Hamburg. Warum der von Ex-Intendant Tom Stromberg eingerichtete Abend mit Starpianistin und Schauspielverstärkung an manchen Stellen knirschte.

Das Martha Argerich Festival zieht durch die Stadt. Und was eine Not war, wird jetzt zur Tugend: Renovierungsarbeiten in der Laeiszhalle verbannen das Festival in andere Hamburger Locations: Kampnagel, Gruenspan und jetzt am Wochenende das Deutsche Schauspielhaus. Bei diesem dritten Abend ist Schauspielstar Alexander Scheer dabei, kein Unbekannter in Hamburg. Die Musik ist wie schon beim Eröffnungsabend ein Mix aus Klassik und Jazz, gespielt natürlich von Martha Argerich und dem Kontrabassisten Haggai Cohen-Milo und anderen Jazzmusikern.

„Shall I compare thee to a summer‘s day?” (Soll ich dich mit einem Sommertag vergleichen?) ist der der Abend überschrieben, Titelzeile aus Shakespeares Sonett Nr. 18. Da geht es in wunderschöner Poesie um die Liebe. Aber es beginnt mit einem kleinen Witz. Alle starren erwartungsvoll auf den geschlossenen Vorhang. Langsam öffnet er sich. Da, nebeneinander, alle beteiligten Künstlerinnen und Künstler. Sie nicken dem Publikum freundlich zu. Applaus. Vorhang zu. Vorhang wieder auf. Noch mehr Applaus. Vorhang wieder zu.

Martha Argerich Festival im Schauspielhaus: Wie nicht zu Ende geprobt

Nett, aber, wie sich herausstellen wird, dramaturgisch mit keinem erkennbaren Sinn. Für die szenische Einrichtung war Ex-Schauspielhaus-Intendant Tom Stromberg gewonnen worden.

Zum Anfang lässt er Martha Argerich Debussys „La sérénade interrompue“ aus dem ersten Buch der Préludes spielen. Ein unruhiges Stück, soll es einstimmen auf die gestörten Liebessituationen, die folgen werden? Das Programmheft verrät darüber nichts, auch nicht die Reihenfolge und Titel der Stücke, die gespielt wurden, nur die Namen der Komponisten. Das kann in Ordnung sein, wenn ein Abend gut durchgestaltet ist. Hier vermittelt sich eher der Charme des Unfertigen.

Viel Applaus für den Charme des Unfertigen: die Mitwirkenden beim Schlussapplaus im Schauspielhaus. 
Viel Applaus für den Charme des Unfertigen: die Mitwirkenden beim Schlussapplaus im Schauspielhaus.  © Daniel Dittus | Daniel Dittus

Nach der Auftaktmusik: Auftritt Alexander Scheer und Boy-Gobert-Preisträgerin Pauline Rénevier. Shakespeares „Othello“, die Eifersuchtsszene mit Desdemona. Aber Alexander Scheer nimmt eine Rolle zwischen Moderator, Entertainer und Othello-Schauspieler ein. Er kommt im golden glitzernden Anzug, erzählt, wie er schon vor Jahren den Othello hier in Hamburg gespielt hat, dass sogar noch der legendäre Peter Zadek dabei gewesen sei.

Beide, Scheer und Rénevier, haben ihre Manuskripte dabei, sie lesen ihren Text über weite Strecken ab. Alexander Scheer fällt anfangs noch ein, dass er besser seine Brille aufsetzen sollte. Sobald die Schauspieler passagenweise wirklich in ihrer Rolle sind, spürt man, dass sie große Könner in ihrem Fach sind, aber es wirkt ein bisschen wie nicht zu Ende geprobt.

Martha Argerich Festival im Schauspielhaus: Pauline Rénevier und Alexander Scheer sitzen in Logen

Der nächste Block sind die Jazzkompositionen von Haggai Cohen-Milo über Shakespeares Sonette Nr. 18, 29, 116 und 130. Nur ein paar Zeilen vom Komponisten und Kontrabassisten im Programmheft, dass er versucht habe, die unterschiedlichen Stimmungen musikalisch einzufangen, was sich vermittelt. Aber wäre es nicht schön gewesen, auch die Texte der zauberhaften Sonette abzudrucken? Dann hätte man ein bisschen mehr verstehen können.

Sei’s drum, der Part des Abends zählt zu den eindrücklichsten, vor allem weil die Sängerin Célia Kameni mit unglaublicher Stimmfarben-Variabilität eine faszinierende Ausstrahlung hat. Sie kann leise wispern, hoch oder tief, mal lässt sie ihre Stimme dünn und fein, mal satt und sonor klingen.

Gaststars beim Argerich-Festival: Den Schauspielern hätte ein bisschen mehr Zeit für die Texte gutgetan

Im zweiten Teil geht es um die gescheiterte Liebe zwischen Frédéric Chopin und George Sand. Pauline Rénevier und Alexander Scheer sitzen jetzt in Logen vorn am rechten und linken Bühnenrand, weit voneinander entfernt. Die Distanz, die für das Missverständnis der beiden Künstler steht? Er, der große Pianist und Komponist, sie, die geniale Schriftstellerin, aber Egoistin in der Beziehung zu Chopin.

Die Textauszüge sind eine Mischung aus Briefen und Tagebuchnotizen, sowie Sekundärtexten über die beiden Künstler. Auch hier entsteht leider der Eindruck, dass den Schauspielern ein bisschen mehr Zeit für die Texte gutgetan hätte.

Mehr Kultur in Hamburg

Zwischendurch spielt Martha Argerich einen Block Chopin, die Barcarolle Fis-Dur, ein Prélude, eine Mazurka. Auch das hätte man wirkungsvoller ausarbeiten können. Es bietet sich geradezu an, mit kurzen Chopin-Werken einen spannenden Wechsel von Lesung und Musik zu überlegen. Schade, Chance vertan.

Und als Alexander Scheer am Ende ankündigt, dass er sich auf der Zugfahrt nach Hamburg überlegt habe, man könne doch eine Zugabe spielen – es wurde das Sonett Nr. 66 mit Jazz von Rufus Wainwright –, ist das symptomatisch für diesen dramaturgisch etwas knirschenden Abend. Zum Glück punktet er mit Momenten voller Charme und der Grande Dame der Pianistenzunft: Martha Argerich. Das Publikum jubelt.