Bayreuth. Das Publikum wollte “Ring“-Regisseur Valentin Schwarz offenbar tief ins Mark treffen. Beim Finale hatte er gleich doppelt Pech.

Als Albert Dohmen, der seinen Finsterling Hagen solide abgesungen und arg desinteressiert heruntergespielt hatte, vor der Vorhang kam, zuckte er entschuldigend mit den Schultern: Ich kann doch auch nichts dafür, ich arbeite nur hier, schien das signalisieren zu sollen. Schon in den vorangegangen Akt-Pausen der „Götterdämmerung“ hatte das Bayreuther Publikum für den brutalen Buh-Sturm Anlauf genommen, mit dem man am Ende den „Ring“-Regisseur Valentin Schwarz und sein Team tief in Mark traf und verletzen wollte.

Eine Erfahrung, die man niemandem wünscht, der als sich Anfangs-Dreißiger im speziellsten Opernhaus der Welt diesen Job früh zugetraut hatte und diese Once-in-a-lifetime-Chance tatsächlich auch bekam.

Bayreuther Festspiele: Buh-Sturm für "Götterdämmerung"

Schwarz’ Publikumsbeschimpfung war nicht das einzige Künstlerpech: Erst-Siegfried Stephen Gould hatte sich kurzfristig krank gemeldet, danach wohl auch der Reservist Andreas Schager, so dass man den Amerikaner Clay Hilley einen Tag vor der Premiere aus dessen Italien-Urlaub einflog und ihn nach komprimierter Szenen-Einweisung nicht nur das Singen, sondern auch das Darstellen dieser Hauptrolle zutraute.

Unter diesen Umständen ist Hilley kein Vorwurf zu machen, dass er nicht immer frei und heldentenoralhaft auftrumpfen konnte, sondern lieber auf Sicherheit und Risikovermeidung achtete. Extra-Pech im Pech, sehr symbolisch zudem: Im ersten Akt rutschte Hilley auf verschüttetem Vergessenstrank aus und sorgte damit garantiert für einige Schrecksekunden hinter der Bühne.

Letzter Akt stolpert szenisch k.o. über die Zielgerade

Wieder und wieder war es in den ersten „Ring“-Teilen zu Verfremdungsaktionen gekommen, wieder und wieder blieb die Regie Antworten auf ihre An- und Umdeutungen schuldig. Die ersten zwei Akte konnte man resthoffen, dass die Regie sich in der allerletzten Etappe nicht mehr groß verlaufen und noch weiter in selbstverschuldete Engen treiben würde. Alle Weichen in ein beziehungsverfremdetes „Ring“-Paralleluniversum waren ja bereits verlegt und gestellt worden.

Der allzu stark vernebelte Mummenschanz mit Wotan-Masken beim Heerruf Hagens zeigte aber, dass die Regie in größter Not eben doch wieder auf Mythen und Symbole zurückgriff, um die nach dem Motto „Wer steht, sündigt nicht“ frontal auf der Bühne geparkten Charaktere mit traditioneller Bedeutung aufzuladen.

Leider gelang es Schwarz, auch diese Hoffnung noch zu trüben, mit einem Finale, das matt und sinnbefreit, szenisch k.o., über die Zielgerade stolperte: Kein Weltenbrand kam, keine Rheinfluten, keine alles reinigende Katastrophe, kein Zurück aufs Los als Ring-Parabel. Stattdessen nur ein Wiedersehen mit dem Schwimmbecken vom „Rheingold“-Beginn, das zur zugemüllten Resterampe degeneriert war.

"Götterdämmerung": Gunther ist hinreißend überdreht

Siegfried angelt sich noch dort eins im Wasserloch, begleitet von seiner stummen Tochter, nennen wir sie Siegfrieda. Wenig später ersticht Hagen ihn mit einem bescheidenen Obstmesser statt mit einem Speer, Brünnhilde kommt und singt, rechtschaffen betrübt, die Leiche an. Bis ihr die Plastiktüte am Beckenrand auffällt, mit der Gunther uns ständig gezeigt wurde.

