Schwerin. Die vielfach preisgekrönte Performancekünstlerin und Choreografin Florentina Holzinger inzszeniert „Sancta“ . Härter geht es kaum noch.
Fröhlich durch eine Halfpipe skatende unten herum textilfreie Nonnen, an Haken durch die Rückenhaut emporgezogene Tänzerinnen, die in der Höhe Metallbleche bearbeiten, orgiastisches Gebrüll, Metal- und Techno-Klänge und viel nackte Haut.
Man hatte sich gefragt, wie die Performancekünstlerin und Choreografin Florentina Holzinger nach ihrem mit Preisen überschütteten Abend „Ophelia’s Got Talent“ weitermachen würde. Nun lässt sich sagen, sie bleibt sich treu in ihrem Mix aus weiblicher Selbstermächtigung und technischen Stunt-Herausforderungen.
Florentina Holzinger: Lustgewimmer und lautes Gebrüll – Oper radikal in Schwerin
Mit „Sancta“ hat die österreichische Künstlerin am Mecklenburgischen Staatstheater in Schwerin ihre erste Opernperformance herausgebracht. Auf der Bühne brennt Kerzenlicht im Greifarm eines Roboters. Ein gigantisches Kreuz aus Neonröhren senkt sich herab. Es entwickelt sich im ersten Teil die Handlung von „Sancta Susanna“ (1922) nach der gleichnamigen Kurz-Oper von Paul Hindemith.
Die Sopranistin Cornelia Zink begeistert darin als Susanna, die in einer Mainacht in der Klosterkirche durch den Duft eines Fliederstrauchs und das Lustgewimmer einer Magd irritiert wird. Ihre Mitschwester Klementia, herausragend gesungen von Andrea Baker, erzählt ihr die Horrorgeschichte einer Schwester, die einst das Kruzifix umarmt hat und dafür lebendig eingemauert wurde. Passend dazu vergnügen sich auch hier zwei Frauen erst an einer Kletterwand, dann am großen leuchtenden Kreuz. Nebenan aufgetürmte Ziegel verheißen nichts Gutes.
Doch dann erzählt Holzinger im zweiten Teil ihre eigene „Messe“ einer lustvollen Selbstbefreiung. Indem sie und ihr weiblich-diverses Ensemble sich maskuline Gesten aneignen, reißen sie den patriarchal besetzten Religions- und Kirchenmachtkomplex ein. Das tun sie zwar wenig tiefschürfend, aber mit eindringlichen Bildern und großem Überwältigungsgestus.
Oper in Schwerin: Tänzerinnen schwingen an Weihrauchfass in atemberaubender Höhe
Unter lautem Gebrüll befreit sich die Eingemauerte. Textilfreie Performerinnen übernehmen. Eine Glocke senkt sich aus dem Bühnenhimmel, in ihr wird eine kopfüber hängende Tänzerin zum Klöppel. An der Rückwand zerschlagen Kletterinnen das Bild „Die Erschaffung Adams“ aus der Sixtinischen Kapelle. Die Botschaft lautet: „Zeit für etwas Neues“. Saioa Alvarez Ruiz wird als weiblicher Papst per Roboterarm durch die Luft gewirbelt. Hippie-Jesus Annina Machaz lässt sich als Erlöser wie einen Pop-Star feiern. Zwei Tänzerinnen schwingen an einem gigantischen Weihrauchfass in atemberaubender Höhe.
Als „Leib“ muss beim großen Abendmahl stellvertretend ein Stück live herausoperierter Haut aus dem Körper einer Performerin herhalten. Die Side-Artistinnen liefern diesmal weniger Nummernrevue ab, sondern fügen sich ins Gesamtkonzept. Ein „Heiliger Geist“ garniert das Gelage mit furioser Illusionskunst und sorgt für eine wundersame Rotwein-Vermehrung. Zusätzliche Musik- und Gesangsnummern tragen zu einer mitreißenden Musical-Unterhaltungsshow bei – eine Berghain-Techno-Nummer inklusive.
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Immer wenn die Inszenierung durchzuhängen droht oder Textpassagen allzu bekenntnishaft geraten, retten sie der überragende, häufig im Saal verteilte Chor und das Voranschreiten in der Liturgie. Die Mischung aus Heiligengeschichte, Erlösung Märtyrertum und ein ergreifendes „Gib uns Frieden“, mündend in eine Feier der Gemeinschaft, lassen „Sancta“ am Ende tatsächlich versöhnlich ausklingen.
„Sancta“Vorstellungen bis 2.6., (ausverkauft, ggf. Restkarten), Mecklenburgisches Staatstheater, Am Alten Garten 2, Schwerin, anschließend Wiener Festwochen, Staatsoper Stuttgart und ab Herbst an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin