Hamburg. Die US-Amerikanerin und das NDR Elbphilharmonie Orchester widmen sich sträflich vernachlässigtem Komponisten – und begeistern.
Man fragt sich wirklich, warum das Violoncellokonzert des 1981 gestorbenen Komponisten Samuel Barber eigentlich so selten gespielt wird. Alan Gilbert hatte es zusammen mit Barbers Klassikhit „Adagio for Strings“ am Donnerstag aufs Programm eines Konzerts seines NDR Elbphilharmonie Orchesters gesetzt und mit der US-amerikanischen Cellistin Alisa Weilerstein eine Solistin gewählt, die es so recht zu einem Erlebnis werden ließ.
Mit seinen rasch wechselnden Kontrasten, der rhythmischen Raffinesse und einer trotz der Komplexität leicht fasslichen Motivik kann das Stück mit Repertoireklassikern wie Edwards Elgars Cellokonzert locker konkurrieren.
Elbphilharmonie: Barbers Werke tun sich zu Unrecht schwer in den Programmen
Barber war ein eher zurückhaltender, bescheiden auftretender Mann, der schon als Achtjähriger einen Zettel an den Schminktisch seiner Mutter klebte, auf dem er mit kindlichem Stolz notiert hatte: „Ich wurde nicht dazu bestimmt, Sportler zu sein. Ich wurde dazu bestimmt, Komponist zu sein, und bin mir sicher, dass ich es werde [...]. Verlange nicht von mir, das jemals zu vergessen und Football spielen zu gehen — bitte.“
Dass er der Moderne nicht folgen und einer neoromantischen musikalischen Sprache treu bleiben sollte, tut der außerordentlichen Qualität seiner Musik keinen Abbruch. Während in den USA Barbers Oper „Anthony and Cleopatra“ oder die drei Solokonzerte für Violine, Violoncello und schließlich Klavier viel öfter gespielt werden als in Europa, tun sich diese Werke bei uns völlig zu Unrecht schwer in den Programmen.
Ein Konzert für Orchester mit exponiertem Cello-Solo?
Schon der fast erschreckende Holzbläsereinsatz zu Beginn des Cellokonzerts und das darauf folgende, sogleich in etlichen Abwandlungen verflochtene Hauptthema nehmen auf Anhieb gefangen. Ganz dem tieferen Klangregister des Cellos entsprechend, leitete Javier Biosca Bas mit einem sonoren Fagottsolo zum ersten Einsatz Weilersteins über. Im weiteren Verlauf besonders des ersten Satzes hatte man das Gefühl, es handele sich eher um ein Konzert für Orchester mit exponiertem Cello-Solo als um ein Konzert für Cello und Orchester.
Barber spielt mit den Farben des Orchesters ebenso virtuos wie mit den Klangmöglichkeiten des Cellos, das sich in zuweilen hochvirtuosen Figurationen stets im Dialog mit einzelnen Solo-Instrumenten im Orchester bewegt. Weilersteins Cello hatte einen aufregend voluminösen Klang, erst recht im kadenzartigen Abschnitt am Ende dieses Satzes, der vom Oboisten Paulus van der Merwe abgenommen und von munteren Einsprengseln der beiden Flöten und Hörnern konterkariert wurde.
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Elbphilharmonie: stürmischer Schlussapplaus für das Orchester
Alan Gilbert hatte hör- und sichtbar Freude an den Klangfarbenwechseln im Andante sostenuto, dem von Kontrabass-Pizzicati begleiteten Dialog zwischen Solo-Fagott und Cello und der Steigerung ins Sehnsuchtsvolle am Ende dieses kantablen Satzes. Im Finale dann ein rhythmisches Verwirrspiel mit vielen Akzentverschiebungen, Einblendungen und höchsten technischen Anforderungen an die Solistin, die sich nach stürmischem Schlussapplaus mit der Sarabande aus Bachs Cellosuite Nr. 4 beim Publikum bedankte.
Weil er das volle Orchester ja sowieso zur Verfügung hatte, spielte Gilbert Mozarts Ouvertüre zur „Zauberflöte“ zu Beginn und die „Prager“-Sinfonie am Ende in ziemlich großer Besetzung. Dabei wählte er in den schnellen Sätzen straffe Tempi und besonders in der Sinfonie vermisste man zuweilen stärkere dynamische Kontraste. Ein echtes Pianissimo blieb eine Ausnahme. Auch die Holzbläser hatten es im Andante schwer, sich gegen die massive Streicherbesetzung zu behaupten.