Satemin. Der ehemalige „stern“.Redakteur Rolf Dieckmann schreibt sehr erfolgreiche Krimis, die in einer vermeindlichen Idylle spielen.
Der Himmel ist weit und hoch an diesem Sommertag im Wendland. Ein leichter Wind geht. Vereinzelt verdunkeln Wolken die Sonne, und Schatten fallen auf das hügelige Land. Etwas versteckt hinter wuchtigen Bäumen liegt Satemin, das vielleicht schönste Rundlingsdorf der Region.
Der Mann, der hier lebt, war einst beim Magazin „stern“ für die Sparte Humor zuständig, jetzt, im großen Fachwerkhaus, hat ihn das Böse heimgesucht, und er lässt Menschen sterben in einer Region, die sich früher „Freie Republik Wendland“ nannte und das Zentrum der Atom-Proteste war. Rolf Dieckmann schüttelt den Kopf: „Wenn Sie mir vor 15 Jahren gesagt hätten, dass ich irgendwann mal in der Provinz sitze und Regionalkrimis schreibe – ich, der außer Chandler oder Simenon nie Krimis liest oder ,Tatort’ guckt – ich hätte Sie für verrückt erklärt.“ Das Leben ist halt ein seltsames Spiel. Jüngst nun ist mit „Zirkusblut“ bereits der fünfte Wendland-Krimi erschienen.
Rolf Dieckmann: Der Mann, der Mord und Totschlag ins Wendland bringt
Der Weg ins Wendland begann für Dieckmann Anfang der 1990er-Jahre. Ein Kollege vom „stern“ hatte die Idee, eine Rockband zu gründen, mit deren Hilfe bereits dezent angegraute Herren auf den Spuren von Chuck Berry und Eric Clapton wandeln wollten. Dieckmann bediente den Bass und sang, Gitarren und Schlagzeug kamen dazu, allein ein Übungsraum fehlte. Der fand sich dann in Weitsche, einem Dorf etwa zehn Kilometer entfernt von Lüchow im Landkreis Lüchow-Dannenberg – von Dieckmanns „stern“-Kollegen gern „Psycho-Pannenberg“ genannt.
Einen Ort namens Weitsche kannte zwar kein Mensch, aber der Übungsraum auf einem Hof hatte dicke Mauern. Das sollte genügen, um ordentlich die Dezibel zu kitzeln. Später fanden die Altrocker einen solchen Raum in der Speicherstadt, das Wendland war wieder gut zwei Autostunden entfernt. Und der Krimi? Der war noch viel weiter entfernt.
Mit Toskana-Krimis begann es, inzwischen konzentriert sich Rolf Dieckmann aufs Wendland
„Auf dem Land gibt es Kaffee und Kuchen“, sagt Irmgard Hochreither und schneidet resolut die Torte an. Die ehemalige „stern“-Autorin ist die Lebensgefährtin von Dieckmann und hat sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, als ihr Mann sie mit der Idee konfrontierte, ein Ferienhaus im Wendland zu mieten. Provinz? Niemals! Das war kurz nach der Jahrtausendwende. Sie kam dann doch mit. Und was macht man als Journalistin, um ein kleines Trauma zu verarbeiten? Man schreibt ein Buch. „Schöner Mist. Mein Leben als Land-Ei“ erschien 2011 und wurde gleich ein Bestseller. Der Titel sei ihr unter der Dusche eingefallen, erzählt Hochreither. Wo auch sonst.
Ein Jahr zuvor hatte Rolf Dieckmann bereits zum Krimi gefunden, allerdings zu einem, dessen Geschichte in der Toskana angesiedelt war. Die Idee für „Die Toskana-Verschwörung“ entstand während einiger Reportagereisen für den „stern“. Das Buch verkaufte sich ordentlich, der Verlagsvertrag aber war so schlecht, der Erlös also so gering, dass Dieckmann nach einem weiteren Toskana-Krimi das Projekt aufgab.
