Hamburg. Nach der heiß debattierten NDR-Doku folgten Diskussion und Konzert. Lange Schlangen vorab, rumpelndes Finale und die Causa Begemann.

„Der Text ist meine Party“ lautet eine Zeile des 2022 gestorbenen Musikers Kristof Schreuf, der die sogenannte Hamburger Schule stark prägte. Und der mit diesem Satz das Spannungsfeld dieser Ära zwischen Diskurs und Pop kongenial verdichtete.

Unter dem Titel „Der Text ist meine Party“ versammelte sich nun im Knust die Hamburger Schule zum ausverkauften Klassentreffen mit multiplen Anlässen. Und, um es vorweg zu sagen: Es war eine schöne, herzliche und gesellige Zusammenkunft. Trotz der Diskussionen vorab.

Hamburger Schule: „Der Text ist meine Party“ – Klassentreffen ohne Begemann

Lange Schlange im Nieselregen vor dem Club. Ein Typ schaute sich um und stellte belustigt fest: „Sind ja alle irgendwie älter geworden“. Immerhin erstreckte sich die Hochphase dieser durchaus heterogenen Musikströmung von Ende der 1980er-Jahre bis bummelig zur Jahrtausendwende. Irgendwo zwischen Groove und Grunge. Die älteren Gäste im Knust trugen Shirts von Blumfeld und Stereo Total. Die jüngeren kamen mit Isolation-Berlin-Beutel. All diesen Bands, ob nun an der Elbe oder anderswo, ging und geht es darum, die deutsche Sprache anders zu nutzen.

„Eine Sprache, die belastet war durch den Nationalsozialismus“, erklärte Autor Jonas Engelmann bei der Podiumsdiskussion im Knust. Sein detailreiches Interview-Buch eben unter dem Titel „Der Text ist meine Party“ (Ventil Verlag), feierte an diesem Abend seine Veröffentlichung. Und drohte fast ein wenig unterzugehen ob der in den Tagen zuvor heiß debattierten NDR-Doku zur Hamburger Schule. Bernd Begemann als einflussreicher Künstler der Szene kam nur kurz in den zweimal 30 Minuten vor und beschwerte sich in ausgiebigen Online-Debatten vehement sowie teils sehr persönlich über seine Unterrepräsentanz. Im Publikum war dieser komplexe Streit sehr wohl Thema. Und die Frage, ob Begemann denn wohl zum Klassentreffen kommt. Nein, tat er nicht.

Hamburger Schule – auf der Bühne im Knust kein Wort zum Streit um die NDR-Doku

Der Elefant war also, frei nach dem englischen Sprichwort, im Raum. Auf der Bühne hingegen kein Wort von der Causa Begemann. Stattdessen lag der Fokus darauf, sich dem Phänomen Hamburger Schule überhaupt erst einmal anzunähern. Doku-Macherin Natascha Geier sprach mit Engelmann sowie Musikerin Bernadette La Hengst, ihrem Kollegen Frank Spilker und Myriam Brüger vom einstigen Label L‘Age D‘Or über Inspirationen, Widersprüche und Abgrenzungen. Es ging um Konkurrenzdenken und darum, wie patriarchale Strukturen auch in diese Szene hineinwirkten. Wer prägte den Diskurs? Die Lauten? Die auf der Bühne? Oder eben auch Schreibende und passioniert Diskutierende wie die Autorinnen Kerstin und Sandra Grether, die Spilker explizit hervorhob.

Letztlich liegen viele der Antworten (ebenso wie die Party) in den Texten der Songs. Wer die Hamburger Schule kennenlernen oder neu entdecken will, sollte zuhören. Und dazu gab es dann im Knust zum Glück auch reichlich Gelegenheit – mit einem andächtig lauschenden, auch mitsingenden und tanzenden Publikum. Ein wunderbares Wiedersehen: Sei es die grandios mondäne Nixe mit Erobique am Keyboard. Sei es Michael Girke an akustischer Gitarre mit seinen poetischen Reflexionen. „Wir sind Wolken/sind Momente“. Toll.

Eindringliche Stimme und ein rumpelnd-ravendes Finale im Hamburger Knust

Bernadette La Hengst sang mit ihrer fantastisch-eindringlichen Stimme stets aktuelle Songs ihrer Band Die Braut Haut Ins Auge, etwa „Was nehm ich mit, wenn es Krieg gibt?“. Peter Thiessen von der Band Kante und Ruth May an der Bratsche artikulierten Unbehagen und Hoffnung in der Welt auf schönstmögliche Weise. Und Knarf Rellöm lud mit seiner alten Formation Huah! als All-Star-Band zum rumpelnd-ravenden Finale. Nostalgie und Zukunftsblicke. Eine gute Energie.

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Zwischendrin intonierte Frank Spilker mit „1988 – In einer Nacht wie dieser“ einen sehr schönen frühen Song, interpretierte aber auch Hits wie „Universal Tellerwäscher“. Und der Sternesong „Hallo Euphoria“ klang nach all den diskursiv turbulenten Tagen auf Facebook und Instagram wie eine Rückbesinnung auf das Wesentliche: „Was gibt‘s denn sonst?/Es gibt nur die Kunst/Musik und das Leben/Was soll es sonst geben?‟

Die Autorin ist freie Journalistin, u. a. für den NDR, der die Hamburger-Schule-Doku in Auftrag gegeben hatte