Hamburg. Paavo Järvi navigierte in der Elbphilharmonie die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit Solistin Alena Baeva durch das Früh- und Spätwerk.
Lässt sich so etwas wie Spontaneität bewahren? Sind nicht Dauer und Wiederholung ihre natürlichen Feinde? Ja, schon, nur nicht bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Deren Mitglieder sitzen seit der Gründung in den 80er-Jahren bei jedem Konzert auf der Stuhlkante, sogar wenn – was in den vergangenen Jahren etwas zu oft der Fall war – gediegenstes Kernrepertoire auf den Pulten liegt.
Dramaturgisch bot der jüngste Auftritt in der Elbphilharmonieeine erfrischende Abwechslung. Zwei eher abgelegene Werke von Strauss erklangen in der ersten Hälfte. Eingangs dirigierte Paavo Järvi das Streichsextett aus der Oper „Capriccio“ aus den Jahren 1940/41, bei dem sich die solistischen Teile hauchfein mit dem Streichertutti verwoben. Klar, dass bei so viel wehmutstrunkener Süße im Kopf von Kammermusik-Enthusiasten die Tonspur zu Strauss‘ berühmten „Metamorphosen“ mitlief. Süffigste Klangkultur, verbunden mit tiefer Empfindung, das ist später Strauss.
Elbphilharmonie: ein emotionales Strauss-Konzert, das wie Champagner perlt
Es folgte: ein früher Strauss. Die Arbeit an seinem d-Moll-Violinkonzert begann der Hochbegabte als 16-Jähriger. Viel Handschrift verrät das Stück noch nicht, aber sehr wohl die eingehende Beschäftigung mit dem Genre. Ob Beethoven oder Mendelssohn, Bruch oder Viotti – die Emotionalität und Spielfreude des romantischen Violinkonzerts bilden gleichsam den Resonanzraum.
Der erste Satz reiht die Gedanken ein wenig aneinander, aber die Solistin Alena Baeva hielt ihn mit ihrer Intensität und Brillanz zusammen. Nur dass sie, ganz alte Solistenschule, oft einen Hauch höher intonierte als das Tutti, daran musste sich das Ohr erst gewöhnen.
Anders wäre sie aber womöglich bei der dicken Instrumentierung nicht durchgekommen. Den langsamen Satz sang sie in großer Ruhe aus. Und das abschließende Prestissimo-Rondo perlte wie Champagner, da ließ Baeva die tänzerischen Girlanden nur so funkeln, und das Orchester legte sich mit ihr in die Kurve und platzierte jeden Tupfer präzise und sinnbewusst.
Järvi und die Seinen entfesseln in der Elbphilharmonie Klangfarbenzauberkunst
Begleiten ist keine Kleinigkeit. Nach der Pause folgte noch eine Rarität, nämlich die „Sinfonie singulière“ Franz Berwald, entstanden 1845. Da entfesselten Järvi und die Seinen ihre ganze Klangfarbenzauberkunst. Die ersten Geigen, die bei Strauss klanglich gelegentlich auseinanderfielen, spielten mühelos homogen.
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Magisch, wie die Musikerinnen und Musiker zu Beginn einander das murmelnde Kopfmotiv anreichten. Akzente und Einwürfe schärften sie zum Amüsement des Publikums – und wirklich ergreifend waren die fast unhörbar leisen Momente.
Eine der größten Künste in der Musik ist die des Verschwindens. Und – auch – die beherrscht die Kammerphilharmonie aufs Allerfeinste.