Hamburg. Der US-Saxofonist und seine Band mit fast zwei Stunden Spiritual Jazz. Viele waren begeistert, manche hielten sich die Ohren zu.

Was ist denn da los? Eine Besucherin steigt, bevor sie den Saal mitten im Konzert verlässt, auf die Bühne und spricht mit dem Mann am Mischpult. Später wird auch der Verantwortliche am zweiten Mischpult im Parkett von einem Besucher angesprochen, der immer wieder verärgert auf seine Ohren zeigt. Einzelne im Großen Saal der Elbphilharmonie halten sich die Ohren zu oder besorgen sich Ohrstöpsel im Foyer. Offensichtlich ist es manchem deutlich zu laut beim Konzert von Saxofonist Kenny Garrett.

Natürlich werden hier keine Grenzwerte überschritten und ist das Ganze auch nicht vergleichbar mit den Dezibelattacken, die einst Motörhead durch die Hallen jagte, aber lauter als sonst in der Elbphilharmonie gewohnt ist es eben schon. Verantwortlich dafür ist allerdings niemand aus dem erfahrenen Elbphilharmonie-Team, Garrett hat Mitglieder seiner Tourcrew an den Mischpulten. Und dann geht er auch gleich frontal und spielt als Opener ein etwa 20-minütiges Stück auf hohem Energielevel. Schlagzeug, Percussion, Bass, Piano (geht zunächst teilweise unter), Gesang, Saxofon: Das entfaltet einen Druck, der nichts mit gemütlichem Chill-out-Jazz zu tun hat, darauf muss man sich erst mal einlassen, zumal auch die Abmischung der Instrumente anfangs nicht so recht gelingt.

Elbphilharmonie: Publikumsbeschwerden bei Kenny Garrett im Großen Saal

„Sounds from the Ancestors“ heißt das aktuelle Album des 63-Jährigen, mit dessen Kompositionen er sein Elbphilharmonie-Debüt gibt. Es geht um musikalische Wurzeln, die hier ebenso aus dem Gospel und Blues kommen wie aus der afrikanischen Heimat der Sklaven, die einst nach Amerika verschleppt wurden. Bei Kenny Garrett münden all diese Einflüsse in einen Spiritual Jazz, der an Größen wie John Coltrane und Pharoah Sanders erinnert. Doch Garrett ist nicht nur ein Suchender oder gar ein Prediger, ihm geht es auch um die Lebensfreude, den Tanz, die Euphorie.

Und so nimmt der Mann mit der Mütze, der einst bei Miles Davis spielte und auch mit Legenden wie Art Blakey und Woody Shaw zusammengearbeitet hat, immer wieder Kontakt zum Publikum auf, animiert es zum Singen und Klatschen, und viele machen da gerne mit, lassen sich vom Groove anstecken, gegen Ende wird im Saal sogar vereinzelt getanzt.

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Ein Ende, das Kenny Garrett immer wieder herauszögert. Um Zugaben muss er nicht lange gebeten werden, insgesamt dreimal lässt er seine Musikerinnen und Musiker einzeln und sehr ausführlich abgehen. Das zieht sich dann doch. Aber: Viele feiern das, manche sogar direkt vor der Bühne und mit gezücktem Handy, um diese Ganz-nah-Momente festzuhalten. Ein schönes, hochenergetisches Konzert – für manche nur leider etwas zu laut.