Hamburg. Der Kino- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó über sein Einspringen in Hamburg und den Unterschied zwischen Schauspielern.
Es ist früher Morgen, Kornél Mundruczó sitzt im Foyer der Thalia-Zweitbühne in der Gaußstraße und seufzt. „Embassy of Hope“ steht auf einem Plakat an der Fassade, und Hoffnung können hier gerade alle gut gebrauchen. Gleich sollen wieder die Proben für die Groteske „Krum“ beginnen, eine deutsche Erstaufführung – nur das Ziel liegt im Nebel. Die für den 15. November geplante Premiere, kurzfristig anstelle der ausgefallenen „Pippi Langstrumpf“-Produktion angesetzt, kann nicht stattfinden.
Die Theater haben wie die Kinos, Museen, Konzertsäle wegen der rasant steigenden Infektionszahlen im Land erneut geschlossen. Es ist für alle das zweite Mal, dass das passiert, es war erwartbar. Frustrierend ist es trotzdem. Aber: Die Proben laufen weiter. Sie dürfen nun etwas ausführlicher sein als gedacht. Gespielt werden soll „Krum – Ein Stück mit zwei Hochzeiten und zwei Begräbnissen“ von Hanoch Levin in jedem Fall. Nach dem kulturellen Lockdown. Wann auch immer das sein wird.
Hamburger Abendblatt: Wie geht es Ihnen?
Kornél Mundruczó: Es ist eine merkwürdige Zeit. Weiterarbeiten hilft, natürlich, aber manchmal braucht man ja auch da den Druck der bevorstehenden Premiere. Das gibt einer Produktion fruchtbare letzte Tage. Ich bin neugierig, ob wir die Energie hier hochhalten können, obwohl wir das Premierendatum nicht kennen. Es ist gut, immerhin zusammen zu sein.
Eigentlich hatten Sie einen straffen Zeitplan. Sie sind sehr kurzfristig für Jette Steckels abgesagte „Pippi Langstrumpf“-Premiere eingesprungen, nun haben Sie plötzlich mehr als nur sechs Wochen Probenzeit.
Mundruczó: Ich arbeite gern schnell. Das liegt mir. Bei einem Kinofilm hat man auch keine Zeit, weil die Drehtage so enorm teuer sind. Wenn ich ein konzentriertes Ensemble habe, reichen sechs Wochen eigentlich aus.
Das Thalia musste Sie aus „Netflix“-Verpflichtungen herauslösen, damit Sie hier inszenieren können. Was genau haben Sie da abgesagt – und geht das so einfach?
Mundruczó: Ich habe einen bestehenden „Netflix“-Vertrag, der mich verpflichtet, zum Jahresende für meinen aktuellen Film „Pieces of a Woman“ Pressearbeit zu machen. Touren, viele Reisen, auch und vor allem in die USA, Interviews, all das. Die Golden Globes, die Oscar-Verleihung, diese Dinge stehen ja eigentlich demnächst an. Aber alles hat sich verändert, ich kann ja ohnehin nicht wirklich reisen. Also haben sie mich aus dem Vertrag gelassen und mir erlaubt, in dieser Zeit hier eine Theaterproduktion zu machen. Seither war alles nur noch Zoom, Zoom, Zoom. (lacht) Ein Zoom-Interview kann ich von Blankenese aus genauso geben wie von jedem anderen Ort auf der Welt! Ich bin dankbar, dass zumindest die Premiere des Films in Venedig stattfinden konnte.
Wie haben Sie das Filmfestival von Venedig unter Corona-Bedingungen erlebt?
Mundruczó: Es war sehr echt. Und trotzdem sehr gut kontrolliert von italienischer Seite. Ich habe mich absolut sicher gefühlt und hinterher auch gelesen, dass keine Infektionen festgestellt wurden. Es gab natürlich eine Begrenzung des Publikums, es wurden nicht alle Plätze belegt, man musste Abstand halten, aber der Rest war wunderschön. Wir hatten sogar einen roten Teppich, auch mit Distanz natürlich. Es waren schon verrückt viele Einschränkungen, aber zur selben Zeit auch eine Riesenfeier dieses Films.
Im Nachhinein war es ein schmales Fenster, durch das immerhin kurz die Sonne schien.
