Hamburg. Hektik pur in der Küche und permanenter Sozialstress, weil alles perfekt sein muss. Das soll man sich gerne anschauen? Aber ja – und wie.

Sie denken, in diesem Serien-Jahr kommt nix mehr? Stimmt nicht. Bald läuft die zweite Staffel der japanisch-südkoreanisch-amerikanischen Familiensaga „Pachinko“. Und jetzt schon gibt es die dritte Staffel der amerikanischen Restaurantserie „The Bear“. Das ist die Serie mit dem ständigen Rumgebrülle, den schnellen Schnitten, den Nahaufnahmen von Gesichtern und vor allem teuren Fressalien, in die sich Serien-Gourmets längst schwer verliebt haben.

Die Serie, die im Original den Namen „The Bear: King of the Kitchen“ trägt, wurde von ihrem Schöpfer Christopher Storer 2022 als perfekte Erzählung über das Streben nach Perfektion eingeführt. Und hat danach völlig zu Recht ein paar Golden Globes und Emmys eingefahren. Die Dramedy ist ein tragikomisch aufgeladener Küchen-Thriller (ein bisschen) und eine Feelgood-Geschichte (sehr!), bei der man Gefallen und Glück nicht allein an und in der ästhetisch und erzählerisch so immens gelungenen Machweise findet.

Staffel 3 von „The Bear“ auf Disney+: Ein Zehnteiler, der definitiv glücklich macht

Sondern vor allem daran, wie zärtlich die Menschen, trotz aller Dysfunktionalität der Beziehungen, im Grunde miteinander umgehen, in den leisen Momenten. In der Küche – hinter den Kulissen der Haute Cuisine knallt es permanent – arbeiten alle unter höchster Anspannung und schleppen auch noch ihre Alltagsprobleme im Zwischenmenschlichen mit an den Herd. Aber man hat sich doch lieb, man sagt sich das auch ständig: „Ich bin da für dich“. Viel Beziehungspathos, es ist die amerikanische Art, Gefühle zu zeigen und zu erzeugen. Wieder mal ganz großartig. Man ist halt eine Familie, obwohl nicht alle blutsverwandt miteinander sind.

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Was bislang passierte: Der junge Top-Koch Carmy (Jeremy Allen White) kehrte nach dem Suizid seines Bruders und Bistro-Chefs aus New York nach Chicago zurück, um den hemdsärmelig geführten Fastfood-Laden „The Original Beef of Chicagoland“ zu retten. Carmy hat aber noch viel mehr Pläne mit der, was die Beziehungen untereinander angeht, toxischen Sandwich-Bude, die nach seinem Eingreifen „The Bear“ heißt und nicht mehr schnöde Fleisch im Brot, sondern ganz feine Kost anbietet. Das ist das Thema der zehnteiligen, wieder glorreichen dritten Staffel: Wie Carmy einen Michelin-Stern für sein Feinschmecker-Restaurant holen will.

Restaurantserie „The Bear“: Ein doppelter Foodporn auf Disney+

Die erste neue Folge ist der Hammer, eine Meditation über das Zubereiten von Essen, ein Bewusstseinsstrom mit sphärischer Musik, in dem kaum gesprochen wird, Carmy in the mix, gestern und heute, Rückblenden in seine Zeit als lernender Koch in New York. Natürlich ist „The Bear“ eine Liebeserklärung, doppelter Foodporn. Weil hinter der Liebe und dem Anrichten (Ästhetik ist fast genauso wichtig wie Geschmack, ständig wird das Träufeln von Delikatem wie Fenchelsauce gezeigt) auch die nackte Wahrheit der Knochenjobs in den Restaurants zu sehen ist.

The Bear
Der Küchenjob als Knochenarbeit: Jeremy Allen White als Carmen ‚Carmy‘ Berzatto © Copyright 2022, FX Networks. All rights reserved. | Copyright 2022, FX Networks. All rights reserved.

Carmy will Sidney (Ayo Edebiri), die zweite Köchin, zur Teilhaberin machen (warum zögert sie nur?), damit sie ihm bei seinen ambitionierten Vorhaben Druck machen kann. Die Serie, die nicht zu knapp von ihren mal derben („Fuck you!“), mal absurden Dialogen lebt, baut weiterhin auf die Dynamiken zwischen den Charakteren. Neben der unterschwelligen Konkurrenz zwischen Carmy/Sidney ist es vor allem das negative Kraftfeld zwischen Carmy und Chefkellner Richie (Ebon Moss-Bachrach), das die Stimmung im Laden anheizt.

„The Bear“ auf Disney+ ist auch wegen seines Soundtracks eine Wucht

Der bewährte Rhythmus der Serie wird auch diesmal beibehalten. Auf eine hyperhektische Aggrofolge, die den Arbeitsalltag in dem unter festen Zeitlimits („Jede Sekunde zählt“) ächzenden und trotz immer voller Bude rote Zahlen schreibenden Restaurants zeigt, folgt eine, die den ganzen Sozial- und Arbeitsstress wieder herunterkocht. Zum Beispiel, indem sie im Rückblick die Geschichte von Köchin Tina (Liza Colón-Zayas) erzählt.

Der Soundtrack ist wieder sehr gut. Klassische Musik, die das Zusammenspiel der Restaurantcrew untermalt, Radiohead, Kate Bush, Eddie Vedder, The Rolling Stones, Beastie Boys, Weezer, James, Smashing Pumpkins. Und was ist in der Sterneküche los? Spargel mit Entenei und Kartoffel, Lendenbraten mit Pilzkirschjus, Jakobsmuscheln mit Trüffelschichten, umhüllt von Spinat und in Blätterteig gewickelt. Hunger bekommt man auf jeden Fall. Da man aber weiß, dass die lächerlichen Portiönchen eh nicht im Ansatz satt machen, würde es vielleicht auch ein Burger tun, so das persönliche Empfinden..

Richie („Ich bin ein Pirelli-Typ“) hat überhaupt keine Lust auf die Hatz nach dem französischen Stern. Carmy hat sein Love Interest Claire (Molly Gordon), weil sie ihn ablenkt angeblich, tief verletzt. Wie weit darf Ambition gehen? Welche Form von Erlösung sucht Carmy, dem nie etwas gut genug ist, im Kochen, das für ihn nichts weniger als Kunst ist, neben all dem Handwerk? Das ist ein Großthema dieser kolossal unterhaltsamen Serie, die das erreicht, nach dem ihre Heldinnen und Helden streben: Extraklasse. In einer herausstechenden Folge hat Jamie Lee Curtis ihren Auftritt als Clan-Mutter; es ist alles über-emotional, das ist das Rezept dieser grandiosen Serie.

Die neuen Folgen von „The Bear: King of the Kitchen“ sind ab dem 14. August auf Disney+ abrufbar.

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