Lübeck. Seltsame Dramaturgie, matte erste Konzerthälfte, und mit dem Pausenwein klappt‘s leider auch nicht so recht beim ersten Finalteil des SHMF.

Das Catering muss noch bissl üben. Bis die Gäste in der Lübecker Musik- und Kongresshalle (MuK) sich in der Schlange nach vorne gestanden haben, um zu erfahren, hier sei nur Ausgabe, ihre Bestellung müssten sie an einer anderen Kasse aufgeben, ertönt schon der erste Gong. Die Konzertpause beim ersten von zwei Abschlusskonzerten des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) fällt sportlich kurz aus. So bleibt das Glas mit dem halb kühlen Weißwein auf dem Weg zurück in den Saal halb voll auf einer der Theken stehen. Eine Unverschämtheit sei diese Pause, grollt jemand.

Schade: Allerlei Merkwürdigkeiten beim SHMF-Abschlusskonzert in Lübeck

Sie ist nicht die einzige Merkwürdigkeit an diesem Abend. Da beschäftigt sich das SHMF einen Sommer lang schwerpunktmäßig mit Venedig und programmiert zum Abschluss Mozart. Mozart? Venedig? Irgendwie klingelt da nichts. Ah, deswegen haben sie eine Instrumentierung von Maderna vorangestellt: Das Programmheft weiß, der italienische Neutöner war gebürtiger Venezianer. Dramaturgischer Bezug gerettet.

Die NDR Radiophilharmonie spielt unter dem neuen Chefdirigenten Stanislav Kochanovsky in kleiner Besetzung die „Tre Pezzi per orchestra“, in denen Maderna Cembalomusik des frühbarocken Komponisten Girolamo Frescobaldi bearbeitet hat. Und was soll man sagen, es ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Wer im Ohr hat, wie etwa ein Anton Webern 1935 das „Ricercar“ von Bach mit Bassklarinette und Posaune instrumentiert, die Dimensionen vervielfältigt und dem barocken Werk eine ganz andere Gestalt verliehen hat, dem oder der kommen die „Tre Pezzi“ wie eine müde Fingerübung vor. Auch die Interpretation wirkt unentschieden: Die Streicher sparen zunächst an Vibrato wie bei Barockmusik, aber die Artikulation der vielen ineinander verschachtelten Motive, die für die Kompositionsweise der Epoche charakteristisch sind, zeichnet nicht klar genug.

SHMF-Abschlusskonzert: Milde Enttäuschung stellt sich ein

Es folgt Mozarts Sinfonie g-Moll KV 183, genannt „die kleine g-Moll“ – weil es noch die andere, spätere g-Moll-Sinfonie gibt, die mit dem berühmten lyrisch-klagenden Anfang. Die „Kleine“ aber ist nicht zu unterschätzen: Kompakt, virtuos und hochdramatisch angelegt, verlangt sie nach Atemlosigkeit, nach Materialgeräusch, nach verstörenden Pausen. Nichts davon in Lübeck; unter Kochanovskys Stabführung erklingt eine wohlabgemessene Fassung von glatter Eleganz. Milde Enttäuschung stellt sich ein. Und dann klappt es nicht mal mit dem Schöntrinken in der Pause.

Der zweite Konzertteil bringt ahnungsweise Licht ins Dunkel der Progammierung. Da ist ja noch der Schleswig-Holstein Festival Chor, der sollte wohl noch mal ran. Also erklingt Mozarts „Requiem“ mitten im Sommer, in einem weltlichen Konzertsaal. Und weil das Requiem nun mal rund eine Stunde kurz ist, musste eine erste Konzerthälfte her. Das ist alles nicht verboten, verrät aber eine gelinde gesagt pragmatische Herangehensweise an ein Sakralwerk.

Der Schleswig-Holstein Festival Chor macht seine Sache ausgezeichnet

Pragmatisch lief offenbar auch das Casting der Solostimmen ab. Von einer historisch informierten Mozart-Interpretationskultur, wie sie längst Eingang in den Mainstream gefunden hat – schlanke Stimmführung, sprechende Artikulation, bewusste Phrasierungen – ist bei diesem Quartett wenig zu hören. Die Sopranistin Elsa Benoit singt ihren ersten Einsatz mit Schleudervibrato. Und der Tenor Pietro Adaíni mag sich für italienischen Belcanto empfehlen, für Mozart knödelt er zu sehr.

Der Chor dagegen macht seine Sache ausgezeichnet. Nicolas Fink hat bei der Einstudierung ganze Arbeit geleistet. Das große Ensemble singt durchhörbar und dynamisch variabel. Dass die Soprane in der Höhe bisweilen etwas angestrengt wirken, ist bei einem Laienchor mehr als verzeihlich. Auch das Orchester musiziert deutlich lebendiger, Klarinetten und Posaunen prägen den dunklen Klang des Spätwerks.

Musik an der frischen Hamburger Luft

Rein musikalisch versöhnt diese zweite Hälfte mit dem halb garen Abend. Das Publikum kommt ohnehin. Das Festival meldet für die diesjährige Ausgabe eine Auslastung von 95 Prozent. 203 Konzerte an 71 Orten, rund verkaufte 180.000 Karten. Nächstes Jahr soll die musikalische Reise nach Istanbul gehen. Na dann.