Hamburg. Die elfte Ausgabe des Festivals wagt einen eleganten Genre-Spagat. Die Headliner Amon Amarth machen aus den Männern wieder Jungs.
- Das Elbriot wagt in der 11. Ausgabe einen Genre-Spagat.
- Die Hamburger Metal- und Rockszene versammelt sich für das Tagesfestival.
- Headliner Amon Amarth schmeißen eine riesige Wikinger-Party.
Grauer Asphalt, bunt gefärbte Haare und eine in schwarzen Bandshirts uniformierte Menschenmenge: Am Sonnabendnachmittag haben sich auf dem Großmarkt bereits einige Tausend Metalheads und Rocker eingefunden – denn wie jedes Jahr ruft das Elbriot die Fans der harten Musik, um sich in Hamburg zu versammeln. Das Open Air am Großmarkt wird quasi zum „Holy Ground“ der Hamburger Metal-Szene. Klar, Vergleiche zum kürzlich beendeten Wacken Open Air sind naheliegend – aber eben doch nicht ganz passend.
Einerseits sind da natürlich die Hard Facts: Das Elbriot ist ein Tagesfestival, somit deutlich günstiger und deutlich kürzer als Wacken. Vor allem bringt das Festival die örtlichen Metal-Fans zusammen. Sonst tummeln sich diese im Hafenklang, im Logo, im Bambi Galore, im Molotow, im Headcrash und weiteren Clubs. Aber heute sind nun mal alle hier: der langhaarige Powermetal-Fan, der zutätowierte Wikinger-Aficionado, die kahl geschorene Metalcore-Madame im Fischnetz – und alle dazwischen und außerhalb. Sie alle haben Bock auf gute, harte Mucke.
Wikinger landen an der Elbe – die schönsten Fotos vom Elbriot
Elbriot-Festival am Großmarkt: Genre-Spagat ist gewagt – funktioniert er?
Und das Elbriot liefert: Die Post-Hardcore-Band The Amity Affliction könnte man (im besten Sinne!) auch als Emocore bezeichnen. Am Nachmittag sorgt sie mit ihren Lyrics über Depressionen und psychische Erkrankungen für nicht wenige nasse Augen („Don‘t coun‘t on me, because I am drowning, please don‘t drown with me“). Emotionale Screams („Pittsbourgh“) wechseln sich durchweg mit klar gesungenen Refrains („It‘s Hell Down Here“) ab. In der Kombination mit traurigen, wütenden, verzweifelten und für viele nachvollziehbaren Texten singen und schreien sich einige Festivalbesucherinnen und -besucher schon am Nachmittag heiser. Vorher haben bereits die Norweger von Bokassa, die belgische Band Brutus und (Achtung, Zungenbrecher) die Münsteraner Neaera für einen musikalisch vielseitigen Einstieg in das Tagesfestival gesorgt.
Graveyard nimmt den Besucherinnen und Besuchern dann erst mal den Wind aus den Segeln: Die Retro-Rocker mit Hippie-Vibe aus Schweden spielen eine Mischung aus psychedelischem Midsommar-Pilztrip („Rampant Fields“) und groovigen Stoner-Hymnen („Please Don‘t“). Die langen Haare lässig in der Brise flatternd, passt das Set perfekt zu der spätnachmittaglichen Sonne, die auf die – in Teilen schon deutlich geröteten – Gesichter der Festivalbesucherinnen und -besucher scheint.
Motionsless in White heizt der Menge dann in ähnlichem Stil wie The Amity Affliction ein. Jede gesungene Frage von Sänger Chris „Motionless“ Cerulli wird aus Tausenden Kehlen beantwortet. Die harten Shouts („Slaughterhouse“) und klaren Refrains („Masterpiece“) laden zum Mitsingen ein. Anschließend verbinden Beyond the Black mit Sängerin Jennifer Haben melodisch-mittelalterliche Akkordarbeit und symphonische Vocals.
Amon Amarth auf dem Elbriot: Ist das jetzt toxische Männlichkeit?
