Hamburg. Der Frontmann der Band Die Prinzen zeigt Haltung. Mit dem Programm „Courage zeigen“ gastiert er am Sonnabend im Kulturhaus Süderelbe.
Erfolgreiche Künstler sind in der Regel weit gereiste Menschen. Sebastian Krumbiegel ist in den vergangenen zwei Jahren längst nicht so viel gereist, wie von ihm erhofft. Hamburg spielte und spielt dabei jedoch durchaus eine Rolle. Erst Ende Februar, erzählt der Frontmann der deutschen Pop-Lieblinge Die Prinzen aus Leipzig, sei er Gast in der Elbphilharmonie gewesen.
Nicht auf der Bühne, sondern als Besucher bei Damon Albarn, dem Kopf der britischen Rockband Blur. In die Hansestadt kam Krumbiegel aber auch aus traurigem Anlass: Am Tag nach dem Konzert besuchte er die Trauerfeier für Andreas Herbig, den kürzlich gestorbenen Hamburger Musikproduzenten, der außer mit Udo Lindenberg und anderen auch mit den Prinzen gearbeitet hatte.
Anti-Rassismus-Wochen: Krumbiegel über neue Pläne
Die gibt es noch, da müssen sich Fans keine Sorgen machen. Die Prinzen, mit sechs Millionen verkauften Tonträgern eine der erfolgreichsten deutschen Gruppen, sind längst Teil der deutschen Pop-Geschichte. Anfang der 90er-Jahre hatten sie im Boogie Park Studio in Ottensen ihre ersten vier Alben aufgenommen, etwa „Küssen verboten“ und „Alles nur geklaut“. „Hamburg ist für mich zweite Heimat“, sagt Krumbiegel. 2021 haben Die Prinzen zum 30. Band-Geburtstag trotz Corona ihr zwölftes Studioalbum „Krone der Schöpfung“ eingespielt, mithilfe von Video-Schalten und Streamings.
„Ich hoffe, dass wir dieses Jahr wieder anfangen können, fürchte aber, dass viel erst im Frühjahr und Herbst 2023 stattfinden wird“, sagt Krumbiegel im Abendblatt-Gespräch zu Tourneeplänen. Das erste offizielle Konzert dieses Jahres ist für den 11. Juni in Büsum auf der Seebühne terminiert. Als Band standen Die Prinzen zuletzt im Oktober 2019 gemeinsam auf großer Bühne. Das schmerze, so Krumbiegel.
Krumbiegel wieder in Hamburg zu Gast
Umso mehr freut es ihn, „endlich wieder loslegen zu dürfen“. Zumindest als Solokünstler. Und wie im vergangenen September führt Krumbiegel der Weg nach Hamburg. Damals spielte er mit seiner musikalischen Lesung „Courage zeigen“ als Teil des Harbour Front Festivals tatsächlich im Großen Saal der Elbphilharmonie. Gäste wie Polit-Plauderer Gregor Gysi (Die Linke) und ARD-Moderatorin Anja Reschke („Panorama“) sorgten für zusätzlichen Gesprächsstoff.
Seitdem waren Krumbiegels Auftrittstermine überschaubar. Anfang November gab der 55-Jährige im Musical „Der Eierwurf von Halle“ in Jan Böhmermanns satirischem „ZDF Magazin Royale“ dem Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl Statur. Der hatte 1991 bei einer Protestaktion in der Stadt an der Saale versucht, Demonstranten nach einer Attacke auf ihn eigenhändig festzuhalten.
Krumbiegel trat im Kulturhaus Süderelbe auf
Dass Krumbiegel am Sonnabend statt im repräsentativen Konzerthaus am Hafen im kleinen Kulturhaus Süderelbe in einer Aula solo auftritt, verwundert zunächst, spricht indes für die Bodenständigkeit des Ober-Prinzen. Mit „Courage zeigen“ enden im Kulturzentrum in Neugraben die jährlich stattfindenden „Internationalen Wochen gegen Rassismus“; für den Kulturhaus-Programmgestalter Johannes Kirchberg waren sie Anlass, bei Krumbiegels Hamburger Agentur einen Auftritt anzufragen. Es klappte.
„Courage zeigen“ – Untertitel „Warum ein Leben mit Haltung gut tut“ – hat Sebastian Krumbiegel als Buch vor fünf Jahren veröffentlicht. Das Thema liegt ihm nicht erst am Herzen, seit er 2003 in einem Leipziger Park von zwei Männern, die sich im späteren Gerichtsprozess als Neonazis entpuppten, brutal zusammengeschlagen wurde. In seinem sehr persönlich gefärbten Sachbuch hat Krumbiegel eine Zwischenbilanz seines Lebens gezogen und verknüpft seine Biografie mit Ereignissen der Zeitgeschichte. Wann habe ich mich für etwas stark gemacht? Wann fehlten mir Mut und Haltung? Und was habe ich daraus gelernt? Derlei Fragen stellt sich der Autor.
„Jeder Abend ist anders“
Was er daraus vorträgt? „Jeder Abend ist anders“, sagt Krumbiegel. „Mal will das Publikum mehr Geschichten hören, mal mehr Songs.“ Er versucht die jeweilige Stimmung im Saal zu spüren und beidem Rechnung zu tragen, ob am Lesetisch oder am Klavier.
