Hamburg. In der Elbphilharmonie gastierte die NDR Radiophilharmonie unter dem designierten Chefdirigenten Stanislav Kochanovsky. Hochdramatisch!
Sehr weit weg, ganz im Untergrund, murmeln die Kontrabässe. Die Töne wechseln leise hin und zurück, aber die winzige Figur hat eine Gestalt. Die Klarinette legt einen runden, weichen Klang darüber – und dann weicht die Basslinie schon ab von der klassisch-westlichen Tonleiter und biegt in ein Halbtonintervall ein, das Ohr und Herz gleichermaßen fesselt mit seinem schmerzvollen Fragegestus. Willkommen im Kosmos Bartók.
So klingt der Anfang der „Zwei Bilder für Orchester“, die der Komponist 1910 schrieb. Kosmos Bartók, wie treffend ist doch das gleichlautende Motto des Festivals, das in diesen Tagen in der Elbphilharmonie läuft. Aus der überwältigenden Vielfalt von Bartóks Oeuvre zwischen traditioneller Volksmusik und den bisweilen hoch abstrakten Streichquartetten bildet das sinfonische Programm, mit dem die NDR Radiophilharmonie in die Elbphilharmonie gekommen ist, sozusagen die bürgerliche Mitte.
Kosmos Bartók: Einen schäfchenweichen Teppich rollt die Harfe zu Beginn aus
Das in Hannover ansässige Orchester gehört zu den hauseigenen Klangkörpern, mit denen der NDR sein Festival bestreitet. An diesem Abend ist es mit seinem designierten Chefdirigenten Stanislav Kochanovsky da und mit diversen Hamburger Gästen, darunter der Konzertmeister Anton Barakhovsky.
Den Anfang macht das späteste Werk des Programms, Bartóks Zweites Violinkonzert von Ende der 30er-Jahre. Einen schäfchenweichen Teppich rollt die Harfe zu Beginn für die Sologeige aus, auf dem sich diese in einer fast romantischen Sehnsuchtsgeste nach oben schwingt. Aber dabei bleibt es nicht, in kürzester Zeit wird die Musik hochdramatisch, und der Solist hat jede Menge rasender Läufe, Doppelgriffe und zorniger Motivfetzen in höchster Höhe.
- Knust Hamburg: Meute-Mitglied und Brosda präsentieren Instrument des Jahres
- Auch LaLeLu: A-cappella-Szene geht mit Video gegen AfD an
- Kampnagel: „Stomp“ ist Komik, Krach, Getöse mit Körpereinsatz
Der Geiger Valeriy Sokolov fährt über diesen Beginn mit breitem Bogen, hohem Tempo und etwas pauschal hinweg. Der Eindruck kreuzt sich seltsam mit seiner bescheidenen, sensiblen Ausstrahlung. Im Lauf des ersten Satzes spielt er sich frei, aber in der Kadenz vernuschelt er manches, trotz seiner brillanten Geigentechnik. Diese Art von Ungenauigkeit verträgt Bartók, der doch bis ins kleinste rhythmische Detail vorschreibt, was er will, nicht gut. Im zauberisch traumverlorenen zweiten Satz schöpft Sokolov dann die fantastischen farblichen Möglichkeiten seiner Geige voll aus.
Das Konzert schließt mit der Konzert-Suite „Der wunderbare Mandarin“. Die ist so sprechend und bildhaft, dass vor dem inneren Auge Szene und Figuren lebendig werden, der Straßenlärm in den jagenden Rhythmen, das Werben des (Freuden-)Mädchens im biegsamen Klarinettenton und die Atemlosigkeit der Tänze in den Staccati aus der Blech-Abteilung. Auch wenn schon mal eine der vielen kleinen raffinierten Noten unter den Tisch fällt, der knackfrischen Lebendigkeit tut das keinen Abbruch.
Nach den Klängen dieses Kosmos kann man süchtig werden.