Hamburg. US-Band und ihre 25.000 Fans trotzen auf der Trabrennbahn dem Wetter und politischen Tendenzen. Frontmann zeigt Flagge für St. Pauli.
Wenn es einen Wettergott geben sollte, dann ist dieser kein Punk. Jedenfalls: Als die ersten Introklänge beim Konzert der US-Band Green Day über die Bahrenfelder Trabrennbahn schallen, beginnt es zu regnen, zunächst nur einzelne Tropfen, nach wenigen Sekunden ein heftiger Guss, es ist bitterkalt, es windet. Und: Es wird nicht der letzte Schauer an diesem Abend bleiben.
Ist natürlich Blödsinn. Hamburg ist einfach keine optimale Open-Air-Stadt, der Sommer hier ist launisch. Und damit womöglich selbst schon wieder Punk. Wer aber ganz sicher keine Punks sind: Green Day. Nie gewesen. Eine Band, die ihr Konzert mit dem unpunkigsten Intro aller Zeiten beginnt, mit Queens „Bohemian Rhapsody“ nämlich, die kann kein Punk sein. Oder gerade deswegen? Es ist kompliziert. Und vielleicht nähert man sich dem Konzert am besten, indem man sich auf diesen komplizierten Charakter einlässt.
Green Day auf der Trabrennbahn: „Wir müssen uns von den rechten Idioten befreien!“
Die übliche Green-Day-Erzählung geht so: Vor 30 Jahren feierte das Trio aus dem kalifornischen Berkeley erste internationale Erfolge mit „Basket Case“ und „When I Come Around“, das 1994 erschienene „Dookie“ war ein weltweiter Tophit und ebnete den Weg für weitere US-Funpunk-Gruppen wie The Offspring und Blink-182. Und zehn Jahre später erfanden sich Green Day mit „American Idiot“ neu, als Alternative Rock mit dezidiert politischer Haltung, was der Band einen Ausweg aus der Sackgasse ewiger Jugendlichkeit ermöglichte. Klingt gut, ist aber nicht ganz korrekt. Und das Konzert auf der Trabrennbahn gibt einem die Chance, diese Einschätzung zu korrigieren.
Zwar nennt sich die Konzertreise nach der aktuellen, gar nicht mal üblen Platte „The Saviors Tour“. Die Band um Sänger und Gitarrist Billie Joe Armstrong spielt aber kaum Songs aus „Saviors“, sie spielt auch nicht ihre größten Erfolge, sondern sie spielt „Dookie“ und „American Idiot“. Nacheinander, in der Songreihenfolge der Platten. Nur zum Einstieg gibt es das neue „The American Dream Is Killing Me“, in der Konzertmitte und als Zugaben noch ein paar Evergreens, ansonsten: historisch korrekte Aufführungspraxis. Was eben auch heißt, dass sich die zwei angeblich extrem unterschiedlichen Platten optimal vergleichen lassen.
Green Day: Alle Songs sind geprägt von einem sagenhaften Gespür für einschmeichelnde Melodien
Und dabei stellt man fest, dass die so unterschiedlich gar nicht sind. Ja, „Dookie“ ist krachiger, 1994 war das Songwriting noch nicht so ausgefeilt wie zehn Jahre später, Armstrongs politische Wut war noch nicht so zielgerichtet. Aber ansonsten spürt man schon damals, wo die Reise hingehen sollte. Wie gesagt, echten Punkrock spielt das Trio nicht, Punk (mit seinem kalifornischen, Skate- und Surf-Background) ist nur ein Element in dieser schnellen, harmonischen Popmusik.
Aber immer schon sind auch Versatzstücke aus dem Folkrock zu hören, es gibt Schlenker zu Country und zu Hardrock, später kommen noch Prog-Elemente dazu. Und: Alle Songs sind geprägt von einem sagenhaften Gespür für einschmeichelnde Melodien, gemeinsam mit dem Harmoniegesang von Bassist Mike Dirnt hört man plötzlich einen Einfluss, den man eigentlich nicht erwartet hätte: Beach Boys. Kalifornien, klar, es fällt einem wie Schuppen von den, ähem, Ohren.
Green Day freuen sich über Regenbogen: „Fucking beautiful!“
Ein bisschen hat das trotzdem was von Rockmusik-Museum, dieses Nachstellen längst historisierter Plattendramaturgien. Das wird dadurch aufgefangen, dass Green Day trotz ihres Superstarstatus grundsympathische Jungs sind (die auch schon alle die 50 überschritten haben).
Als kurz die Sonne herauskommt, ist Sänger Armstrong hin und weg vom Regenbogen, der sich über Bahrenfeld aufspannt: „That’s fucking beautiful!“ Einmal unterbricht er das Konzert, weil ein Fan kollabiert ist und er die Security zu dem Hilfsbedürftigen leitet: „Wir achten aufeinander! Das ist es, um was es geht!“ Und zwischen den beiden Konzertteilen singt Schlagzeuger Tré Cool „All By Myself“ zum Halbplayback als campy Solonummer mit hübschem Publikumsflirt.
Green-Day-Frontmann Armstrong trägt ein FC-St.-Pauli-Sweatshirt
Überhaupt, Camp. Immer wieder wird deutlich, was für eine queere Band Green Day (auch) sind. Armstrong ist bisexuell, in „American Idiot“ bezeichnet er sich als „Schwuchtel“, um sich von der „Hinterwäldler-Agenda“ abzugrenzen, auf seiner Gitarre prangt der Slogan „Gender is an Illusion“.
Aber der queere Charakter dieses Konzerts liegt tiefer, im postmodernen Spiel mit Formen, in der Solidarität mit Außenseitern, im Humor bei gleichzeitiger politischer Ernsthaftigkeit. Darin unterscheiden sich Green Day auch von ihren Nachahmern: Sexismus, Homophobie, toxische Männlichkeit, Nationalismus, die im US-Rock auch in seiner alternativen Ausprägung vorkommen können, findet man hier nicht. Armstrong jedenfalls trägt ein
FC-St.-Pauli-Sweatshirt
, und natürlich ist das auch ein Statement.
Billie Joe Armstrong thematisiert den Rechtsruck
Dass der politische Anspruch von „American Idiot“ ein bisschen in die Jahre gekommen ist: nun ja. 2004 war der Gegner eindeutig, der hieß George W. Bush und wurde in den Texten auch so benannt. Aber heute? „Habt ihr gewählt?“, fragt Armstrong ins Publikum. „Wir müssen uns endgültig befreien von diesen rechten Idioten!“ Dass diese Befreiung bei der Wahl vergangenen Sonntag nicht so optimal lief, scheint ihm entgangen zu sein.
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Und dann spielt er „Wake Me Up When September Ends“, einen der größten Hits seiner Band, der eigentlich gar kein Rock mehr ist, sondern eine traurige, einschmeichelnde Popballade. Wer weiß, vielleicht ist das ja das Metier, in dem Green Day mehr zu Hause sind als in der Tagespolitik. Die nämlich ist ebenfalls komplizierter als gedacht.