Der Aberglaube ist in der Wendland-Region weit verbreitet
Aber Blut hatte er schon ein wenig geleckt. „Die Toskana-Romane waren der Übergang zu den Wendland-Krimis“, sagt Dieckmann. „Wir waren damals gerade nach Simander gezogen. Irmgard hatte ihren ,Schönen Mist‘ erfolgreich veröffentlicht, als eine Nachbarin uns sagte, sie habe alle unsere Bücher gelesen, aber warum spielten die Krimis in der Toskana? Das Wendland sei doch auch so schön.“
Das schöne, idyllische Wendland. Das, dachte sich Rolf Dieckmann, müsse ja nicht immer so bleiben. Schließlich sei der Aberglaube in der Region weit verbreitet, es gebe im Wendland weiße Hexen, die heilen können, aber auch die schwarzen, die bösen Hexen. Und so brachte der Mann, der einst den Humor betreute, Mord und Totschlag ins Wendland, literarisch gesehen. „Damals kochte die Diskussion um Wölfe gerade enorm hoch. Ich dachte mir dann, ich schreibe mal eine ganz emotionale Wolfsgeschichte, in der überhaupt kein Wolf vorkommt. Er ist lediglich in den Köpfen der Menschen präsent. Und daraus wurde am Ende ein Krimi …“
Der erste Wendland-Krimi erschien 2019: „Es sind Wölfe im Wald“
2019 erschien „Es sind Wölfe im Wald“ bei Ellert & Richter, der Auftakt zu Dieckmanns Reihe um den Ermittler Erik Corvin, einem Hamburger Kriminalhauptkommissar, der sich in seine alte Heimat, das Wendland, versetzen lässt und kurz darauf den Job an den Nagel hängt. Das Ende einer Dienstfahrt.
„Damals war ich der Erste, der Wendland-Krimis geschrieben hat mit einem Kommissar, der aus Hamburg kommt“, erzählt Dieckmann. „Der Name Corvin ist im Übrigen einem Ort im Wendland entlehnt. Viele Menschen trage hier Ortsnamen als Nachnamen.“ Die Landschaft, ihre Besonderheiten, das Morbide, das Schaurige manch alter Häuser – all das soll in den Kriminalromanen für Atmosphäre sorgen. „Und auch die teils recht spleenigen Menschen sollen eine gewisse Rolle spielen.“ Sagt Dieckmann und lacht. Da ist er wieder, der Humor. Er habe sich sein ganzes Leben bemüht, einmal etwas wirklich Ernsthaftes zu schreiben, aber es sei ihm noch nie gelungen. „Ein bisschen Ironie muss bei mir immer dabei sein.“
Dieckmann: „Ein Konzept habe ich nicht, ich kenne aber den Anfang und das Ende“
Zwar lässt sich Dieckmann für seine Romane zumeist von der Wirklichkeit inspirieren, seien es die Wölfe wie im Debüt oder das Ausheben eines Schwimmbads im eigenen Garten inklusive unangenehmer Entdeckung wie im aktuellen Krimi „Zirkusblut“, aber die Geschichte entwickele sich erst beim Schreiben. „Ein Konzept habe ich nicht“, sagt er, „ich kenne aber den Anfang und das Ende. Der Rest dazwischen taucht dann einfach auf, auch viele Figuren, die ich zuvor noch gar nicht kannte oder geplant hatte.“
Krimis hin, Krimis her. Einmal Journalist, immer Journalist. Rolf Dieckmann ist Chefredakteur des opulent aufgemachten Magazins „Landluft“, das von ihm und einigen Freunden gegründet worden ist. Zwar erscheint das Heft nur einmal im Jahr, bietet aber eine Fülle lesenswerter Geschichten, Porträts und Interviews rund um Menschen, die im Wendland leben. Das sind dann alles richtig ernsthafte Sachen.
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So genannte „Bonnbons“, also Politikern in der Bonner Republik in den Mund gelegte Bonmots, wie sie Rolf Dieckmann lange Jahre beim „stern“ betreute, gibt es im Wendland-Magazin nicht. Den schwarzen Humor spart sich der Mann, der britische Komödien à la „Sterben für Anfänger“ schätzt, für seine Krimis auf.