Hamburg. Der linke Verlag Edition Nautilus hat große finanzielle Probleme. Ein Hilferuf in den sozialen Medien zeigt das Ausmaß. Ein Krisengespräch.
Dem in Bahrenfeld ansässigen Verlag Edition Nautilus geht es wirtschaftlich nicht gut. Der auf Belletristik und linke Sachbücher spezialisierte Verlag, der in diesem Jahr sein 50. Jubiläum feiert, hat deshalb seine Kundinnen und Kunden um Hilfe gebeten: um Weiterempfehlung und Kauf von Nautilus-Büchern, um Spenden und um die Verbreitung des Hilfeaufrufs, mit dem Nautilus auch allgemein auf die schwieriger gewordenen Bedingungen für unabhängige Verlage aufmerksam machen möchte. Katharina Picandet sprach stellvertretend für das Leitungs-Kollektiv des Verlags mit dem Abendblatt.
In der vergangenen Woche hat Ihr Verlag öffentlich zur Unterstützung aufgerufen. Nautilus befindet sich in finanzieller Schieflage. Wie konnte es dazu kommen?
Katharina Picandet: Verlage sind im Grunde ja sowieso Teil der Glücksspielbranche. Es gab immer fettere und magerere Jahre, man musste immer flexibel sein – beim Verlegen wird man nicht reich, aber glücklich, das war so das Motto. Aber solange man im Kapitalismus lebt und vom Geldverdienen abhängig ist, gibt es einfach gewisse Grenzen, die wir auch mit viel Optimismus nicht verrücken können: Es gibt weniger Menschen, die lesen und Bücher kaufen, nachweislich. Es schließen mehr Buchhandlungen als neue aufmachen, weil auch viele von ihnen am Existenzminimum arbeiten. Literaturveranstalter reduzieren ihr Programm und konzentrieren sich auf vermeintlich sichere Publikumsmagneten, probieren immer weniger aus.
Die Medien spielen auch eine Rolle.
Ja, weil Literaturformate zusammengelegt oder gestrichen werden, es gibt also weniger Rezensionen von immer weniger Büchern aus immer weniger Verlagen. Das heißt, unser Publikum nimmt ab und unsere Sichtbarkeit für dieses Publikum auch. Das sind die großen strukturellen Probleme, vor denen alle Verlage stehen. Solange man dann immer einige gut verkäufliche Bücher hat und sich bei den anderen nicht total verkalkuliert, geht alles eine ziemlich lange Zeit noch so einigermaßen, aber, entschuldigen Sie die abgegriffene Metapher, wenn der Kuchen immer kleiner wird, hat jeder Einzelne irgendwann nur noch Krümel, und davon wird man nicht satt.
Edition Nautilus: Ein Hamburger Verlag bittet alle, seine Bücher jetzt zu kaufen
Was ist konkret bei Nautilus passiert?
Wir mussten feststellen, dass die Buchhandlungen in geringeren Stückzahlen einkaufen als noch vor einigen Jahren. Sicherlich deshalb, weil sie selbst unter Druck stehen, weil es weniger Kundschaft gibt. Aber für uns heißt es trotzdem, dass weniger Bücher von uns in weniger Buchhandlungen stehen, und wenn von jedem Titel nur ein Exemplar bestellt wird, dann liegt das auch eher nicht sichtbar auf dem Tisch mit den großen Stapeln, sondern steht im Regal – wenn man Glück hat, frontal, aber nicht unbedingt, damit ist es nur für das wissende Auge auffindbar und wird im schlimmsten Fall nach sechs Monaten auch remittiert, das heißt, gegen Erstattung des Einkaufspreises zurückgegeben. Die geringe Präsenz im Handel wiederum führt dazu, dass wir viel abhängiger sind von Medienaufmerksamkeit, um damit überhaupt eine Nachfrage zu schaffen, und da, wie gesagt und das wissen Sie besser als ich, sieht es auch düster aus. Hinzu kommt, dass sich auch erfreulich breite und positive Presse, wenn man sie hat, weniger in Verkäufen niederschlägt als früher – woran das genau liegt, weiß ich nicht, wahrscheinlich einfach an den abnehmenden Leserzahlen.
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Wie schwer ist Ihnen der Schritt gefallen?