Mundruczó: Absolut. Nachdem im Lockdown alles weggebrochen ist, wofür ich arbeite – die Kinos geschlossen, die Theater geschlossen –, hat es sich einfach sehr gut angefühlt, an einem Ort zu sein, wo das Kino so gefeiert und verehrt wird. Man wird dankbarer.
Kornél Mundruczó
- Der Regisseur Kornél Mundruczó, geboren 1975 in Ungarn, wurde für seine Arbeit vielfach ausgezeichnet. Er reüssierte sowohl im Kino (u. a. in Cannes und Locarno) als auch am Theater. Am Thalia (und in Salzburg) zeigte er zuletzt erfolgreich Molnárs „Liliom“ und Hauptmanns „Die Weber“.
Sie arbeiten international und waren bislang in Ungarn zu Hause. Kürzlich sind Sie mit Ihrer Familie von Budapest nach Berlin gezogen. Warum?
Mundruczó: Ich mag mich selbst nicht als Immigranten bezeichnen. In Ungarn wurde von manchen Kollegen eine große Sache daraus gemacht, dass ich das Land verlasse. Ich mag diese Diskussion nicht, und ich will auch nicht als Opfer gesehen werden. Wir haben, weil wir ohnehin viel in Deutschland arbeiten, entschieden, dass es sinnvoller ist, ganz hierherzuziehen. Wir wollten, dass unsere Tochter hier in den Kindergarten und später in die Schule geht, und wir wollten näher an unserer Arbeit leben. In Ungarn mache ich alle drei, vier Jahre mal eine Theaterinszenierung, mit meiner Compagnie Proton, aber jahrelang war ich eigentlich nur für die Ferien zu Hause und habe immer woanders gearbeitet. Also sind wir nach Berlin gegangen. Natürlich hat es auch politische Gründe – es ist kein komfortables Klima in Ungarn für Künstler und Künstlerinnen. Aber ich war nie im Fokus, und Ungarn ist auch nicht Weißrussland.
Sie werden also nicht schikaniert?
Mundruczó: Eher ignoriert. Was dann als unabhängiger Theatermacher natürlich auch mit fehlendem Geld zu tun hat. Aber das offizielle Theater ist in Ungarn so überpolitisiert, da steckt die Politik so tief drin ...
Verstehen Sie sich als Teil der Opposition?
Mundruczó: Als ein Künstler, der stark an die Freiheit der Kunst glaubt? Definitiv. Die Kunst wird in Ungarn derart ideologisiert von der Regierung. Wir haben auf dem Filmfestival von Venedig auch mit T-Shirts gegen die Regierungskontrolle der Budapester Universität für Theater und Filmkunst SZFE protestiert, wo wir studierten. Aber mein Umzug bleibt tricky, denn es entstehen natürlich neue Probleme. Wie sind die Regeln im neuen Land, wie wächst unsere Tochter hier auf? Wir begreifen uns gern mehr als Reisende. Gerade fühlen wir uns wohl in Berlin. Aber wird es unsere Heimat oder ziehen wir weiter? Wir werden sehen. Es ist alles nicht so einfach, auch nicht in einem Land, das einen so willkommen heißt wie Deutschland.
Sie inszenieren zum wiederholten Mal am Thalia Theater, das der Intendant Joachim Lux in den vergangenen Jahren zu einem deutlicher politischen Ort gemacht hat. Ist das einer der Gründe, warum Sie gern hier arbeiten?
Mundruczó: Eigentlich nicht. Aber unsere Beziehung reicht weit zurück, und ich schätze seine absolute Leidenschaft und diese Hingabe an sein Theater sehr. Ich finde es natürlich gut, wenn ein Theater eine politische Position hat und jemand seine Stimme erhebt. Aber die Kunst an sich kann meiner Ansicht nach nicht politisch sein. Wenn es Protest ist, ist es keine Kunst mehr. Dann wird es etwas anderes. Cleverer Protest vielleicht, künstlerischer Protest – aber eben vor allem Protest. Meine Filme und Inszenierungen sind nicht explizit politisch. Was nicht heißt, dass ich nicht gesellschaftskritisch bin oder nicht von Figuren erzähle, die politische Probleme haben. Aber ich protestiere nicht, ich konzentriere mich darauf, vom Leben der Menschen zu erzählen. Einer der Gründe, warum ich gern ans Thalia zurückkomme, ist übrigens das wirklich starke Ensemble. Ich bin da immer wieder beeindruckt. Was ich mache, ist sehr abhängig davon. Hier finde ich Schauspieler und Schauspielerinnen, die auf einer Bühne zutiefst Menschliches erzählen können.
