Hamburg. Der Darsteller spielt die Hauptrolle im David-Bowie-Musical „Lazarus“. Sonnabend ist Premiere im Schauspielhaus.
Das Schauspielhaus am Mittag. Alexander Scheer verspätet sich. Er isst noch was. Der viel gefragte Theater- und Filmschauspieler („Faust“, „Sonnenallee“) probt mit Regisseur Falk Richter derzeit „Lazarus“, das Musical von David Bowie und Enda Walsh, für die Premiere am 17. November. Scheer, groß und schmal, sieht in seinem Vintage-Anzug und den rot gefärbten Haaren seiner Figur schon ziemlich ähnlich. Jetzt muss er dauerrauchen, deshalb findet das Gespräch in einem vernebelten Raucherzimmer statt.
Herr Scheer, Hamburg ist ja eine Musical-Hauptstadt. Mögen Sie das Genre?
Alexander Scheer: Ich habe ein paar Musicals in meinem Leben gesehen. War nicht so mein Ding. Aber wie in der Oper heißt es auch hier ‚prima la musica‘, also das Wichtigste ist die Musik. Die Handlung ist zweitrangig. Ein bisschen ist das bei uns auch so.
Sie spielen mit „Lazarus“ Ihr erstes Musical. Was erwartet uns da?
Scheer: Die fantastischen Songs von David Bowie. Wir haben eine neunköpfige Band, die rockt wie Hölle. Wir haben Tänzer, Videos und einen Außerirdischen. Insofern freue ich mich auf einen bunten Abend.
Wie ist Ihre Beziehung zu der Musik und zu der Figur David Bowie?
Scheer: Bowie ist der vielleicht einflussreichste Künstler der Popmusik. Er hat das Universum des Pop weiter ausgedehnt als jeder andere. Er war der Erste, der öffentlich Gender-Grenzen verschoben hat. Er kreierte Kunstfiguren, ohne die die Imagewechsel von Madonna oder Lady Gaga nur schwer vorstellbar wären. Dabei ging er Risiken ein, seine Platten sind teilweise verstörend unterschiedlich. Ich liebe seine Berlin-Phase. Zwischen seinen Charakteren, seinem Leben und selbst dem eigenen Tod gab es keine wahrnehmbaren Grenzen. Weiter kann man als Künstler nicht gehen.
Sind die Lieder leicht zu singen?
Scheer: „Gundermann“ ist einfacher.
Ihnen haftet der Ruf des Rock ’n’ Rollers an, der immer an beiden Enden brennt. Wie übersteht man das so viele Jahre?
Scheer: Ich kann wunderbar lange ausschlafen. Mein Kollegin Sophie Rois sagte einmal, wir sind doch alle nur Schauspieler geworden, damit wir spät ins Bett gehen und lange ausschlafen können. Ist aber auch eine Konditionsfrage. Das ist wie Hochleistungssport.
Wenn wir von Verausgabungstheater reden. Was verlangt „Lazarus“ Ihnen ab?
Scheer: Wir müssen uns an die 18 Songs draufschaffen, eine Interpretation anbieten. Wir haben drei wunderbare Tänzer. Wir haben die Band, diverse Videoscreens, heiße Kostüme, unsere Bühne hat einen großen Schauwert. Ein Probentag könnte so aussehen: morgens eine Tanzprobe, danach ein Videodreh, eine Kostüm-oder Bandprobe und danach noch etwas Szenisches. Unsere Probenpläne sind nicht einfach zu schreiben. Aber hey, wir machen ein Musical! Keiner hat gesagt, das wird ein Spaziergang …
Ihre Rock-’n’-Roll-Tauglichkeit haben Sie ja unter anderem in dem Uschi-Obermaier-Film „Das wilde Leben“ bewiesen, in dem Sie Keith Richards spielten. Von dem haben Sie ja dann eine Rolle in „Fluch der Karibik“ übernommen ...
Scheer: Ich hatte das Material aus dem Obermaier-Film zusammengeschnitten und auf YouTube gestellt. Dann gingen die Klicks in Amerika hoch, ich bekam einen Anruf und bin für zwei Wochen nach Australien geflogen, um den Vater von Johnny Depp in einer Rückblende zu spielen. Ich hab mir den Hut von Keith Richards aufgesetzt. War ein bisschen groß, der Hut.
Es scheint, als hätten Sie ein Faible für biografische Rollen?
Scheer: Nun, die kann man sich einfach nicht ausdenken! Blixa Bargeld, Dieter Degowski, Gundermann, Richards: Mit solchen Charakteren kämst du heute an keiner Redaktion vorbei! Ich bin wie ein Vampir. Ich halte immer Ausschau nach dem nächsten Kuckucksnest und frage mich, als was oder wer ich schlüpfe. Es ist ein großes Privileg, sich in anderer Leute Leben reinzutransformieren und dann wieder heraus.
Ihr Pop-Potenzial war 2004 bei „Othello“ in der Regie von Stefan Pucher schon erkennbar. Ihre erste, sehr erfolgreiche Begegnung mit dem Schauspielhaus ...
Scheer: Immer wenn ich jetzt vor dem Hamburger Schauspielhaus stehe, gehe ich an „meine“ Bushaltestelle, an der wir in der Pause den „Othello“ getanzt haben und ich nackt – bis auf schwarze Farbe – über die Kirchenallee den Bussen hinterhergerannt bin. Das ist eine Superbude hier. Es ist ein bisschen wie nach Hause kommen.
Sie waren nach „Othello“ ja 16 Jahre lang an einer anderen Superbude, bei Frank Castorf an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, engagiert. Wie groß ist noch immer der Schmerz über das Ende?
Scheer: Ich komme klar. Wirklich heulen muss ich, wenn ich an die Weltklassemannschaft denke, die auf dem Geisterschiff zurückgeblieben ist. Die Kollegen von der Technik, die Gewerke, die jetzt nichts Adäquates mehr zu tun haben. Der gefährlichste Theater-Tanker der Republik, ist auf Grund gelaufen, und das hat nur sieben Monate gedauert und 28 Millionen gekostet. Das haben sie super hingekriegt, die Flachzangen.
Was ist Frank Castorf für Sie? Vater? Gott?
Scheer: Also, er nennt mich Söhnchen. Aber er ist einfach der wichtigste Regisseur für mich. Ein Brandstifter, ein Anstifter. Mit ihm kann ich auf dem Vulkan tanzen. Die Arbeit war oftmals eine Zumutung. Wir haben nie eine ganze Generalprobe hingekriegt, uns bis vier Uhr morgens in der Kantine darüber aufgeregt und sind dann am Premierentag wieder raus, haben die Boxhandschuhe übergezogen und sind durch zwölf Runden. Es ging darum, eine Freiheit zu verteidigen, gemeinsam, und darin lag Schönheit. An anderen Theatern ist man Reglementierungen unterworfen, die es für uns einfach nicht gab.
Wie ist da die Zusammenarbeit mit Falk Richter bei „Lazarus“?
Scheer: Mit Falk ist es gerade sehr anders, aber auch toll. Der guckt sehr genau hin, lässt nicht locker. Ich bin es gar nicht mehr gewohnt, dass man so lange an einer Szene feilt …
„Lazarus“ Premiere Sa 17.11., 19.30, weitere Vorführungen ab 19.11., Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; weitere Infos: www.schauspielhaus.de