Sehr schwer. Wir wollten unser Umfeld, also auch unsere Autorinnen und Autoren, Agenturen, Übersetzer und alle anderen, die mit einem Verlag verbunden sind oder von ihm abhängen, ja auch nicht in Angst und Sorge versetzen. Andererseits wollten wir aber auch nicht warten, bis uns das Wasser bis zum Hals und wir kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stehen, sondern gewissermaßen Alarm schlagen, solange wir noch etwas Spielraum haben. Es gibt ja einige etablierte, anspruchsvolle, gute Verlage, die in den letzten Jahren über Crowdfunding recht viel Geld gesammelt haben, um weitermachen zu können. Das haben wir auch in Erwägung gezogen, möglicherweise hätten wir damit auch eine größere Reserve ansammeln können als jetzt, aber das ist ja doch viel aufwendiger. Es war uns auch wichtig, schnell zu reagieren und, gewissermaßen mit uns als Beispiel, auch auf die allgemeine, strukturell prekäre Lage der Buchbranche hinzuweisen.
Edition Nautilus, ein Verlag aus Bahrenfeld: Schieflage bei den Finanzen
Sie erwähnten es: Die negative Entwicklung hat bereits vor einigen Jahren begonnen. Welche Möglichkeiten hat man als Verlag überhaupt, um im Hinblick auf äußere Umstände gegenzusteuern?
Als einzelner Verlag leider vor allem defensiv: Wenn wir feststellen müssen, dass wir trotz aller Anstrengungen keine Auflagenhöhen wie noch vor wenigen Jahren verkaufen können, dann müssen wir eben die Druckauflagen senken. Was aber pro Stück höhere Produktionskosten bedeutet, und auch die Kosten für Lizenzen, Übersetzungen, Herstellung, Covergestaltung usw. teilen sich halt auf weniger Exemplare auf. Das heißt, selbst wenn wir dann die ganze kleinere Druckauflage verkaufen, haben wir eine deutlich geringere Marge. Wir senken die Ausgaben, wo es möglich ist, beim Werbebudget, bei Messen, bei Lesereisen. Aber das geht natürlich langfristig auch immer zulasten der Sichtbarkeit. Wir schieben Nachauflagen von Backlisttiteln noch etwas hinaus; wir bewerben uns um Förderungen, wo wir können; wir haben die Ladenpreise unserer Bücher erhöht. Das sind so die Stellschrauben. Und wir kämpfen natürlich trotzdem weiter, machen aktive, engagierte, persönliche Presse- und Vertriebsarbeit, wir bauen unsere Social-Media-Präsenz aus, um die Leserschaft direkt zu erreichen.
Welche Wege wollen Sie nicht beschreiten?
Was wir nicht tun, ist, einen Kostenbeitrag von unseren Autorinnen und Autoren einzufordern, wie es einzelne andere Verlage schon eingeführt haben. Wir verstehen deren Not, aber wir sind ein Publikumsverlag mit kuratiertem Programm, und wenn wir uns dafür entscheiden, einen Titel ins Programm zu nehmen, dann, weil wir glauben, dass er wichtig ist und gelesen werden sollte und auch sein Publikum mit uns finden wird und dann hoffentlich beide Seiten daran verdienen.
Verlegerin über Nautilus: „Die Umsatzrückgänge sind insgesamt dramatisch“
Haben Sie notgedrungen Ihre thematischen Schwerpunkte hinterfragt?
Die Schwerpunkte eigentlich nicht. Wie gesagt, wir haben ein scharfes Profil und stehen ja auch politisch für gewisse Positionen. Aber einzelne Bücher, ja, das leider immer wieder. Da gab es einige, die wir gerne verlegt hätten, die wir wichtig und schön und besonders fanden, aber vor allem Übersetzungen haben wir uns oft einfach nicht mehr leisten, also angesichts der Entwicklungen nicht hoffen können, eine Auflage zu verkaufen, die sich überhaupt kalkulieren lässt und kein Zuschussgeschäft ist. Wenn dann auch die stabile Backlist wegbricht oder schrumpft, so wie jetzt, und Einnahmen aus Nebenrechten abnehmen, dann wird man schon verzagter.