Michael Kupfer-Radecky als Gunther in der
Michael Kupfer-Radecky als Gunther in der "Götterdämmerung". © Bayreuther Festspiele | Enrico Nawrath

Darin findet sie den abgeschlagenen Kopf ihres (in diesem „Ring“ zum Personal Assistant gewordenen Pferdes) Grane, den sie so leidenschaftlich küsst, als wären wir im Finale von Strauss’ „Salome“ und dürfen uns außerdem an die Schlussszenen des Thriller-Klassikers „Se7en“ erinnert fühlen. Zwischendurch muss Hagen sein „Zurück vom Ring!“ schmettern, obwohl weit und breit nichts und niemand ist, auf den diese Beschreibung zuträfe.

Dass Gunther (hinreißend überdreht: Michael Kupfer-Radecky) nach einer blutigen Folter-Runde Grane auch noch ermordet hatte, nimmt die von Wotan verstoßene Walküre also eindeutig mehr mit als der tote Held, Liebe ihres Lebens und universaler Hoffnungsträger? Jener Held, mit dem sie, nebenbei bemerkt, auch schon die von Schwarz dazuerfundene Siegfrieda als letzte Manifestation des Ring-Prinzips in die Welt gesetzt hatte?

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Launig kostümierte Familienkräche – dafür hätte ein Netflix-Abo genügt

Siegfrieds Leichnam wartet also neben Brünnhilde auf Einäscherung und den Weltenbrand, der aber ebenso wenig noch kommt wie eine Ahnung, warum nun eigentlich das ganze, knapp sechszehnstündige Gewese um Götter, Menschen, Alben, Ring und Machterhalt durchzusitzen war. Denn am Ende ging es Schwarz, als vielsagenwollender Regisseur in einer hochkomplexen Gegenwart angetreten, nicht um epochale Gesellschaftsunordnungen oder zu überdenkende Weltentwürfe.

Sondern – etliche Thesen-Etagen schlichter und deutlich unergreifender – nur um banale, ausgiebig möblierte und launig kostümierte Familienkräche und andere Banden. Ausgefochten zwischen zu reichen und zu egoistischen Clan-Kriminellen. Dafür hätte, wenn auch mit entschieden simplerer Soundtrack-Untermalung, ein Netflix-Abo genügt.

Stimmlich desaströse Auftritte bis ins Schrille

Stimmlich desaströs verliefen die Auftritte von Iréne Theorin, die hier als Brünnhilde deutlich mehr zu singen hatte als zwei Opern zuvor am Ende der „Walküre“, was das Ergebnis aber nicht besser machte: Sie war der Herausforderung hörbar nicht mehr gewachsen, quälte nicht nur sich mit übertriebenem Nachdruck, mit unschönem Vibrato und komplett textunverständlich bis ins ins Schrille. Wie eine derartige Fehlbesetzung passieren kann, bleibt eines von vielen Geheimnissen der Bayreuther Festspielleitung. Ganz oben auf der nach unten offenen Wagner-Skala klänge anders.

Diese Leistungs-Spitze verfehlte final auch das lautstark umstrittene Dirigat von Cornelius Meister, der kurz vor „Ring“-Beginn eingesprungen war. Obwohl er sich mit jedem Stück besser mit der Akustik und den Orchester-Angeboten arrangierte – er hangelte sich durch. Die ganz großen Linien oberhalb der von ihm oft zu exaltiert betonten Momente blieben aus. Die alles tragende, so viel erzählende Magie des Wagnerischen Klangzaubers, den so nur dieses wahnsinnige Opernhaus bieten kann: Das blieb, um Schopenhauer als einen von Wagners Lieblings-Denkern zu zitieren, vor allem Wille, wurde aber nur episodenweise Vorstellung.

Die „Götterdämmerung“-Aufzeichnung des Bayerischen Rundfunks ist über dem Artikel oder unter diesem Link sowie bis zum 31.12. auf br-klassik.de/concert abrufbar.