kürzlich die beiden Wahlergebnisse im Osten kamen, da wurde mir gesagt: „Sie haben so viel gemacht in letzter Zeit, es hat ja doch nichts gebracht!“ Und da habe ich nur gefragt, was das soll? Vielleicht wäre alles noch viel schlimmer geworden, wenn es nicht so viele Leute gäbe, die sich klar gegen Rechtsextreme positionieren. Meine Kernbotschaft ist: „Leute weitermachen, nicht aufhören!“ Und um den alten Prinzen-Song „Mein bester Freund“ zu zitieren: „Immer gegen das Unrecht in der Welt kämpfen“.

Können Sie uns Norddeutschen erklären, wie er tickt ...

... der Ossi ...?

... der Sachse! Auch angesichts der Tatsache, dass in Sachsen wie in Thüringen die AfD bei Wählern unter 24 Jahren die mit Abstand führende Partei geworden ist?

Es ist, meine ich, falsch, den Fokus darauf zu setzen. Das ist kein vordergründig sächsisches, Thüringer oder Brandenburger Phänomen. Ebenso wenig nur ein deutsches Phänomen. Ich glaube, es ist ein europäisches, sogar weltweites Phänomen. Bei all dem, wie sich in den letzten Jahren die Welt sehr verändert hat, wie wir von Krise zu Krise, von Krieg zu Krieg straucheln und merken, dass irgendwas nicht mehr stimmt und dass die Welt aus den Fugen zu geraten scheint. Als die Pandemie endlich überwunden schien, ging dieser verdammte Ukrainekrieg los, und das hat dann wiederum eine Rezession nach sich gezogen, Inflation und Unsicherheit. Und eben auch Angst. Und ich glaube, dass Ostdeutschland eine unrühmliche Avantgarde ist und gerade das vorführt, was über die gesamte Republik schwappen wird, wenn wir nicht aufpassen.

Krumbiegel: „Optimismus oder Zuversicht, die dürfen wir uns nicht nehmen lassen“

In kleinen Städten und Dörfern fehlen, das haben Soziologen und Politologen konstatiert, schon jetzt Demokratie stabilisierende Vereine und Veranstalter, die sich für wenig Geld oder ehrenamtlich engagieren.

Das ist genau das, wo wir ansetzen müssen. Genau dort zu investieren in Kultur, in Bildung und Infrastruktur. Aber Optimismus oder Zuversicht, die sollen wir uns nicht, die dürfen wir uns nicht nehmen lassen! Wir müssen die Leute unterstützen, die genau diese Zuversicht haben und für den Erhalt der Demokratie kämpfen.

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Sind das für Sie die Beweggründe, auch in kleine Clubs und Kulturzentren zu gehen, trotz drohender Anfeindungen?

Ich hatte einen Auftritt unter Polizeischutz in Greifswald, der Veranstalter wollte die Veranstaltung absagen. Und da hab ich gesagt: Nein! Das war ein ausverkauftes kleines Ding mit rund 100 Leuten, und die hatten Angst, dass es Rabatz gibt, weil es da vorher im Netz irgendwelche Drohungen gab. Aber dann haben wir das durchgezogen, und das ging eben nur mit Polizeischutz. Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, wir dürfen uns nicht vorschreiben lassen, was wir an Kunst und Kultur oder allgemeinen Veranstaltungen machen oder nicht machen. Deswegen war das für mich ganz wichtig, die Show durchzuziehen, das klingt jetzt viel heldenhafter als es war. Wir müssen uns unser freies Leben bewahren.

Sebastian Krumbiegel: Album „Aufstehen, Weitermachen!“ CD ca. 18 Euro, Vinyl ca. 27 Euro; shoptapeterecords.com; Buch: „Meine Stimme. Zwischen Haltung und Unterhaltung.“ Ventil Verlag, 200 Seiten, 20 Euro