Bayreuth. Die Festspiele beginnen mit einer arg statischen Neuinszenierung von Wagners Liebesdrama. Auch musikalisch ist das wenig überzeugend.

Wieder ein bisschen was über Regie-Theater-Freiheiten gelernt in Bayreuth: Das mit dem ganz und gar sterblich Verlieben in Wagners „Tristan und Isolde“ nach einer gemeinsam eingenommenen Runde Liebestrank für die tragisch endenden Hauptfiguren, das muss doch gar nicht sein. Die können auch komplett ohne magische Nachhilfe einander verfallen, bis der eine an seinen Wunden stirbt und die andere wegen gebrochenen Herzens „in des Welt-Atems wehendem All“ abhebt. In der leider arg statischen und einfallsarmen Neuinszenierung durch den Isländer Thorleifur Örn Arnarsson fiel diese Schlüsselszene im ersten Aufzug aus – und beide, voneinander hin und weg, auch ohne um. Wo die Liebe halt so hinfällt. 

Dafür kam, na so was, im zweiten Aufzug überraschend das flüssige Gift zum Einsatz: Tristan lief nicht absichtlich ins Schwert seines Gegners, wie es immerhin im Text steht und bewährt Sinn ergibt – er nahm einen Schluck und kollabierte. Im dritten Aufzug war es Isolde, die sich, erneut ganz gegen die Vorlage, mit dem Rest des üblen Zeugs den Rest gab, anstatt in eine andere Welt zu vergehen.

Bayreuther Festspiele: „Tristan und Isolde“ leiden auf der Standspur

Im Groben und Ganzen war es das aber auch schon mit dieser Neu-Aufsicht auf dieses Stück. Wären die musikalischen Leistungen durchgängig packender als das Konzept gewesen, ok, das würde sich in der Bilanz dieser Festspiel-Premiere halbwegs zurechtmitteln. Doch auch dieser Teil des Abends war stellenweise nur mittel statt prächtig. Und das, obwohl und nachdem Arnarsson in Hannover vor einigen Monaten einen kluge Fragen stellenden „Parsifal“ als Gesellenstück auf dem Weg zum Grünen Hügel abgeliefert hatte. 

Salzburger Festspiele 2024 - Tristan und Isolde
War es noch ein Schiff oder schon ein Schloss? Man weiß es nicht so genau, was das Bühnenbild für den zweiten „Tristan“-Aufzug darstellen sollte. © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath | Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele: Andreas Schager übertreibt stimmlich als Tristan

Natürlich „konnte“ Andreas Schager, in Bayreuth seit Jahren auf die Angstpartien abonniert und 2024 außerdem auch noch der aktuelle Parsifal, seinen Tristan mit großem Aplomb in den Saal schmettern, und natürlich war bei ihm auch im gefürchteten dritten Aufzug noch Stimmmaterial satt zum Verfeuern drin – allerdings übertrieb er es dort mit der Präsentation seiner gut trainierten Vokalmuskeln und drückte auch mal nach, anstatt nur frei zu strahlen.

Camilla Nylund dagegen war als Isolde in der Substanz gefordert; ihre Stimme ist für diese Partie nicht satt hochdramatisch und musste sich in die Höhe strecken. So bildete dieses an sich so sinnlich glühende Liebespaar ein ungleich temperiertes Duo. Nylunds Isolde hätte einen mit praktisch jedem Ton, jeder Phrase gegen das harte Festspielhaus-Holzgestühl schieben sollen. Doch man wurde lediglich mal mehr, mal weniger markant angeweht, aber nicht konsequent weggeblasen. Erst im Finale erreichte sie ein größeres, beeindruckendes Format.

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Nicht ganz auf der Höhe seiner Tiefe war Günther Groissböck als König Marke. Optisch wie ein Lichtdouble für eine Führungskraft der Nachtwache in „Game of Thrones“ ganz in Rabenschwarz, stimmlich eher im Halbschatten. Christa Mayers Brangäne war besser und souveräner, als es die Größe ihrer Dienerin-Partie erfordern würde, und damit als Supporting Singer mitunter prägnanter als Isolde im Zentrum des Geschehens. 

Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson,
„Das wird intensiv“, hatte der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson bei einem Abendblatt-Interview über sein Regie-Debüt bei den Bayreuther Festspielen mit Wagners „Tristan und Isolde“ angekündigt. Es kam, nun ja, auch anders. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez
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Ein chronisches Bayreuth-Problem zeigte sich erneut bei diesem Festspiele-Auftakt: je kleiner manche Rollen, desto besser die Textverständlichkeit bei der Ausführung. Gerade hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth, offenkundig nicht themenfest, mehr Bayreuth-Verständnis gefordert. Das könnte sie haben, auch ohne ausgerechnet eine derart ausgelatschte Weihnachtsmärchen-Oper wie „Hänsel und Gretel“ in den Spielplan hinein zu verordnen, vorbei an Sachkenntnis der Bayreuther Festspiel-Spielregeln und erst recht über kulturpolitische Anstandsgrenzen hinweg.

