Hamburg. Der erste Teil des Doppelschlags mit „Angels“ und dem ganzen Rest: Robbie open air, da konnte gar nichts schiefgehen. Oder doch?
Der fantastische Robbie Williams war also zurück in Hamburg. Und einmal mehr in der Stadt, nach zuletzt mit Brimborium und Hallo und Robbiemania erfolgten Auftritten in der Barclays Arena und der Elbphilharmonie. Okay, verglichen mit anderen Bühnenstars, Taylor Swift fällt uns da ganz zufällig ein, ist es eher ein Robbiemania-chen, das Mr. Williams zu entfachen imstande ist.
Auf der Trabrennbahn gab es den Engländer am Donnerstagabend (am Freitag steht die Wiederholung an) so preiswert zu erleben wie vermutlich nie zuvor. Sie wissen schon, die nicht nur aus Gründen der Kundenbindung ein bisschen geniale Aktion der Haspa, den Sänger exklusiv nach Hamburg zu holen. „Billig“ war an der Show, die Williams mit seiner etablierten Bühnenentourage ablieferte, aber gar nichts.
Robbie Williams in Hamburg: Trotz Haspa-Ticket-Aktion – Konzert alles andere als „billig“
Um 20:07 Uhr war Williams auf den Leinwänden zu sehen (ein halb recyceltes Video vom Hyde-Park-Auftritt?), um 20:10 tänzelte er („Let me introduce myself, I am Robbie fucking Williams“) auf die Bühne. In Weiß, bekanntlich längst ergraut, umgeben von Tänzerinnen – perfektes Entrée, wie immer.
Dabei machten es ihm die Leute einfach; 30.000 waren da, mehr geht nicht auf dem geschrumpften Open-Air-Festivalgelände. Und sie feierten den Mann, dem vor 20 Jahren die Welt zu Füßen lag, von diesem ersten Song an, der anders als auf der umfangreichen Tour zuletzt endlich wieder der einzig mögliche Opener ist: „Let Me Entertain You“. Jeder andere Künstler sollte sich eigentlich verfluchen, dass ihm genau die unsterbliche Nummer zur Konzerteröffnung nicht zur Verfügung steht.
Neue Zähne und alte Songs – Robbie Williams auf der Trabrennbahn in Hamburg
Wobei der begnadete Unterhalter Robbie Williams sich ja selbst nicht zu schade ist, Lieblingslieder zu covern. „Don’t Look Back In Anger“ hatte er auch diesmal auf der Setlist, das Stück, das so gut zu seiner zwiespältigen Take-That-Geschichte passt.
Apropos, was wäre eine Robbie-Party der mit ihm gealterten Fans (etwas mehr weiblich als männlich, eh klar) ohne „Back For Good“? Wurde gespielt, neben all den Gassenhauern aus dem Solowerk, neben „Come Undone“, „Supreme“, „Candy“.
Was das Älterwerden angeht: Von Robbie hörte man zuletzt leider so Alte-Leute-Zeugs wie Zähne-Erneuern (köstlich tatsächlich sein ständiges Präsentieren der Kauleisten) und Abnehmspritze, der Kerl „kämpft“ ja seit jeher „mit den Pfunden“, wie es so unschön heißt. Im vergangenen Jahr, in der Barclays Arena, hatte er seine Verschnaufpausen im Konzert noch mit Long Covid erklärt. Jetzt wirkte er ziemlich fit. Was auch daran liegen könnte, dass seine Auftritte in diesem Jahr handverlesen sind. Robbie Williams ist nicht ausgelaugt.
Gag-Automat Robbie Williams: Brite nimmt sich selbst nicht zu ernst und vergisst auch Sponsor nicht
Williams redete wie immer viel, und es war charming, es war komisch, es war pathetisch: Robbie, der Ex-Boyband-Star, der seine Bühnenfigur früh als selbstironischen Kasper etabliert hatte. Quatsch („Letztes Mal in Hamburg griff jemand nach meinem Penis“) und durchaus Ernstes (die Zähne, erst kurz vor den Haspa-Gigs erneuert – „ich musste mit ihnen das Singen neu üben“), der Gag-Automat aus Großbritannien stotterte: nie.
Er sprach über einen Robbie-Williams-Film, der geplant oder schon gedreht ist („Ein Traum für einen Narzissten wie mich“). Er nahm für die Kinder eines Paares aus Berlin – Running Gag: er heißt Enrico – ein Handyvideo („This is your uncle Robbie“) auf, dann gab‘s die Selbststakzeptanzhymne aus der heavy rotation von NDR 90,3 „Love My Life“. Dass der Abend gesponsert wurde, wollte Robbie Williams („25 Jahre Haspa-Joker? Vor genau 25 Jahren habe ich mit Kokain aufgehört“) übrigens nicht unerwähnt lassen. Gut erzogener Schlingel, by nature.
Bauchtasche, ACDC-Shirt und zum Schluss „Angels“ – ein Abend mit Robbie Williams
Das Publikum: Solide Leute, viele Altersgruppen. Leute mit St.-Pauli-Jutebeutel, Bauchtasche, ACDC-Shirt, Sparkonto. Vielleicht nicht hundertprozentig, und der sozialromantische Kitsch-Gedanke muss erlaubt sein, dasselbe Publikum wie letztens in der Barclays Arena. Nicht jeder kann oder will sich 100-Euro-Tickets leisten.
Die, die an diesem vom Wetter her mittelguten Sommerabend in Bahrenfeld waren, bekamen eine sehr gute Show. Von dem Mann, dessen Charisma im mittleren Lebensalter nicht kleiner geworden ist, oder? Auf jedem Konzert treibt dieser Künstler aufs Neue die Dämonen seiner wilden 90er-Jahre vor sich her. Gutes Thema halt auch, das Abstinenzler-Schicksal. Einer, der es aus der Arena der Selbstzerstörung heraus geschafft hat.
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Und er hat sie ja einfach im Repertoire, die Melodien für Millionen. „Feel“, „Kids“, „Rock DJ“, das immer wieder wunderbare „No Regrets“ – am Ende, das ist die Dramaturgie von Popkonzerten, geriet der Auftritt zur Robbie-Hitparade mit dem zertifizierten Schmachtfetzen „Angels“ ganz zum Schluss. Die Trabrennbahn wurde an diesem Abend von Robbie Williams, dem Überlebenden des Boygroup-Irrsinns und des Riesenruhms danach, glorreich abgeritten. Für alle, die da waren, war es die reine Freude und vielleicht eine Erinnerung daran, dass das Beste erst noch kommen kann.