Kultur-Schock: In Matthias Polityckis Roman stößt ein Wohlstandsbürger auf Kubas Vitalität

HAMBURG. Der Schriftsteller Matthias Politycki hat den "Weiberroman" oder "Ein Mann von vierzig Jahren" geschrieben und damit, recht erfolgreich, auch das Lebensgefühl unserer Zeit widergespiegelt. Nächste Woche erscheint "Herr der Hörner", sein neuer Roman (Hoffmann und Campe Verlag, 735 Seiten, 25 Euro), der im Süden Kubas spielt, wo man noch mit Santeria, Voodoo und anderen Kulten lebt.

Politycki, der in Hamburg wohnt, hat fast ein halbes Jahr auf Kuba gelebt und recherchiert. Der Roman beginnt als klassische Liebesgeschichte, taucht dann in eine dunkle Welt ein, in der man sich als Mitteleuropäer geradezu als Mitglied einer untergehenden Hochkultur vorkommt. "Herr der Hörner" - auf Kuba eine Umschreibung für den Teufel - steht bereits auf der Liste der 20 besten Romane, die für den Deutschen Buchpreis vorgeschlagen sind. Das Abendblatt sprach mit Politycki über das alte Europa, junge Kulturen und politische Unkorrektheiten.

ABENDBLATT: Unsere westeuropäische Gesellschaft wirkt erschlafft neben Kulturen wie Kuba, wo man noch die Wildheit des Willens spüren kann - ist das auch ein Ergebnis Ihrer Recherchen?

MATTHIAS POLITYCKI: Nicht nur. Auf Grund der schieren Erfahrung des Alltagslebens dort, das meist keinerlei Rücksicht auf die moralischen oder ästhetischen Standards eines Alten Europäers nimmt, habe ich viel über unsere eigenen Werte gelernt. Habe begriffen, wie privilegiert wir hier in Mitteleuropa nach wie vor sind, welche wunderbaren Ausgangsbedingungen fürs Leben wir haben. Und wie wenig wir oft daraus machen.

ABENDBLATT: Sie haben sich dort mit Religion und Magie beschäftigt. Hat Sie das verändert?

MATTHIAS POLITYCKI: Als ich ankam, war ich überzeugter Nietzscheaner. Als ich zurückfuhr nach Deutschland, hatte ich - im Grunde widerwillig - begriffen, daß hinter einem gläubigen Leben ein ganz anderes, nicht unbedingt schlichteres Weltkonzept steht. Habe mir eingestehen müssen, daß uns aufgeklärten Quasi-Nihilisten etwas Entscheidendes fehlt. Natürlich können wir stolz auf die humanisierende Wirkung der Aufklärung sein. Trotzdem sollten wir gegenaufklärerisches Gedankengut nicht von vornherein lächerlich finden. Schließlich leben wir mit unserer radikal an ihr Ende betriebenen Diesseitigkeit auf recht dünnem Boden. Außer Skepsis und Ironie bleibt uns oft nicht genug, das in existentiellen Situationen weiterhilft.

ABENDBLATT: Uns fehlt der Glaube und die Kraft. Was noch?

POLITYCKI: Es kostet ja bereits sehr viel mehr Energie, in einem Land wie Kuba zu überleben. Das fängt damit an, daß es dort keine Neonreklamen, oft nicht einmal erkennbare Geschäftseingänge gibt. Wer etwas Bestimmtes kaufen möchte, muß in der Regel herumfragen, wo es das vielleicht geben könnte. Allein dadurch entsteht jede Menge zwischenmenschlicher Kontakt, ein lebhaftes soziales Leben. Und immer spürt man dabei als Außenstehender eine Vitalität, die einen manchmal beängstigt, manchmal aber auch ansteckt. Trotzdem freue ich mich jedes Mal, wenn ich wieder nach Hause komme, möchte nirgendwo sonst leben. Es fehlt uns - im Vergleich zu einem Kubaner - das selbstverständliche, unpathetische Gefühl von Heimat, die Freude darüber, hier und nur hier zu leben. Es ist ja, bei aller Jammerei, noch immer verdammt schön hier. Das sollten wir uns vielleicht etwas bewußter machen, sollten unsere Werte aktiver verteidigen.

ABENDBLATT: Was kann man von vitaleren Kulturen lernen?

POLITYCKI: Zunächst einmal, unter dem Deckmantel des "Malerischen", die Brutalität des Kapitalismus. Alles hat seinen Preis, sofern man mit dem täglichen Mangel leben muß. Natürlich auch die Liebe. Dann: eine größere Heiterkeit, eine spontanere Direktheit im Umgang miteinander, ein flexibleres Sich-Anpassen an den Fluß der Dinge. Und schließlich die Erkenntnis, wie wenig man eigentlich zum Leben braucht, um glückliche Tage zu erleben - im Grunde ja nur ein intaktes soziales Miteinander. Natürlich darf man nicht unterschätzen, daß dieses enge Zusammenleben auch aus Not entsteht.

ABENDBLATT: Ist unsere mitteleuropäische Kultur schon am Ende angekommen?

POLITYCKI: Hoffentlich nicht! Es liegt an uns, sie immer wieder neu zu beleben und gegebenenfalls zu verteidigen. Nicht mittels Phrasendrescherei von Gutmenschen, sondern mit beherztem Handeln im Alltag. Bloß keine Scheu vor klaren Worten!

ABENDBLATT: Kann man sagen, wir sind verweichlicht?

POLITYCKI: Auf jeden Fall sind wir übertrieben politisch korrekt. Den spielerischen Umgang zwischen Mann und Frau haben wir doch fast schon komplett verloren. Ja, das Zwischenmenschliche ist bei uns ganz generell ziemlich verkrampft. Mein kubanischer Vermieter etwa wollte sich partout nicht als Farbiger oder Schwarzer anreden lassen. Er wollte schlichtweg als Neger bezeichnet werden, "als was denn sonst?". Wenn die Bezeichnungen wieder so unverstellt einfach sein dürfen, entdeckt man auch wieder die Vielfältigkeiten der Realität: Mindestens zehn verschiedene Haut- und Haar-Typen, die sich dem politisch korrekten Betrachter nur als "Farbige" zeigen, haben auf Kuba exakte Namen und dadurch auch ihre ganz normale Präsenz im Alltag. Beneidenswert! Unser schablonisiertes Denken dagegen hier in Westeuropa behindert uns gelegentlich schon gewaltig.

  • Literaturhaus Matthias Politycki liest heute um 20 Uhr im Schwanenwik 38 aus seinem neuen Roman. Eintritt: 4 / 6 / 8 Euro .