Wie unterscheidet sich ein Ensembleschauspieler an einem deutschen Stadttheater von einem Hollywoodstar wie Shia LaBoeuf, mit dem Sie für „Pieces of a Woman“ gedreht haben? Ist da überhaupt ein Unterschied?
Mundruczó: Ja, absolut. Ein großer Unterschied. Alles ist anders! (lacht) Schauspiel ist so vielschichtig. Lokale Kultur kann ein Theater beeinflussen, damit fängt es schon an. Auch das Thalia ist eine Bühne für das lokale Publikum. Selbst wenn es international arbeitet, selbst wenn es politisch ist. Es arbeitet in der Sprache der Menschen von hier – für sie. Es ist anders als ein Theater in Budapest oder in Polen oder anderswo, wo die Compagnien ja auch für ihr jeweiliges Publikum spielen. Theater ist divers, das mag ich daran.
Coronavirus – die Fotos zur Krise:
Es gibt nicht die eine gemeinsame Sprache des Theaters?
Mundruczó: Nein, man muss sich immer neu anpassen. Das ist nicht so leicht! In den USA sind die Schauspielerinnen und Schauspieler Götter. Dieses Star-System existiert so in Deutschland gar nicht. Hier feiert man eher den Ensemble-Gedanken. Das Risiko einer Inszenierung ist in Amerika auch viel gravierender. Hier, an einem deutschen Theater, geht es auch um Kontinuität, um den Weg. Es ist mehr wie ein Marathon. In Amerika kann jede Kameraeinstellung deine letzte sein. Wenn du grandios bist, darfst du die nächste drehen. Wenn du scheiterst, bist du weg.
Zuletzt haben Sie in Hamburg „Liliom“ inszeniert – wie sind Sie auf „Krum“ gekommen, das Sie hier nun proben? Es wird eine deutschsprachige Erstaufführung, der israelische Dramatiker ist nicht sehr bekannt ...
Mundruczó: Niemand kennt ihn hier! (lacht) Ich liebe seine Art zu schreiben. Er stellt große existenzielle Fragen – Gibt es einen Sinn des Lebens? – und findet Charaktere, die mich sehr ansprechen. Dabei ist er niemals schwer. Trotzdem ist „Krum“ keine Komödie im eigentlichen Sinne. Obwohl es eindeutig sehr komisch ist! Aber auch existenziell traurig und einsam. Joachim Lux hatte mir das Tschechow-Stück „Onkel Wanja“ vorgeschlagen – und ich liebe das, keine Frage! Aber „Krum“ funktioniert ein bisschen wie ein zeitgemäßes Tschechow-Stück. Fast wie die Zukunft der „Drei Schwestern“. Und es ist kafkaesk. In dieser Zeit, mit der Pandemie und all den anderen Problemen, wollte ich nichts Schweres machen.
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Was glauben Sie: Wird diese Pandemie das Theater auf Dauer verändern?
Mundruczó: Auf Dauer? Nein. Auch wenn ich die aktuellen Corona-Restriktionen auf der Bühne schon schwierig finde. Ich verstehe, dass man sagt: Wenn ein Daimler-Arbeiter am Band Abstand halten muss, dann muss das auch ein Ensemble auf der Bühne. Aber es schränkt die künstlerische Freiheit ein. Wir gehen damit um, natürlich. Es ist eine Periode im Leben, aus der wir lernen müssen. Hoffentlich vergessen wir die Lektionen nicht zu schnell, sobald wir die Impfung haben. Ich bete wirklich für diese Impfung. Es wird jedenfalls viele Umarmungen und viel Küsserei geben, wenn das alles vorbei ist!
Das wäre ja nun nicht das Schlimmste ...
Mundruczó: Nein, allerdings! (lacht) Wir müssen jetzt vorsichtig sein – aber langfristig bin ich gar nicht besorgt.