Danach ist auch schon Zeit für das große Finale. Wikinger und Metal – da wird wohl niemand sagen können, das passe nicht zusammen. Und der manifestierte Beweis steht auf dem Elbriot als Headliner auf der Bühne. Offiziell gilt Amon Amarth als Melodic-Deathmetal-Band. Inoffiziell ist es deutlich leichter auszusprechen: Viking Metal. Ein riesiges Drachenschiff, Feuersäulen bis nach Walhalla und zwei riesige aufblasbare Krieger bestimmen das Bühnenbild. Die fünfköpfige Gruppe um Johann Hegg aus Schweden erfreut sich seit Jahrzehnten enormer Beliebtheit auf internationalen Festivals und großen Bühnen.
Kurz vor dem Start des Sets passiert es dann: Zuerst kühlt die Luft merklich ab, die Wolkendecke verdichtet sich. Während hinter dem Vorhang „Raven‘s Flight“ angespielt wird, öffnet der Himmel die Schleusen. Der kurze Schauer kann sich aber nicht durchsetzen, denn die riesigen Feuersäulen von der Bühne lassen jeglichen Regen, den der Donnergott Thor auf die Menge nieseln lässt, sofort verpuffen.
Amon Amarth auf dem Elbriot: Die Menge rudert wie wild
Schon zu Beginn des Sets („The Pursuit Of Vikings“, „Guardians Of Asgard“) bildet sich ein großer Moshpit. Der wird dann aber schnell zum Ruderboot umfunktioniert („Heidrun“). Reihenweise Fans setzen sich auf den Boden und rudern ein imaginäres Drachenboot („Put Your Back Into The Oar“). Die Texte handeln oft von blutigen Kämpfen, epischen isländischen Sagas und befeuern Werte wie Heldenhaftigkeit oder Brüderlichkeit (und seien wir mal ehrlich, mit der Historizität ist es auch nicht immer weit her). Ganz gut fasst es der Liedtext von „Shieldwall“ zusammen: „Warfare, Honour, Glory, Death“ („Kriegskunst, Ehre, Ruhm, Tod“).
Nun könnte man – nicht ganz ungerechtfertigt – meinen, die Jungs von Amon Amarth sprechen eine männliche Zielgruppe an und setzen mit ihren Themenschwerpunkten auf Hypermaskulinität. Wenn man den langhaarigen Schweden aber in die Gesichter schaut, sieht man da nichts Aggressives oder Toxisches, sondern einfach eine übertriebene Freude an der harten Musik und den brutalen Texten. Und das spiegelt sich auch – egal welches Geschlecht – in den Gesichtern der Besucherinnen und Besucher. Hegg: „Hamburg, do you want to feast like vikings?“
Wikinger landen an der Elbe – und die Hamburger heißen sie willkommen
Der übertriebene musikalische Fokus auf epische Kämpfe und Raubzüge wird nämlich ekstatisch, aber eben komplett friedlich ausgelebt: Während verkleidete Wikinger auf der Bühne mit Schwert und Schild vermeintlich aufeinander einprügeln („The Way of Vikings“), zückt Hegg ein großes Trinkhorn von seinem Gürtel („Raise Your Horns“). Ist es nun Bier, Wasser oder sogar Met in dem Horn? Egal, lässig wird die unbekannte Flüssigkeit heruntergekippt, überschüssiges läuft gleichgültig in Heggs majestätischen Bart.
Zwischendurch ruft Hegg in die Menge: „Brothers!“ – riesiges Gebrüll ist die Antwort. Dann: „Sisters!!“ – riesiges Gebrüll kommt zurück. Letztlich: „Vikings!!!“ – und die Menge tobt. Daran sieht man: Bei Amon Amarth geht es nicht um Maskulinität oder Kämpfen oder sonst was. Vielmehr geht es darum, zusammen eine große Party zu feiern und eine spaßige Zeitreise zu erleben. Recht harmlos also, diese grimmigen Wikinger.