Hamburg. Eine gefährliche Schönheit, eine feministische Ex, heikle Grenzen – Matthias Polityckis neuer Roman führt erneut nach Afrika.

Der Widerspruch steckt schon im Titel. „Alles wird gut“, wird da in großen roten Lettern auf dem Buchcover verkündet. Vielmehr: Beschworen wird es, jemand soll offenbar daran glauben: dass alles gut wird. Aber irgendwer muss auch „dran glauben“, wie man halt so sagt, jemand wird diese Geschichte nicht überleben. Schon der Untertitel spoilert es in unbescheidener Anspielung auf den berühmten Roman des kolumbianischen Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez: „Chronik eines vermeidbaren Todes“. Nichts wird gut, gar nichts. Es geht aus, „wie alle Liebesgeschichten, die man Lust hat zu schreiben“, so hat es der hier verantwortliche Autor vor Jahren selbst einmal zusammengefasst: „Nämlich schlecht!“

Mit dem „Dran-Glauben“ ist es allerdings so eine Sache im jüngsten Werk von Matthias Politycki. Es wird fabuliert und gelogen, vorgespielt und offenbart, angedeutet und ausführlich ausgeschmückt. Nach seinem zuletzt erschienenen Roman „Das kann uns keiner nehmen“ führt der Hamburger Autor seine Leser ein weiteres Mal nach Afrika – wobei man an dieser Stelle gleich doppelt präzisieren muss: Ist Matthias Politycki überhaupt noch ein Hamburger Autor? Erst im vergangenen Jahr war er, der bis dahin in Hamburg-Eimsbüttel und München-Schwabing gelebt hatte, unter reichlich medialer Debattenbegleitung nach Wien abgewandert; „Mein Abschied von Deutschland“ heißt Polityckis ebenfalls in seinem (Hamburger!) Verlag Hoffmann und Campe erschienene Geleitschrift. Und: „ein weiteres Mal nach Afrika“? Mit dieser Verallgemeinerung fängt es ja schon an.

Die Frauen tragen Lippenteller, die Männer trinken Blut direkt aus dem Rinderhals

Genauer also, viel genauer: Nach Äthiopien geht es diesmal, kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs. Dorthin, wo die Frauen Lippenteller tragen und die Männer das Blut direkt aus dem Hals eines Rindes trinken, die einen haben Schusswunden, die anderen Ziernarben, und wo sich vor allem kaum jemand ernsthaft als „Äthiopier“ versteht. Es ist kompliziert im Vielvölker- und Vielsprachenstaat. „Du wirst dich für ‘nen Tigrayer entscheiden müssen oder ‘nen Oromo oder wen immer“, lernt Trattner, Polityckis (Wiener!) Hauptfigur, die es nach Surma Kibish an die Grenze zum Südsudan verschlagen hat. Zu den Suri, nahe den Mursi, und „jeder hatte in diesem Land seine eigne Wahrheit“.

Immer ist das Gegenteil dessen, was gerade behauptet, gerade beobachtet, gerade gedacht und erst recht das Gegenteil dessen, was gezeigt oder übersetzt wird, eine Möglichkeit.

Die Roman-Hauptfigur Josef Trattner gibt es auch im wirklichen Leben

Das beginnt schon mit der Hauptfigur. Im letzten Politycki-Roman hieß einer der (Anti-)Helden „Tscharli“ – was einem, eben so geschrieben, hier schon auf den ersten Seiten wiederbegegnet, als das Suri-Wort für „Willkommen“. Eine originelle Anspielung für Kenner des Autors. Nicht die einzige, schon gar nicht die bemerkenswerteste: Diesmal ist Trattner der Protagonist, Josef Trattner, ein verkrachter österreichischer Schaumstoffaktionskünstler, der als Ausgrabungshallodri in Äthiopien zum mehrfach scheiternden „Herrn der Scherben“ wird. Und den es wirklich gibt. Oder jedenfalls, es gibt tatsächlich einen österreichischen Schaumstoffaktionskünstler Josef Trattner. Vor 13 Sommern hat ihn Matthias Politycki einmal einen ganzen Tag lang durch Hamburg begleitet und anschließend im Hamburger Abendblatt unter der Überschrift „Fremdschämen für die Kunst“ porträtiert. Nun ist Josef Trattner eine Romanfigur.

