Hamburg. Das NDR Elbphilharmonie Orchester, der Klarinettist Martin Fröst und der Dirigent Cristian Măcelaru machen bella figura im Großen Saal.

Wer etwas zum ersten Mal ausprobiert, macht es am besten gleich auf der Bühne. Das findet jedenfalls der Klarinettist Martin Fröst und erntet mit dieser Bemerkung großes Gelächter in der Elbphilharmonie. Als Zugabe spielt er eine Improvisation, nur begleitet von einem liegenden tiefen, fast unhörbar leisen D der Celli und Bässe des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Improvisation ist ja musikalisch der Inbegriff des ersten Mals: aus dem Moment heraus, unabsehbar. „Keine Ahnung, wo wir landen werden“, sagt er (auf Englisch, Fröst ist Schwede). „Vielleicht spiele ich am Schluss ein kleines Lied.“

Elbphilharmonie: Martin Fröst lässt Töne hüpfen, kichern und flattern

Zu diesem Zeitpunkt hat er sein Publikum sowieso längst am Haken. In „Weathered“ von Anna Clyne hat er sein Instrument in allen nur denkbaren Facetten vorgestellt. „Weathered“, das heißt auf Deutsch „verwittert“, und die Komponistin, Jahrgang 1980, spürt dem Phänomen des Verfalls in fünf Sätzen nach, überschrieben Metall, Herz, Stein, Holz, Erde.

Natürlich hat sie sich dabei einiges gedacht, aber das Schöne bei dieser eingängigen Musik – Clyne hat quasi ein Abonnement auf den Status als Composer in Residence bei zahlreichen Orchestern – ist: Man kann und darf sich auch einen eigenen Reim darauf machen. Und so beginnt das Stück zwar mit Röhrenglocken und einem marschierenden Rhythmus der Bässe, aber die Klarinette ruft unweigerlich Reminiszenzen an die Klezmermusik wach. Fröst spielt glissandi bis in höchste und scharfe Höhen, lässt den Ton hüpfen und kichern oder erzeugt mit den Händen eine Art Flattern des Tons, als würde sich ein Vogel schütteln.

Elbphilharmonie: Unter Măcelaru spielt das Orchester glasklar, lebendig und gefühlvoll

Die Läufe und Dreiklangsbewegungen klingen mitunter, als wäre ihr rasantes Tempo an der Grenze der Spielbarkeit. Überhaupt verausgabt sich der Extremdarsteller Fröst auch körperlich, steht niemals still, stampft schon mal auf. Zu seiner Kadenz im dritten Satz singt er sogar. Nach dem ganzen Toben und Wüten endet „Weathered“ in mildem Dur, überglänzt ausgerechnet von jenen Röhrenglocken, die eingangs so kriegerisch klangen.

Dass der Abend so frisch und mitreißend klingt, liegt am Dirigenten Cristian Măcelaru, der in der Elbphilharmonie schon gelegentlich bella figura gemacht hat. Mit seinen flinken, überaus vielgestaltigen Gesten scheint er die Musik schlicht zu verkörpern, gibt mit einer Hand den Bläsern einen Einsatz und beschreibt mit der anderen eine lyrische Figur. Die „Drei Stücke für Streichorchester“ von Constantin Silvestri, entstanden 1930 und durchaus avancierter klingend als Clyne, packen vom ersten Moment an mit ihren Kontrasten. Es ist ein prickelndes Hörvergnügen, sich von Silvestri in die Irre führen zu lassen: Nichts bleibt, was es zu sein scheint.

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Den Schluss dieses originellen Programms macht Rachmaninows Dritte mit ihren vielen überraschenden Wendungen und ihren betörenden Klangfarben. Das Orchester ist glänzend aufgelegt, es zeichnet klar, reagiert wendig und spielt gefühlvoll, aber kein bisschen sentimental. Rachmaninow soll Kitsch sein? Diese Dritte ist der schönste Beweis des Gegenteils.