Bayreuth. Weiterhin fährt das Regie-Konzept von Valentin Schwarz Achterbahn mit der “Ring“-Vorlage von Richard Wagner. Ein Grundproblem bleibt.

Letzte Ausfahrt „Götterdämmerung“. Die letzte Chance, um den neuen Bayreuther „Ring“ noch zur halbwegs runden Angelegenheit zu machen. Arger als bislang drehte die Regie jetzt den „Siegfried“ auf links. Mitunter wurde frontal gegen die Musik inszeniert, mit Text-Bild-Scheren, die jedem Regie-Studenten Nachsitzen einbringen würden: Das Orchester berichtete vom Schmieden des Helden-Schwerts Nothung, da hatte es Siegfried schon längst gebrauchsfertig in der Hand und musste später szenisch um diese Situation herum lavieren.

In der von Hunding übernommenen Bruchbude trägt Mime den Sternenmantel vom „Räuber Hotzenplotz“-Zauberer Petrosilius Zwackelmann auf, er konditioniert das Muttersöhnchen Siegfried, der sich von Wodka und Asia-Nudeln ernährt, mit Nacktfotos für dessen erste Begegnung mit dem Mysterium Frau und erklärt ihm per Kasperletheater Stammbaum und Bestimmung.

Bayreuther Festspiele: „Siegfried“ liefert viele „Echt jetzt!?“-Momente

Für die Bayreuth-Bingo-Karte zum Abhaken der „Echt jetzt!?“-Momente gibt es reichlich Material: Der verhaltensauffällige Mini-Hagen aus dem „Rheingold“ ist erwachsen, immer noch zu früh dran, und hat auf Krankenpfleger umgeschult, denn er wacht am Bett des altersschwachen Drachen Fafner (tiefschwarz und feinkräftig: Wilhelm Schwinghammer). Den erlegt aber nicht Siegfried mit Nothung, der stirbt vor Aufregung praktisch von allein, an Herzinfarkt.

Dafür erledigt Hagen – nicht Siegfried per Schwert – mit einem Kissen den Nebenrollen-Bösen Mime. Siegfried und Hagen, beide Kapitalverbrecher, kumpeln sich damit zusammen, um die Fallhöhe für das Finale vorzubereiten, in dem, zumindest im Original, einer den anderen umbringen soll. Man konnte also mehr und mehr für die ordnenden Hände von Cornelius Meister dankbar sein, der das Orchester nach Wackelpartien im ersten Akt klug und effektorientiert auf Linie hielt. Er reizte mehr und mehr aus, was geht.

Die "Götterdämmerung" live bei Abendblatt.de!
Wer sich im Bayreuther Festspielhaus den neuen „Ring“ ansehen will, muss für alle vier Teile Karten kaufen. Direkt beim Finale dabei zu sein, wenn die Neuinszenierung von Valentin Schwarz am Freitag mit der Premiere der „Götterdämmerung“ endet, geht in diesem Sommer aber auch einfacher: In Kooperation mit BR Klassik ist diese Premiere bei abendblatt.de zu sehen und zu hören. Der  Stream geht um 15 Uhr live, die Vorstellung beginnt um 16 Uhr.

Bei der bislang sichtbar gewordenen Sippenkräche-Vorgeschichte war klar, dass Siegfried kein herzensbraver Sympath sein würde. Andreas Schager absolvierte seinen Part fast durchgehend im fünften Gang, bei ihm gibt es immer sehr viel Heldentenor fürs Geld. Das ist auf Dauer nicht nur für ihn anstrengend. Dafür war Alexandra Steiner als Waldvogel flattrig aufgeregt. Tomasz Konieczny, der in der „Walküre“ als Wotan einen aufsehenerregenden Bühnenunfall hatte, war nun als Wanderer wieder einsatzfähig. Kann sein, dass er Mittelhochdeutsch gesungen hat, vor lauter sattdunkler Klangfarbe und breiigem Röhren blieb diese Besetzung in jeder Hinsicht unverständlich.

Brünnhilde war eine angenehme Überraschung

Angenehme Überraschung war eine Brünnhilde, die nur hier einen kurzen, strahlenden Auftritt haben darf: Daniela Köhler nutzte ihre Chance bestens, in der „Götterdämmerung“ vermisst zu werden.

Ein Grundproblem dieser „Ring“-Befragung blieb allerdings ungelöst: Schwarz will radikal aufräumen mit der Idee, dass es bei Wagners Mehr-Epochen-Drama um die Auseinandersetzung mit epochalen gesellschaftlichen Visionen geht, er verläuft sich zu sehr im Pointen-Kleinklein und beim Auslegen kunstvoll verfälschter Fährten Richtung Clan-Rabatz und Seifenoper-Serie. Nach unzähligen Rätseln wäre hin und wieder eine Auflösung mitsamt Erkenntnisgewinn, der über solche Momente hinausgeht, schön.

„Mein Gott, ist das beziehungsreich, ich glaub’ ich übergeb mich gleich“, seufzte der Satiriker Robert Gernhardt. Ein großer Teil des Publikums war am „Siegfried“-Ende nah an dieser Einstellung. Es wurde wütend gebuht, singendes Personal, Dirigent und Orchester wurden größtenteils einstimmig gefeiert. Ob Schwarz seine Handlungs-Fäden final geordnet bekommt, wird sich weisen. Aber trotz der knackigen Temperatur-Prognose für das Ende wird er sich zum Abholen seiner Haltungsnote nach dem Schlussvorhang wohl sehr warm anziehen dürfen.