Etwas fränkischer formuliert: Eine denkmalschutzverträgliche Übertitelanlage, so viel kann das nicht kosten, die täte wahre Wunder bewirken. Für die Verständlichkeit halt wär’s schön. Das sollte in den gerade von Bund und Bayern stolz verkündeten 84,7 Millionen Euro für die Sanierung doch drin sein. Dann müsste man, wie auch an diesem Abend, nicht mehr raten, in welcher Sprache der fein gedrechselte Text stundenlang nicht zu verstehen war.

Festspielhaus Bayreuth
Das Bayreuther Festspielhaus, seit 1876 Spielstätte der Bayreuther Wagner-Festspiele. © picture alliance/dpa | Daniel Karmann

Bychkov kam erst im Schlussteil dazu, die in der Partitur angelegte Farbenpracht aufzufächern

Ebenfalls unverständlich war auch, warum und wie sehr Semyon Bychkov im Orchestergraben das Tempo, den Zug, den kirre machenden Sog aus dieser Musik, die dafür berüchtigt ist und geliebt wird, herausnahm, nachdem er bereits das Vorspiel eher durchbuchstabierte als aufheizte. Insbesondere der zweite Aufzug zog sich und zog sich, und danach zog er sich noch etwas mehr. Auch Bychkov kam erst im Schlussteil dazu, die in der Partitur angelegte Farbenpracht aufzufächern.

Und die Regie? Arnarsson geriet nicht ansatzweise in die Nähe einer bewegenden Deutung dieses Musikdramas. Im Gegenteil. Er parkte sein Ensemble in der Kulisse, und obwohl gerade in dieser Wagner-Oper ständig über heftigst aufwallende Gefühle berichtet wird, die man bebildern, beleuchten, bewegen müsste, sangen alle über ermüdend weite Strecken stocksteif vor sich hin und einander an. Und wer nicht sang, stand einfach wie scheintot herum – besonders gern jene, die eigentlich ganz tot sein sollten.

Salzburger Festspiele 2024 - Tristan und Isolde
Das Bühnenbild für den dritten Aufzug von Richard Wagners Oper „Tristan und Isolde“, inszeniert von Thorleifur Örn Arnarsson, mit dem die Bayreuther Festspiele 2024 eröffnet wurden. © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath | Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath

Bayreuther Festspiele: Tristan im Playmobil-Ritterkostüm

Es ging im Dritteldunkel los und blieb auch sonst unklar: Isolde erschien zunächst in einem riesigen (Braut?)kleid, auf dessen Stoff schon viel, was auch immer, über sie und ihr Vorleben steht und den sie weiter beschrieb, bis es ans Singen ging. Tristan betrat in einem Playmobil-Ritterkostüm die von Vytautas Narbutas eingerichtete Szene. Drumherum hingen einige Wanten-artige Seile vom Bühnenhimmel. Es kunstnebelte gediegen um ein großes Loch in der Bühne herum, und am Ende des ersten Aufzuges deutete sich im Hintergrund eine Art Schiffsrumpf an.

Der schob sich im zweiten Aufzug in den Vordergrund. War es noch das Innere des doch bereits verlassenen Schiffs nach Cornwall, war es schon die Innenansicht eines Schlosses, eine riesige Gefängniszelle? Man weiß es nicht. Auf jeden Fall aber war das Ding dekorativ zugerümpelt, mit einigen Memorabilia der europäischen Kulturgeschichte. Im Restlicht klar erkennbar war ein Caspar-David-Friedrich-Gemälde. Der Rest blieb eher Bilderrätsel. Und den Garten als Rendezvous-Spielwiese für die „Nacht der Liebe“ musste man sich eh denken.

Auch das dritte Bühnenbild verwirrte mehr, als dass es erhellte

Auch das dritte Bühnenbild verwirrte mehr, als dass es erhellte. Mittendrin lag der moribunde Tristan, auf und nieder, immer wieder erhob er sich, echauffierte sich und schwächelte umgehend wieder. Kein Schiff kam in Sicht, obwohl es besungen wurde, aber dennoch kam Marke. Tristan verblich, Isolde verzweifelte und verklärte, bis der Vorhang fiel. Tosender, aber nicht endloser Beifall für das Titel-Paar, das Ensemble und auch den Dirigenten, bis das Inszenierungsteam sich, Bayreuth bleibt sich da gern treu, seine Buhrufe abholte.