Hamburg. Die Lokalhelden spielten ein großzügiges Set vor großer Kulisse. Kannte man alles, mochte man alles. Dauerzustand bei Deichkind eben.

Deichkind könnte und müsste, na klar, permanent im Sommer auf Tour sein. Das sieht die ultrasmarte, hochkomische und tatsächlich derbe unterhaltsame Elektro-Hip-Hop-Unternehmung derzeit zumindest genauso. Als sie beinah exakt vor einem Jahr zuletzt auf der Trabrennbahn auftrat, stand der Termin für 2024 schon fest.

Nun also wieder: „99 Bierkanister“. Damit beginnen Deichkind-Konzerte auch 2024, wie ja auch die Tour wie das 2023 erschienene Album immer noch „Neues vom Dauerzustand“-Tour heißt. Dachte man zuerst. Würde ja passen: Der Dauerzustand bei Deichkind-Konzerten ist: Alarmzustand, unbedingt positiver, bis in die letzte Reihe. Lines mitrappen, Fäuste gen Himmel schleudern, das muss man, weil: „So ’ne Musik“.

Konzert von Deichkind auf der Trabrennnbahn
Die Musiker von Deichkind stehen fast exakt ein Jahr nach dem letzten Auftritt wieder an der Trabrennbahn in Hamburg-Bahrenfeld auf der Bühne. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Deichkind in Hamburg: Genau derselbe Spaß wie 2023, nur diesmal mit ganz Bergedorf

Und so ’ne Schlange beim Einlass: Diesmal stand nicht halb, sondern wohl tatsächlich GANZ Bergedorf auf der Gästeliste. Deichkind ist die großzügigste Band der Welt. Auch dafür darf man sie, am Freitagabend kurzzeitig zähneknirschend, loben.

Die zweite Recherche ergab übrigens, dass die 2024er-Tour den Titel „Kids in meinem Alter“ trägt. Man legte die Freitag-Setlist übrigens mal eher nicht neben die von 2023. Klarer Fall, aus der Erinnerung, von „Das wird schon die exakt selbe sein“, sieht man mal vom neuen Song „Könnt ihr noch?“ ab.  Es war aber halt auch genau derselbe Spaß: das Bedeutung schaffende und vernebelnde Dada-Gewitter von Philipp „Kryptic Joe“ Grütering, Sebastian „Porky“ Dürre und Henning Besser nebst Bühnen-Entourage, die Beats, der pumpende Elektrosound.

Konzert von Deichkind auf der Trabrennnbahn
Die Show, die Deichkind beim Hamburg-Konzert zum Besten gab, war mal wieder spektakulär. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Deichkind in Hamburg: Faschings-Tanzbärengruppe völlig entfesselt

Dazu, man genoss es auf die ein oder andere Art schon bei „So ’ne Musik“, das durchaus geschmackvolle Bühnenbild mit Dreh-Quadern und Statisten, die nur manchmal nichts anderes zu tun hatten, als mit spitz zulaufenden Helmen den Hintergrund eines parallel abrappenden Trios abzugeben. Meist tobten aber alle zusammen als Faschings-Tanzbärentruppe über die Bühne. Mittelalte Männer, völlig entfesselt. Sie nehmen, was sie kriegen können.

Deichkind ist immer auch ein umfassendes Kunstprojekt gewesen; mit crazy, vielschichtigen, klug erdachten Videoclips und einer nie vernachlässigten Bühnenästhetik. Besonders gelungen ist die bei „Arbeit nervt“.

Bei „Auch im Bentley wird geweint“ (der Rodeoritt!) spendete das Publikum maximal im hintersten Kämmerlein des Freitagabend-Ausgeh-Bewusstseins eine Runde Mitleid für die Rich Kids. „In der Natur“, „Wer sagt denn das“, „Bon Voyage“ (so lange her schon), „Leider geil“, „Richtig gutes Zeug“ – wer da nicht das gemeinschaftliche Live-Erlebnis „Deichkind-Remmidemmi-Halligalli“ in sich aufsteigen spürte (womöglich mit der Lust auf ungesunde Getränke und andere Nervengifte), der lebt wohl immer nach dem Motto „Keine Party“.

Deichkind in Hamburg: „Wir wollen keine sexistische Scheiße“

Vor „Wutboy“ gab’s die zeitgemäße Ansage („Wir wollen keine sexistische Scheiße, gebt aufeinander acht“) und dann den dicken Moshpit. Heimspieler Porky („Ich bin immer aufgeregt vor Hamburg-Shows, so viele wichtige Leute hier“) machte sein Zeugs riesig, trug Deichkind-Couture, also meist bunteste Lappen – wie Kryptic Joe, man geht ja gerne im Partnerlook. Letzterer hatte mit „Kids in meinem Alter“ (ein Karrierehoch, von Style und Text her und so) wieder seinen größten Auftritt; das Kind im Manne mit den schnellen Versen. Roger Rekless, die jodelversierte Rap-Verstärkung Deichkinds, brachte „Leider geil“ die prollige Härte, die es eigentlich eh schon hatte.

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Es gibt bei Deichkind-Konzerten längst Rituale. Bei „Roll das Fass rein“ rollt stets leibhaftig ein Fass durch die ersten Reihen. Man konnte sich das auch diesmal nur so vorstellen, dass dessen rappende Besatzung den Biersinn der Aktion wieder mal am allermeisten feierte. Wenigstens hinterher, ist ja auch erst mal anstrengend und eng da drin. „Niveau weshalb warum“ bewährte sich als Partykracher; die Trabrennbahn kann schon ganz gut bouncen. Zumindest, wenn Deichkind im Haus ist. „Bei so viel Hedonismus platzt einem doch der Kragen“? Ach was.

Zum Schluss dann wie immer „Remmidemmi“. Die Hamburger Nacht war eröffnet.