Eine typische Politycki-Figur sogar, ein Mann von (na gut, knapp über) 40 Jahren, der eine Laufbahn, aber keine echte Karriere hat. Ein „erschöpfter Schlawiner“ ist dieser Trattner, ein „geschasster Grabungsleiter mit Gold im Haar“, ein Filou mit einer gewissen Unerschrockenheit.

Polityckis dunkler Kuba-Roman „Herr der Hörner“ schwingt in vielen Szenen mit

Kurz bevor er wegen allzu kreativer Auslegung seiner archäologischen Forschungsergebnisse nach Europa zurückbeordert wird, begegnet er einer Frau. Einer, „bei deren Anblick ihm heute schon mal das Herz ausgesetzt hatte“, „überaus nackt und glänzend der glattrasierte Schädel“. Natu wird sie genannt, eine rätselhafte Suri-Kämpferin, die ihn in ihrer Fremdheit, ihrer Düsternis, ihrem Stolz erschüttert und bis zur Selbstaufgabe fasziniert. Unweigerlich schwingt Polityckis dunkler Kuba-Roman „Herr der Hörner“ in diesen Szenen mit. Damals war es ein hanseatischer Banker, der dem Voodoo und den Augen einer geheimnisvollen, gleichwohl gefährlichen Schönen erlag. Diesmal ist es ein angerissenes Ohrläppchen, das den Reisenden in der Fremde aufwühlt. Die Motivation kommt einem beim Lesen vertraut vor: „Höchste Zeit, wesentlich zu werden.“

Nach einem unheilvoll zerbrochnen Krug und einem brachialen Folge-Ereignis schließt sich Natu Trattner und zwei einheimischen Begleitern deren Roadtrip durch die Savanne an. „Swei is bässa“, versichern Trattners Reisegefährten Mulugeta und Weraxa gelegentlich, aber natürlich ist die Liebe vertrackter als diese Erkenntnis. Der stets staunende Blick des Westeuropäers ist es ohnehin, nicht zuletzt angesichts der aktuellen Debatten um Kolonialschuld und Rassismus. Der Leser wird an heikle Grenzen geführt, geografische, kulturelle, moralische. Es ist auf mancherlei Ebene ein Spiel mit scheinbaren Gewissheiten, das hier betrieben wird. Und was der mittelalte weiße Mann als beginnende Romanze missversteht (oder: eben überhaupt gar nicht missversteht?), wird nicht nur eine Reise durch fantastische und ebenso funkelnd wie atmosphärisch dicht geschilderte afrikanische Landschaften, sondern auch eine Spritztour quer durch diverse gesellschaftliche Verwerfungen. Solche innerhalb von Äthiopien. Und solche innerhalb von Westeuropa – die durch die Distanz umso deutlicher zu Tage treten.

Matthias Politycki arbeitet sich gern an Geschlechterbildern und Rollenerwartungen ab

Neben der exotischen Projektionsfläche männlicher Sehnsüchte, die Politycki bei aller Sinnlichkeit immer wieder mit der ihm eigenen saloppen Ironie bricht, ist da nämlich auch „die Sache mit Lena“, Trattners allzu feministischer Ex. Die, zu Hause in Wien, so ziemlich alles verkörpert, was für einen wie Trattner nun wirklich nicht mehr nachzuvollziehen ist. Und mit der Matthias Politycki, der sich ohnehin gern an Geschlechterbildern und Rollenerwartungen abarbeitet und ein erklärter Gegner des Genderns ist, auch einen Teil der Diskursthemen seiner eigenen Deutschlandflucht in den Roman hinüberzieht.

Kommunikationskonflikte, Verständnisverweigerung, Übersetzungshaken – und fortwährend die Illusion von Authentizität. Auch der Roman, in dem sich nicht nur der Protagonist mehr als einmal auf einer falschen Fährte wiederfindet, ist am Ende nur eine mögliche Version dessen, was „wirklich“ geschehen ist. „Die Wahrheit“, so heißt es an einer Stelle vielsagend, „liegt unterm Authentischen verborgen.“

Der Autor liest am 25. April, 19.30 Uhr, im Hamburger Literaturhaus. Maike Schiller moderiert, Karten zu 12,-/8,- Euro gibt es unter www.literaturhaus-hamburg.de