Hamburg. Hamburgs nächster Philharmoniker-Chefdirigent gab ein Konzert in der Elbphilharmonie – aber mit dem NDR-Orchester.

Buchstäblich fremddirigiert hat Omer Meir Wellber zwar nicht, denn das NDR Elbphilharmonie Orchester hatte er bereits vor seinem Taktstock. Doch vor seinem Amtsantritt als Philharmoniker-Chefdirigent im Herbst 2025 wird Wellber nach jetzigem Kalender-Wissensstand nicht mehr in einem Hamburger Konzerthaus zu sehen und zu hören sein.

Spannung also, Neugierde und angehobener Adrenalinpegel wohl auch im Großen Saal, wie er sich hier, beim örtlichen Mitbewerber um die Publikumsgunst, schlägt und gibt. Auch, weil dieses Programm nicht nur auf den ersten Blick interessant eigenwillig daherkam: die „andere“ Vertonung des „Pelléas et Mélisande“-Stoffs, eben nicht von Debussy, sondern von Fauré; Ravels rasant perlendes Klavierkonzert als Kontrast; und eine der gern sträflich unter Wert betrachteten frühen Schubert-Sinfonien, die froh-forsche Dritte des gerade mal 18-jährigen Wieners.

Homogen, aufeinander abgestimmt war da nur wenig, aber: Reibung, Hitze – nie verkehrt, wenn man als der Bald-Neue in der Stadt schon mal bella figura machen und vorglühen möchte.

Omer Meir Wellber in der Elbphilharmonie: Ein Dirigent will weiter nach oben

Die größere, raumgreifendere Show hob sich Wellber für den späteren Abend auf. In Faurés Bühnenmusik wurde das Halbschattige und Verblümte von ihm wattig, seidenweich und mit märchengerechter Poesie aus dem Orchester herausgestreichelt. Keine hastigen Bewegungen, lieblich und dezent, nirgends scharfe Kanten, alles floss, wurde von Wellber mit ebenso ein- wie ausladenden Gesten elegant kredenzt, mit der Wunschkonzert-bekannten „Sicilienne“ als Wiedererkennungswert und Ohrwürmchen.

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Wie flott der Pianist Kirill Gerstein unfallfrei durch das mit Stolperakzenten gespickte Ravel-Konzert kommen wollte, überließ Wellber anschließend weitgehend ihm. Schön, wie kleinteilig präzise Gerstein dabei zu Werke gehen konnte, ohne ins Trudeln zu geraten. Nicht ganz so schön, dass dabei die eine oder andere charmant von Ravel hineinkomponierte Pointe im Orchester allzu fix als Kollateral-Idee abgefertigt wurde. Der fürs Bezaubern unerlässliche Ruhepuls im salonbluesig angehauchten Mittelsatz war bei Gersteins Interpretation arg weit oben.

Solist Kirill Gerstein lieferte eine bravouröse Zugabe.
Solist Kirill Gerstein lieferte eine bravouröse Zugabe. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Das wirkte schon beim Hineintasten in diese Träumerei ernüchternd, geradezu sachlich, und ging an der Zerbrechlichkeit dieser Musik eher achtlos vorbei. Da sternenstaubte nur sehr wenig. Im Finale fuhr Gerstein seine beeindruckende Technik noch vehementer und virtuoser aus als zu Beginn und legte auch noch einen Chopin-Walzer als eine ohne Wenns und Abers bravouröse Zugabe drauf.

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Mit Schubert ist es wie mit Haydn-Sinfonien: lauwarm und halb wach abgeliefert, sind sie schrecklich, uninteressant und gut entbehrlich. Bei seinem Blick auf die Dritte hatte Wellber deswegen vor allem im Sinn, bloß nichts anbrennen zu lassen. Also mehr historische Informations-Offensive à la Harnoncourt und Järvi statt gepflegter Konventionsbewahrung.

Mit didaktischem Spaß – hereinspaziert, Herrschaften, diese Schuberts sind viel kontraststärker und besser als ihr Hausaufgaben-Ruf! – und großem Eifer tobte er gerade in das Allegro des Kopfsatzes hinein, holte mit energisch federnder Körpersprache knackiges Temperament aus der Partitur. Im Trio des Menuetts nahm er immer wieder für einige Walzerdrehungen das Tempo heraus. Nicht nur diese Musik ist ernst zu nehmen, sollte das Aufbrausen ins Finale wohl bedeuten, die hat schon große Ziele. Was sie offenkundig mit ihrem Dirigenten dieses Abends gemein hat.

Das Konzert wird am 19.4., 19.30 Uhr, in der Lübecker Musik- und Kongresshalle sowie am 21.4., 11 Uhr, in der Elbphilharmonie wiederholt, dann auch live auf NDR Kultur. Evtl. Restkarten.