Hamburg. Kornél Mundruczós Theaterformance „Parallax“ beschäftigt sich mit Traumata, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Wer in Ungarn gleichgeschlechtlich liebt, hat es schwer. Er muss sein Glück im Privaten und Verborgenen suchen – und sieht sich vielfach Diskriminierung ausgesetzt. Davon handelt unter anderem „Parallax“, die aktuelle Theaterperformance des ungarischen Theater- und Filmregisseurs Kornél Mundruczó, der mit dem Ensemble seiner freien Gruppe Proton Theatre derzeit beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel gastiert.

Basierend auf einem Text von Kata Wéber und des Ensembles erzählt Mundruczó eine Familiengeschichte über mehrere Generationen hinweg. Der Titel verweist auf das erzählerische Prinzip, dass man ein Objekt anders wahrnimmt, sobald man die Perspektive wechselt. Die Geschichte beginnt mit dem Trauma der Großmutter Eva, die Auschwitz überlebt hat und nun, von den Nebeln des Vergessens bedroht (womöglich auch erleichtert), im Nachthemd durch ihre hyperrealistische und etwas altmodische Küche geistert.

Sommerfestival auf Kampnagel zeigt in Ungarn angefeindetes Stück

Dort bekommt sie Besuch von ihrer Tochter Lena, mit der sie erbittert streitet. Lena lebt mit ihrem Sohn Jonas in Berlin und sucht Dokumente, die sie als Jüdin und Holocaust-Überlebende ausweisen, damit ihr Sohn in Berlin auf eine jüdische Schule gehen kann. Auch soll Eva an dem Tag eine Ehrenmedaille überreicht werden. Auf den damit verbundenen Geldsegen meint die von ihrer Scheidung gebeutelte Lena nach ihrer trostlosen Kindheit ein Anrecht zu haben.

Erschreckend klar und herausragend gespielt, arbeitet die Inszenierung heraus, wie diese beiden Frauen in ihrem Konflikt verstrickt sind, die Traumata sich quälend von einer Generation zur nächsten fortsetzen. Irgendwann folgt – wie häufig bei diesem Regisseur – ein extremer surrealer Moment, der dem vermeintlich realistischen Geschehen in einem kraftvollen Bild eine Wendung gibt.

Eine Drogen induzierte Sex-Party mit mehreren Liebhabern

Ein Zeitsprung führt Jonas Jahre später zur Beerdigung der Großmutter. Doch auch in dem jungen Mann wirken die Traumata nach. Während er eine Drogen induzierte Sex-Party mit mehreren Liebhabern feiert, wirkt er frei und verloren zugleich. Bewegend, wie er im Schlaf, Halt suchend, das Nachthemd der toten Großmutter umklammert. Unerbittlich und wahrhaftig thematisiert „Parallax“ die Entwurzelung und Suche des jungen Mannes nach Identität, der seiner Mutter erklärt, er fühle sich nicht als Jude.

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In Ungarn, wo sich Kunstschaffende zunehmenden Repressionen durch die rechtsnationale Regierung gegenübersehen, wird „Parallax“ als erste Produktion des Proton Theatre nicht zu sehen sein. Sämtliche Subventionen wurden gestrichen. Damit ist dieser bemerkenswerte Abend auf mehreren Ebenen politisch – und sehenswert.

Internationales Sommerfestival bis 25.8., Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de