Aus seinen Alltagserlebnissen in der untergegangenen DDR werde er im Kulturhaus Süderelbe voraussichtlich ein Buch-Kapitel aus dem Herbst 1989 vortragen. Damals war er, das langjährige, aus Disziplinargründen geschasste Mitglied des Thomanerchores, 23 Jahre alt. Als am 9. Oktober 1989 rund 70.000 Menschen in Leipzig auf dem Ring demonstrierten und die Parole „Wir sind das Volk“ geboren wurde, fehlte er. „Weil ich selbst gesehen hatte, wie Polizei und Kampfgruppen bei der Montags-Demonstration eine Woche zuvor den Protest brutal niedergeknüppelt haben“, erinnert sich Krumbiegel.
Krumbiegel erhielt den Bundesverdienstorden
Nicht nur er hatte Angst vor der „chinesischen Lösung“ - das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking lag erst vier Monate zurück. Doch von Leipzig aus erfasste die „Friedliche Revolution“ dann den gesamten Osten Deutschlands und machte Krumbiegel endgültig zu einem politisch denkenden Menschen.
Musiker und Popstar, Zweifler und Aufklärer, Sebastian Krumbiegel ist von allem etwas. Für sein Engagement gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und soziale Ungerechtigkeiten erhielt er 2012 den Bundesverdienstorden und Humanismus-Preis für Zivilcourage und soziales Engagement. Er unterstützte das „Aktionsbündnis Landmine.de“ in Vietnam und reiste ins nordafrikanische Mali, um dort die Flüchtlingsproblematik zu dokumentieren. Zweimal, in den Jahren 2009 und 2010, war der parteilose Krumbiegel Wahlmann in der Bundesversammlung, jeweils nominiert von der SPD Sachsen – im Freistaat eher Splitter- denn große Volkspartei.
"Ich bin ein bekennender Grundgesetz-Ultra"
Ob er als Musiker, die doch eigentlich zum „Anti-Establishment“ zählen, nicht zu nah bei den Mächtigen gewesen sei, wurde er gefragt - und fragte sich das selbst: „Heute“, entgegnet Sebastian Krumbiegel, „reklamieren doch die Leute von der AfD, gegen den Staat sein zu wollen. Deswegen behaupte ich von mir gern: Ich bin ein bekennender Grundgesetz-Ultra - vielleicht auch wegen meiner Sozialisation in der DDR.“ Seiner Geburtsstadt Leipzig blieb er treu.
Das von Krumbiegel und den Prinzen 1998 mitinitiierte Konzert am Leipziger Völkerschlachtdenkmal unter dem Motto „Courage zeigen“ gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verhinderte den Aufmarsch von Neonazis. Als Festival gab und gibt es „Leipzig zeigt Courage“ bis heute, in diesem Jahr wieder am 2. Juli auf dem Gelände des über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Kulturzentrums Moritzbastei. Hamburg, Leipzig und Berlin, diese drei Städte sieht Krumbiegel in Deutschland von der Tradition und Offenheit her als „Hochburgen an Internationalität“. Passend dazu wird er am 8. April in der Hamburger Kulturfabrik Kampnagel einer der Gäste beim „EuropaCamp“ der „Zeit“-Stiftung sein.
„Alte Männer befehlen den Krieg"
Für den Abend im Kulturhaus Süderelbe hat Krumbiegel auch das Lied „Die Welt ist unbezahlbar“ ausgewählt, einen alten Song, der angesichts von Leid, Tod und Zerstörung in der Ukraine eine neue Bedeutung bekommen hat. Mit Verweis auf Putin sagt Krumbiegel: „Alte Männer befehlen den Krieg und schicken junge Männer dorthin, um zu sterben.“ Nationalismus und Rassismus zeige sich seiner Auffassung nach aber nicht nur in Person des russischen Präsidenten.
- Beklemmend und beglückend: „dreizehn +13 Gedichte“
- Konzert, Theater, Kabarett – die Kultur-Tipps der Woche
- „Joshua Cohens Sätze sind sprachliche Wimmelbilder“
Krumbiegel erinnert daran, dass die EU-Staaten Polen und Ungarn und ihre Ministerpräsidenten, die jetzt Hunderttausende von Geflüchteten aus der Ukraine aufnehmen, noch bis vor wenigen Wochen ihre Grenzen für Geflüchtete aus anderen Ländern jahrelang verschlossen und einen rechtsnationalen und ausländerfeindlichen Kurs gefahren hätten. Inklusive Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit.
Anti-Rassismus-Wochen: Krumbiegel gibt Anstöße
In Anbetracht der scheinbar ausweglosen Lage möchte Krumbiegel nicht „als der große Moralisierer“ rüberkommen: „Es ist eine Gratwanderung“, sagt er. „Ich kann nur Anstöße geben und hoffen, die Leute anzuknipsen.“ Freud und Leid eines engagierten Bürgers und Künstlers.
S. Krumbiegel: „Courage zeigen“ Sa 26.3., 19.30, Kulturhaus Süderelbe/Aula der Schule (S Neugraben), Am Johannesland 2, Karten zu 22,-: T. 796 72 22; info@kulturhaus-suederelbe.de