Hamburg. Der Countdown läuft: Thorleifur Örn Arnarssons Inszenierung von „Tristan und Isolde“ eröffnet am 25. Juli die Bayreuther Festspiele.

Eine Nacht zum Nachdenken. Ganz allein mit sich und der Stille und dieser Musik von Wagner, einmal durchgehört in seiner Hütte in der Nähe des isländischen, sagenumwobenen Vulkans Hekla. Danach war Thorleifur Örn Arnarsson klar: Ich mach das. Klar mach ich das. Klar doch sage ich Katharina Wagner zu, im Sommer 2024 bei den Bayreuther Festspielen „Tristan und Isolde“ zu inszenieren.

Gut zwei Jahre ist diese Weichenstellung jetzt her, vor einem Jahr wurde es offiziell verkündet. Inzwischen rast dieser eine Premierentermin am 25. Juli heran, auf den die gesamte Wagner-Welt alle Jahre wieder schaut. Und der Regie-Debütant hat tatsächlich kurz Auslauf vom Grünen Hügel, von den Proben mit Andreas Schager und Camilla Nylund in den Titelpartien und Semyon Bychkov im legendären Bayreuther Orchestergraben. Arnarsson, scheinbar tiefenentspannt bis auf ein dauerwippendes Bein, ist in Hamburg, am Schauspielhaus, für ein Theater-Bildungs-Projekt. Ein bisschen Tapetenwechsel und Ablenkung.

„Tristan und Isolde“ bei den Bayreuther Festspielen: „Das wird intensiv“

Am Thalia Theater war er öfter, wurde dort 2021 für seine Ibsen-Adaption „Die Wildente“ gefeiert. Im vergangenen Herbst zeigte Arnarsson mit einem konzeptionell interessant verrätselten „Parsifal“ in Hannover, dass ihm auch das große, heikle Opern-Besteck liegt, obwohl bislang nicht viele Musiktheaterstücke in seinem Lebenslauf stehen. Und nun also, genau deswegen womöglich, gleich „Tristan“, in Bayreuth auch noch, eines dieser Superschwergewichte. „Mich zieht Komplexität an“, flachst er zurück. Einiges von Shakespeare hat der 45-jährige Sohn eines Schauspieler-Ehepaars bereits inszeniert, das ist auch hier die ungefähre Flughöhe, „eine Reise, die nie zu Ende ist“.

Die ersten Wagner-Etappen fanden noch an kleineren Adressen statt: „Lohengrin“ 2014 in Augsburg. Ein „Siegfried“ 2017 bei einem „Ring“ in Karlsruhe – die finale „Götterdämmerung“ inszenierte damals ein gewisser Tobias Kratzer, der im nächsten Jahr in Hamburg als Staatsopern-Intendant beginnt. Das Wagner-Universum ist klein. 2022 „Temple of Alternative Histories“, eine interdisziplinäre „Ring“-Draufsicht aus Tanz und Theater in Kassel.

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Und dann kam der Anruf aus Bayreuth, mitten in der Arbeit am „Parsifal“ für Hannover. Gutes Timing. Nicht die Hausherrin rief an, das überließ sie dem Chefdisponenten. Ob er sich das vorstellen könne, und bei Interesse könne er ein Telefonat mit der Intendantin arrangieren. „Lange habe ich nicht gezögert“, erinnert sich Arnarsson an diesen Moment, dem die Nacht beim Vulkan folgte. Und liefert auch gleich die Erklärung fürs Ja zum „Tristan“ nach: „Das ist ein Stoff, der unheimlich tief in die menschliche Seele schaut – und der mich in diesem Moment in meinem Leben zutiefst angesprochen hat.“

Ein Blindflug im Orchestergraben sollte es natürlich nicht sein, Semyon Bychkov war als Dirigent gesetzt, und die Harmonie mit ihm stimme. „Wir könnten ewig weiterforschen, es gibt einen sehr lebendigen Dialog zwischen uns.“

Strenge Schweigepflicht über die Inszenierung, aber dennoch...

