Hamburg. Die besten US-Serien: Die Romanadaption „The Changeling“ ist ein Gruselmärchen. Und „The Bear“? Herzzerreißend unentspannt.
Der epische Atem, der durch diese Story weht, nimmt seinen Anfang bei den historischen Norwegern, die im Sturm in der Neuen Welt anlanden. Dass der Erzähler, der aus dem Off Atmosphäre schafft, so schön vom Märchen raunt („Würde man überhaupt merken, wenn man in eines geraten ist?“), das hier geschildert wird – nervt gar nicht. Im Gegenteil: Die neue Apple-Serie „The Changeling“ (abrufbar ab 8. September) ist ein düsteres Gruselstück, das ganz viel richtig macht.
Aber schreckhafte Eltern kleiner Kinder sollten sich die TV-Adaption von Victor LaValles Roman vielleicht besser gar nicht geben. Alle anderen bekommen eine typische Serie mit dem etablierten Apple-Look, der in jeder Szene die hohen Produktionsstandards und das hohe Budget verrät. Viele Szenenwechsel, eine exzellente Besetzung, eine clever arrangierte Geschichte; hier wussten die Drehbuchautorin Kelly Marcel und Regisseurin Melina Matsoukas genau, was sie tun.
Neue TV-Serie „The Changeling“: Sturzgeburt in der U-Bahn
Es geht um ein New Yorker Paar, das ein Kind bekommt. Um aus der eigenen Kindheit rührende Traumata, die sie heimsuchen. Um elterliche Überforderung. Oh ja, Babystress rüttelt an die Grundfesten des Nervensystems. Bei Apollo Kagwa (LaKeith Stanfield, „Judas And The Black Messiah“) und seiner Frau Emma (Clark Backo) geht es mit einer Sturzgeburt in der U-Bahn los. Aber die Euphorie ist schnell weg, besonders bei ihr. Postnatale Depression ist gar kein Ausdruck. Hat sie eine Psychose? Emma schläft nicht, glaubt nicht, dass ihr Sohn wirklich ihr Sohn ist und erhält mysteriöse Fotos auf ihrem Handy. Die Frau wird zum Zombie in Muttergestalt.
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Armer Apollo! Nach dramatischen Vorgängen steht er plötzlich alleine da. Und dann auf einer seltsamen Insel vor New York, auf der sich militante Opfermütter zusammengefunden haben. Die Rächerinnen setzen seinem sinistren Irgendwie-Buddy William Wheeler (Samuel Herring) ordentlich zu. Aber als Zuschauer wartet man nur darauf, bis Apollo endlich kapiert, dass hier vor allem ein Hexenfluch am Werk ist. Und man will die grässliche Alte am Wasserfall in Südamerika, der Emma einst zu nah kam, unbedingt wieder sehen, um danach schlecht zu schlafen.
„The Changeling“ ist ein ordentliches Mystery-Kaliber. Aber „The Bear“, dessen zweite Staffel nun auf Disney+ abzurufen ist, ist mehr als ordentlich. „The Bear: King of the Kitchen“ ist sensationell gut, sogar perfekt, vielleicht die beste Serie der absoluten Gegenwart, jetzt, wo „Succession“ fertig ist. Ein New Yorker Sternekoch, der nach dem Tod seines Bruders nach Chicago heimgekehrt ist, um den abgeranzten Imbiss der Familie wieder auf Vordermann zu bringen: Das setzt die hektisch inszenierte Handlung (Handkamera!) in Gang.
Restaurantserie „The Bear“: Eine hinreißende Erzählung über Menschen und ihre Sehnsüchte
Und das war die Geschichte der ersten, hochgelobten Staffel, in der Carmen „Carmy“ Berzatto (Jeremy Allen White) mit seiner Borderline-Crew (brillant: Ayo Edebiri als Souschef Sidney Adamu) lieber Sandwiches als Haute Cuisine machte. Immer alles so herzzerreißend unentspannt, dieses zwischenmenschliche Miteinander, in dem sich die totale Härte mit leiser Zärtlichkeit abwechselt. „The Bear“ ist eine hinreißende Erzählung über Menschen und ihre Sehnsüchte, ihre Schwächen, ihre Bedürftigkeit.
Was macht diese Serie mit einem? Man möchte unbedingt selbst ein Bistro betreiben. Man möchte unbedingt selbst kein Bistro betreiben. Man hat permanent Hunger, abwechselnd auf Schokomuffins und Huhn. Vegetarier kommen wenig auf ihre Kosten, übrigens.
In den neuen zehn Folgen dieser Fress- und Familienfabel ist Carmy dabei, aus der Kaschemme etwas Neues zu machen, mit mehr Style und Geschmack. Die Charaktere bekommen noch mehr Tiefe, es ist wieder alles Drama, Baby, es ist alles Dramedy, zum In-die-Hose-Pinkeln vor Lachen und Pipi-in-den-Augen-Haben vor Rührung. Die erste Staffel war eigentlich kaum zu toppen, aber genau das ist hier geschehen.