Hamburg. Die koreanisch-amerikanische Künstlerin mit mehr als 750.000 YouTube-Abonnenten erkundete Konzerthaus, Künstler und Publikum.
Wie klänge der markante Klingelton eines iPhones, wenn Bach, Mozart, Schubert oder Piazzolla ihn komponiert hätten? Die Pianistin, Komponistin und Social-Media-Spezialistin Nahre Sol hat diese verschiedenen Variationen mit viel Liebe zum Detail arrangiert und vom Ensemble Resonanz umsetzen lassen. Die Musikerinnen und Musiker vergeben sogar Noten für diese Handy-inspirierten Interpretationen und diskutieren mit Nahre Sol über ihren Schaffensprozess. Der Mozart sei noch etwas höflich umgesetzt, Piazzolla wiederum mache den Klingelton sexy, erläuterten die Profis. Das Ergebnis lässt sich nun als kurzweiliges wie informatives Video betrachten – auf dem YouTube-Kanal der 33-Jährigen ebenso wie in der Mediathek der Elbphilharmonie.
Ein Jahr Elbphilharmonie: Was Influencerin Nahre Sol dort erlebte
Für ein Jahr hat die koreanisch-amerikanische Künstlerin lehrreiche wie unterhaltsame Onlineinhalte rund um die Hamburger Konzerthalle erschaffen – als erster „Creator in Residence‟ der Elbphilharmonie. Die Arbeit mit dem Ensemble Resonanz markiert ihren Abschluss, bevor die Rolle ab September neu vergeben wird. „Das Vergnügen und zugleich die Herausforderung dieser Kollaboration bestanden darin, meine Art des Filmemachens mit der Welt der Elbphilharmonie zu verbinden‟, erklärt Nahre Sol. Das Schöne am Medium Video sei, dass es eine hohe Intimität erzeugen kann, gerade wenn sie hinter die Kulissen schaue. „Es zeigt, wie menschlich und interessant die Tätigkeit des Musikmachens ist. Selbst wenn jemand rein gar nichts über Musik weiß.‟
Smartphone und Streichinstrumente, Musikgeschichte und Popkultur – mit großer Freude und Finesse transportiert sie Klassik und ihre Spielarten in die digitale Welt. Clever kombiniert Nahre Sol dabei Know-how und Entertainment – mit dem Anspruch, Musik für jede und jeden zugänglich zu machen.
Die in Hamburg entstandenen Videos wurden rund 13,5 Millionen Mal aufgerufen
Ein Konzept, das ankommt: Seit nun mehr sieben Jahren sendet Nahre Sol ihre Inhalten über YouTube, Instagram und TikTok. Die während ihrer Hamburger Residenz entstandenen Videos wurden bisher rund 13,5 Millionen Mal abgerufen. Ein Publikumsliebling ist dabei ihr gut zehnminütiger Film zur großen Orgel der Elbphilharmonie. Anschaulich vergleicht sie Gewicht und Länge der Orgelpfeifen mit einem Elefanten und einem Basketballfeld. Besonders berührend ist jedoch, wie sie den Raum an sich wahrnimmt. Wie sie darüber reflektiert, dass der allumfassende Sound im Großen Saal das genaue Zuhören schult. Und wie sie erläutert, dass diese Erfahrung ihr eigenes Klavierspiel positiv beeinflusst hat.
„Den größten Fortschritt machen wir mitunter, wenn wir uns von unserem ursprünglichen Instrument wegbewegen‟, erklärt Nahre Sol in dem Video. Eine Erkenntnis, die sich auf viele Lebensbereiche anwenden lässt. Und genau das ist das Faszinierende: Nahre Sol vermittelt nicht nur hohes Fachwissen, sondern nutzt die Musik vielmehr, um das universell Menschliche darin zu veranschaulichen. So wie etwa in einem der ersten Videos ihrer Residency.
Unter dem Titel „How to Listen to Classical Music‟ sortiert sie da Komponisten nach ihrer emotionalen Intensität – von Scott Joplins purer Heiterkeit mit „The Entertainer‟ bis hin zur komplexen Gefühlswelt von Arvo Pärts „Fratres‟. Als frei, zielstrebig, verletzlich, kraftvoll, kalt, aber zugleich großzügig beschreibt Nahre Sol das vielschichtige Werk.