Natürlich hat Arnarsson in Bayreuth heiligste Eide schwören müssen, vorab nichts, gar nichts, noch viel weniger als null über sein Konzept zu verraten. Aber ein bisschen was, nur eben nicht besonders konkret, geht dann doch beim Probenpausentreffen im innerdeutschen Ausland, 470 Kilometer vom Grünen Hügel entfernt: „Ich wollte den Abend sehr auf die Figuren konzentrieren. Letztendlich ist das eine Kammeroper, ein sehr intensiver Stoff zwischen Menschen. Deswegen wollte ich eine Welt erschaffen, die eine Grenze zwischen der realen Außenwelt und den inneren Landschaften bildet.“

Der Tristan, den man im Stück treffe, sei „zutiefst depressiv und verletzlich. In der Vorgeschichte bei Wagner, anders als bei der Urquelle, lag Tristan verwundet am Strand, ist er eben nicht dieser strahlende Held, sondern ein verwundeter Mensch an der Grenze des Lebens. Und vor ihm steht Isolde, die bis dahin wie eine Münze im Machtspiel der Welt ist. Aber in dem Moment ist sie ein aktiver Agent, Subjekt statt Objekt. Dafür wurde sie gezüchtet. Von Liebe ist da keine Rede. Sie treffen sich in dem Moment, in dem sie aus ihren Rollen gefallen sind und begegnen sich als reale Menschen. Das ist der Moment, in dem eine tiefe Beziehung entsteht. Die ganze Oper ist ein Ringen darum, diesen außerordentlichen Moment wiederherzustellen. Und dessen absolute Unmöglichkeit.“

Kammerspiel dürfte allerdings relativ sein. „Ich stelle die Menschen in den Vordergrund“, betont Arnarsson, „aber das ist eine riesige Bühne...“ Andreas Schager, „sein“ Tristan und weltweit auch auf diese Wagner-Rolle abonniert, habe ihm gesagt, das Setting fühle sich an wie Old-School-Zaubertheater. Keine Videos, die ablenken könnten. Volle Konzentration, so soll es also werden. Die Inszenierung, in nur einem Satz beschrieben? „Die wird intensiv.“

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Mit Schager und Bychkov hatte sich Arnarsson vor einem Jahr zum gemeinsamen Einnorden auf das Stück in Madrid getroffen. Die allererste Frage Schagers an ihn sei dort gewesen, ob er schon mal einen „Tristan“ gemacht habe. Nein, „ach gut… endlich“. Unverstellter Blick also, als Pluspunkt verstanden, das war der Beginn einer „tiefsinnigen Zusammenarbeit, auf der Suche nach den Abgründen und der Form, wie man diese unfassbar schwierige Partie so singen kann, dass dreidimensionale Menschen vor einem stehen“. Schager ist Tristan-Routinier, für Nylund, so Arnarsson, sei es das erste Mal, nicht einzuspringen, sondern sich von Anfang an, von Grund auf diese Partie zu erarbeiten.

An sein eigenes erstes Mal in den brettharten Stühlen im Festspielhaus erinnert sich Arnarsson natürlich. Die isländische Wagner-Gesellschaft hatte ihn eingeladen, gegeben wurde Frank Castorfs „Siegfried“, 2017 war die Premiere, unvergessen auch wegen der Krokodile, die Castorf auf seiner Alexanderplatz-Version platziert hatte.

Thorleifur Örn Arnarsson: „Ich bin nicht sehr nervös“

Wie nervös er jetzt sei, wo es ernst wird, auf der Skala von 1 bis 10? „Ich bin nicht sehr nervös. Und in Endproben werde ich eher ruhiger.“ Auch die Angst vor dem Valentin-Schwarz-Fluch (2022 wurde dieser Bayreuth-Erstling für seinen „Ring“ von der Kritik verbal heftig vermöbelt) kann Arnarsson nur sehr bedingt schrecken. Bei der Premiere seiner ersten Operninszenierung (eine „Fledermaus“ 2012 in Augsburg) habe es während der Vorstellung Schlägereien im Saal gegeben, berichtet er, und manche dachten damals, er hätte auch das inszeniert.

Wer sich das Bühnengeschehen nicht ansehen wollte, dem hatte der Regisseur nämlich angeboten, stattdessen auf Bildschirmen halt nur die Partitur mitzulesen. Was soll also in Bayreuth, berüchtigt für heftigen Premieren-Rabatz gerade auf den teureren Plätzen, noch an massivem Ärger kommen? Arnarsson wird es jedenfalls direkt miterleben, er ist bei Premieren nicht etwa in sicherer Entfernung in der Kantine, er ist immer bei dieser Geburtsstunde im Saal.

Bleibt eines noch zu klären: Nur einen Tag nach Arnarssons Premiere startet in Bayreuth die letzte Aufführungsserie von Kratzers Regie-Publikumsliebling „Tannhäuser“. Sieht man sich auch unter Regisseuren mehrfach im Leben, gab es schon Probenpausengespräche über ein gewisses Opernhaus in Elbnähe, ab Herbst 2025 oder auch später? „Wir haben uns blendend verstanden“, antwortet Arnarsson nicht, „aber zu diesem Gespräch ist es noch nicht gekommen. Wer weiß?“

Die Premiere von „Tristan und Isolde“ am 25.7. bei den Bayreuther Festspielen wird als Livestream auf www.abendblatt.de zur Verfügung stehen.