Hamburg. Unter ihrem Pseudonym schreibt die Hamburger Autorin jetzt auch Kriminalromane. Am 7. November liest sie beim Krimifestival.

Als die Mordermittlerin Carla Seidel sich von Hamburg ins beschauliche Wendland versetzen ließ, wollte sie vor allem eines: Ruhe, wieder zu sich selbst finden, sich gemeinsam mit ihrer hochsensiblen Tochter Lana ein neues Leben aufbauen. Ihre Ehe in Hamburg mit ihrem gewalttätigen Mann vergessen, eine Ehe, die sie fast das Leben gekostet hätte, wäre sie nicht von ihrer Tochter gerettet worden.

Doch meist kommt es anders, als man denkt, das Wendland ist schließlich keine reine Idylle. Auch hier werden Menschen ermordet. So wie Julius. Gerade 18 Jahre alt, sitzt er auf einer Holzbank am Waldrand, adrett gekleidet, gepflegtes Äußeres, in den Augenhöhlen stecken statt der Augäpfel kleine Spiegelscherben.

Krimifestival Hamburg: Claudia Wuttke – nach 5030 Seiten Liebe jetzt ein grausamer Mord

Ein fulminanter Auftakt für Sia Pionteks Krimidebüt „Die Sehenden und die Toten“. Sia Piontek? Heißt eigentlich Claudia Wuttke, Autorin ist sie und Schreibmentorin, das Pseudonym war eine Verlagsidee, neues Genre, neuer Autorenname, wie es in der Branche so oft gehandhabt wird. „Aber ich finde, Sia Piontek passt auch besser zu meiner Ermittlerin und dem Wendland als Claudia Wuttke“, sagt die Autorin. Mit ihrer Tochter lebt sie in Hamburg und eben im Wendland, was Autorin und literarische Figur in gewisser Weise eint. Und den Ort des Geschehens nahezu zwangsläufig erschienen ließ.

Bis Claudia Wuttke als Sia Piontek zum Krimi fand, hat es allerdings Jahre gedauert. Zwar trieb sie die Leidenschaft für das Spannungsgenre seit jeher um, aber sie traute sich einfach nicht, auch einmal einen Krimi zu schreiben. Schrieb stattdessen unter verschiedenen Pseudonymen mehrere Liebesromane. 5030 veröffentlichte Seiten hat sie laut ihrer Homepage bislang geschrieben, zehn Bücher.

Die Ermittlerin rätselt: Warum wurde der Junge so furchtbar zugerichtet?

Die Angst sollte ihr vor zwei Jahren genommen werden. „Es war der 20. August, als mich eine Freundin anrief und im Laufe des Gesprächs meinte, jetzt müsse ich langsam wirklich mal einen Kriminalroman schreiben.“ Was ein Telefonat ändern kann? Alles. Am nächsten Morgen waren sieben Seiten Exposé fertig geschrieben, Claudia Wuttkes erster Kriminalroman „Die Sehenden und die Toten“ begann, Gestalt anzunehmen.

Darin steht Carla Seidel vor einem Rätsel: Warum wurde der junge Julius derart zugerichtet? Was sollen die Scherben in den Augenhöhlen symbolisieren? Was sollte er nicht mehr sehen? Geht es um Liebe, Eifersucht, unbändige Wut, gar Hass? Zudem gibt es keine DNA-Spuren auf dem Körper der Leiche, sie wurde offenbar mit einem chemischen Mittel gründlich gesäubert. Und der Fundort der Leiche ist nicht der Tatort, was die Ermittlungen auch nicht einfacher macht. Immerhin ist die Identität des Toten schnell klar, es handelt sich um einen seit mehreren Tagen vermissten Jungen. Als Carlas Tochter Lana bei einer Schulkameradin ein Tattoo entdeckt, wie es auch der Tote auf seinem Oberschenkel trug, beginnen die Ermittlungen Fahrt aufzunehmen. Und Mutter wie Tochter geraten unversehens in eine lebensgefährliche Situation.

Buchcover
Sia Piontek: „Die Sehenden und die Toten“, Goldmann, 416 Seiten, 17 Euro. © Penguin Random House Verlagsgruppe | Penguin Random House Verlagsgruppe

Sia Piontek entwickelt ihre Geschichte sorgsam, mit erzählerischer Bedachtsamkeit. Genau beobachtet sind die Charaktere, lebendig die Figuren gezeichnet, versehen mit kleinen humoristischen Strichen, die Spannung steigert die Autorin kontinuierlich bis zum Finale. „Die Sehenden und die Toten“ ist eine packende Geschichte, die von Macht, Besitzstreben und bedingungsloser Liebe erzählt, aber eben auch von Perspektivlosigkeit und der durchaus verzweifelten Sinnsuche junger Menschen in einer unpersönlich wahrgenommenen digitalisierten Welt. Die Sehnsucht nach dem Analogen.

Mehr Kultur

Und der Roman erzählt auch davon, dass selbst das Wendland als Fluchtort wahrlich nur sehr bedingt taugt. Da steht dann am Ende dieser starken Kriminalgeschichte der perfekte Cliffhanger. Man will unbedingt wissen, wie es in Band zwei weitergeht. Mehr kann man von einem Debüt wohl nicht erwarten.

Sia Piontek liest am 7.11.2024 beim 17. Hamburger Krimifestival auf Kampnagel. Vvk.-Start ist der 29.8.24