Schrumpft die Leserschaft für eher linke Themen allgemein?
Das kann ich eigentlich so nicht sehen. Die Umsatzrückgänge sind insgesamt dramatisch, aber gerade etwa die politische Sachbuchreihe „Nautilus Flugschriften“ hat schon nach wie vor eine große Leserschaft und geradezu eine Fangemeinde. Das sind auch die Bücher, die sich, eher als die Belletristik, langfristig verkaufen. Und bei den Linken Buchtagen in Berlin etwa haben wir unglaublich viel Interesse erfahren, die Lesungen platzen da aus allen Nähten, es kommen so viele politisch Interessierte, auch junge Menschen, die richtig hungrig sind auf Denkanstöße und Begegnungen. Aber gerade die sind oftmals nicht die mit dem größten Budget und müssen heute noch eher auf ihren Geldbeutel achten als andere. Aber dass es die Leserschaft gibt, haben wir auch ganz deutlich daran gemerkt, wie viele Menschen nach unserem Aufruf spontan Buchbestellungen getätigt haben.
Katharina Picandet: „Wir sind gelernte und erprobte Optimisten“
Wie viel Durststrecke ist machbar, gibt es schon ein Szenario, in dem Sie sagen: Es ergibt keinen Sinn mehr, weiterzumachen?
Klar gibt es den Punkt, abstrakt, aber ehrlich gesagt, den malen wir uns nicht aus. Das ist kein Szenario, das uns im Hinterkopf herumspukt. Wir haben wenig, aber nicht kein Geld, wir haben keine Bankschulden, wir haben Fachwissen, Erfahrung, symbolisches Kapital und Ressourcen und ein Netzwerk um uns herum, wir sind kollektiv und flexibel und außerdem gelernte und erprobte Optimisten – das wird schon.
Was halten Sie von staatlicher oder kommunaler Unterstützung für unabhängige Verlage?
Das ist ganz einfach: Ohne eine strukturelle Verlagsförderung wird es wohl leider auf die Dauer gar nicht mehr gehen. Genauso wenig wie bei Programmkinos, Orchestern oder Theatern. Die Strukturen sind einfach schwach geworden. Der ehemaligen Kulturstaatsministerin Monika Grütters war das ja ein wichtiges Anliegen, sie hat ja auch die Studie dazu in Auftrag gegeben, die genau diesen Bedarf zum Ergebnis hat. Claudia Roth hat, scheint mir, andere Prioritäten und natürlich auch andere Voraussetzungen, die Haushaltslage ist ja nicht nur bei uns angespannt. Aber es ist ja nachgewiesen, dass es mehrere Millionen Menschen weniger gibt, also noch vor zehn Jahren, die überhaupt jemals ein Buch kaufen: Es gibt Millionen weniger Leser.
Also strukturelle Verlagsförderung?
Dass man es jetzt nicht den Gesetzen des Spätkapitalismus oder einer „unsichtbaren Hand“ überlassen darf, für den Erhalt einer hochwertigen, diversen, tiefschürfenden und thematisch breiten Literatur- und Sachbuchproduktion zu sorgen, ist schon unmittelbar einsichtig, oder? Und genau diese strukturelle Verlagsförderung käme, jetzt mal finanzpolitisch gedacht, ja auch nicht nur denjenigen Bundesländern zugute, in denen Verlage ihren Sitz haben, sondern die Verlage geben ja Aufträge und damit Lebensunterhalt für eine ganze Branche von freien Berufen überall: Illustratoren, Buchgestalterinnen, Übersetzerinnen, Agenturen und so weiter, von Autoren mal ganz zu schweigen. Die alle sind ja ohne Einkommen, wenn die Verlage eingehen. Und nicht zuletzt braucht es das auch für die Kultur im Lande allgemein, oder? Ob nun auf Bundes- oder Länderebene, so was muss kommen. Wie man dann genau auswählt, welche Verlage förderungswürdig sind, wie das Geld verteilt wird, wie die Bewerbungsvoraussetzungen sind, das müsste im Detail geklärt werden. Aber es gibt ja Modelle dafür. In der Schweiz und in Österreich gibt es bereits eine strukturelle Unterstützung, und in anderen Ländern wie Kanada z.B. auch.