Hamburg. Von „Bravo“-Lovestory bis „Tutti Frutti“, von David Hasselhoff bis zur Manta-Matte: Diese Show lässt die 80er- und 90er-Jahre aufleben.
Selbst Zeitreisende brauchen zuweilen etwas Geduld. Da der Himmel am Donnerstag kurz vor der Premiere von „Oberaffengeil“ im Schmidt Theater seine Schleusen öffnet, startet der Trip in die 80er- und 90er-Jahre mit 30 Minuten Verspätung. Aber bitte: Was ist schon eine halbe Stunde bei einer Reise zurück in die beiden letzten Jahrzehnte vor der Jahrtausendwende.
„Die meisten von euch werden diese Zeit sehr bewusst erlebt haben“, begrüßt Corny Littmann augenzwinkernd die Gäste. Wie recht der Theaterchef hat, zeigt sich direkt beim ersten Gassenhauer. Das Ensemble singt „Live Is Life“ an, das Publikum schmettert „Nananana“, der Hit der Band Opus bleibt auch 40 Jahre später noch ein Ohrwurm, ob man will oder nicht.
Lohnt sich „Oberaffengeil“ im Schmidt Theater?
Dann folgt eine Revue der Extraklasse: Auf die altbewährten Schmidt-Könner Martin Lingnau (Konzept, Buch und Komposition) und Heiko Wohlgemuth (Buch und Songtexte) ist eben Verlass. Regisseurin Carolin Spieß hat „Oberaffengeil“ mit so viel Tempo inszeniert, dass man zwischen BMX-Rädern, Breakdance, Bandsalat und D-Mark fast aus der Kurve fliegt. Das achtköpfige Ensemble wechselt im Akkord die 160 Kostüme, tanzt und singt sich die Seele aus dem Leib, das Bühnenbild (Felix Wienbürger) überzeugt.
Allein die dreiteilige Foto-Love-Story „Der Neue aus der 10c“ aus der „Bravo“ lohnt den Besuch. Die Darstellerinnen und Darsteller schweigen, zu sehen sind nur die projizierten Sprechblasen mit dem Gefühlschaos eines Jungen, der sich ausgerechnet in die Mutter einer enttäuschten Verehrerin verliebt. Dann antwortet Dr. Sommer auf den Brief einer Pubertierenden, David Hasselhoff reißt singend die Mauer ein und bei „Tutti Frutti“ entblättern sich diesmal Männer. Im Werbeblock werden die „längste Praline der Welt“ sowie „Mann, sind die Dickmann‘“-Schokoküsse angepriesen.
„Wolle“ Petry schickt in die „Hölle, Hölle, Hölle“, auch Alf hat einen Aufritt
Bei den Gameshows mischen sich „Der Preis ist heiß“, „Risiko“ und „Familienduell“ zu einer abgedrehten TV-Melange. Zwischendurch kontrolliert ein Polizist die Gurtpflicht im Weltraum. Denn Alf, E.T. und Co. dürfen bei dieser Zeitreise ebenso wenig fehlen wie Rick Astley, Gitte, Roxette, die Backstreet Boys und die Spice Girls. Martin Lingnau schickt die Zuschauer mit Wolfgang „Wolle“ Petry kurzerhand in die „Hölle, Hölle, Hölle“. Da gehört im Prinzip auch „Verdammt, ich lieb‘ dich“ von Matthias Reim hin. Aber bitte, haben wir nicht alle schon mal mit ein paar Bier zu viel im Tank (fast) jedes erdenkliche Liedgut bei Feten mitgegrölt?
Dieser innere Film läuft als zweite Spur bei „Oberaffengeil“ bei jeder Szene mit. Durchtanzte Partynächte im Studentenwohnheim mit den Klassikern der Neuen Deutschen Welle wie „Skandal im Sperrbezirk“, legendäre Kinoabende mit „Ghostbusters“ und wunderbare Hip-Hop-Konzerte mit Fanta 4 („Die da!?!“). Dazu die Modesünden mit Manta-Matte, Oberlippenbart und Aerobic-Klamotten, zum Glück nur in vergilbten Fotoalben dokumentiert und eben nicht für die Ewigkeit im Internet abrufbar.
Es tut der Seele einfach gut, mal für zweieinhalb Stunden in Erinnerungen zu schwelgen
Natürlich taucht „Oberaffengeil“ die 80er- und 90er-Jahre in ein viel zu warmes Licht. Wettrüsten, Waldsterben, Golfkrieg – auch diese Jahrzehnte hatten jenseits von Zauberwürfel, Tetris und „Knight Rider“ sehr wohl ihre Schrecken. Aber andererseits: Angesichts von Ukraine-Krieg, Rechtsextremismus, Klimakrise und drohendem Trump-Comeback tut es der Seele einfach gut, mal für zweieinhalb Stunden in Erinnerungen zu schwelgen.
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Es ist das Verdienst von Regisseurin Carolin Spieß, dass die Revue nie in Klamauk abgleitet. Sie führt mit Verve, aber eben auch mit sanfter Ironie durch diese Zeitreise. Und ganz am Ende wird es dann besinnlich. Als Zugabe gibt es „Angels“ von Robbie Williams. Der tourt zum Glück immer noch durch die Welt und wird am 22. und 23. August auf der Trabrennbahn Bahrenfeld gastieren. „Major Tom“ von Peter Schilling feiert gerade völlig losgelöst bei der EM als Fan-Song ein unverhofftes Comeback. Und in den Süßigkeitentütchen, die jeder Premierengast zu Beginn in Empfang genommen hat, stecken die längst totgeglaubten Cola-Lollies und Nappos. Nein, die 80er- und 90er sind nicht tot. Sie leben weiter. Und das ist schlicht: „Oberaffengeil“.
„Oberaffengeil“ bis 10. August im Schmidt Theater sowie vom 23. August bis 21. September im Schmidts Tivoli (S/U Reeperbahn), Spielbudenplatz 24–25 bzw. 27–28, Tickets ab 29,90; www.tivoli.de