Influencerin Nahre Sol: „Wir alle wollen etwas sehr Ähnliches ausdrücken.‟
Ob sie sich während ihrer Elbphilharmonie-Zeit nun mit Mahler beschäftigt hat, mit Orgelbauer Philipp Klais fachsimpelte oder sich nordindische Flötenkunst erklären ließ – all die unterschiedlichen Themen und Gespräche hätten ihr eines deutlich gemacht: „Wir alle wollen etwas sehr Ähnliches ausdrücken.‟ Und sie führt weiter aus: „Wir sind alle emotionale Wesen, aber wir können diese Gefühle im Alltag nicht immer ausleben.‟ Musik erschaffe einen sicheren und wunderschönen Raum, um in Verbindung zu kommen mit dieser Seite von sich. Ob nun als Komponisten oder als Zuhörende.
Im Laufe des Jahres hat Nahre Sol die Elbphilharmonie immer besser kennengelernt. „Am Anfang war ich vor allem fasziniert von der Architektur, der Struktur und der ganzen Wissenschaft, wie die Konzerthalle erbaut worden ist‟, erzählt die Kreative. „Je mehr Konzerte ich dort besucht habe, je häufiger ich mit dem Raum interagiert habe, desto mehr lernte ich wertzuschätzen, was passiert, wenn das Publikum involviert ist.‟ Die Bewegungen der Gäste, wie sich ihr Atem auf den Sound auswirkt, wie sich der Ort je nach Klangkörper, Genre und Beleuchtung verändert, welche besondere Energie stets aufs Neue entsteht zwischen Mensch und Musik – all diese fein sensorischen Zusammenhänge haben sich Nahre Sol von Abend zu Abend zunehmend mehr erschlossen.
Äußerst anregend: das Gespräch, das Anne-Sophie Mutter und Nahre Sol geführt haben
„Nahre Sol ist auf einer Wellenlänge mit der Elbphilharmonie. Es war sehr spannend, ihr eine Saison lang beim Erkunden unseres Programms zuzuschauen‟, bilanziert auch Martin Andris, der die Media-Relations-Abteilung des Hauses leitet. „An den vielen positiven Reaktionen aus der Community sieht man, wie ansteckend Nahre Sols Begeisterung für Musik ist.‟
Ein Social-Media-Kommentar zielt etwa darauf ab, wie durch die Residency neue Zielgruppen erschlossen werden können: „Die klassische Musik braucht dringend junge Menschen, die mithilfe moderner Kommunikationsmittel eine Brücke zwischen Tradition und Fortschritt bauen – und Institutionen, die sie dabei unterstützen‟, heißt es da.
Ein Jahr Elbphilharmonie: Nahre Sol zeigt ihre Neugierde und ihren Spieltrieb
Wie das Populäre und das Klassische in nahezu genreloser Kongenialität verschmelzen können, zeigt das wirklich tolle Video zu „John William‘s secret formulas‟. Charmant und klar verständlich analysiert Nahre Sol da das Wirken des berühmten Filmkomponisten – unter anderem anhand des „Imperial March‟ aus „Star Wars‟ und „Hedwig‘s Theme‟ aus den Harry-Potter-Filmen. Eines ihrer persönlichen Highlights ist der Auftritt von Geigerin Anne-Sophie Mutter, die Williams‘ Werk in der Elbphilharmonie neu ausgelegt hat. Äußerst anregend auch das Gespräch, das Mutter und Sol geführt haben, etwa über die hiesige Trennung von E- und U-Musik.
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Und Nahre Sols Neugierde und Spieltrieb lässt sich dann auch noch erleben: Im Stil von John Williams hat sie einen Soundtrack geschrieben, der einen Drohnenflug durch die Elbphilharmonie begleitet und das Flugobjekt dabei als eigenen Charakter dramatisiert. Das Resultat ist bewegend, gewitzt und hoffnungsvoll. Inhalte, die Hamburgs Konzertsaal im Hafen weitere Bedeutungsebenen hinzufügen. Und die einem Musik im wahrsten Sinne des Wortes nahebringen.