Hamburg. Der große Pianist Sir András Schiff und das Chamber Orchestra of Europe spielen Brahms und Haydn. Das Publikum ist hingerissen.

So etwas nennt man wohl ein Husarenstück. Kein Dirigent ist zu sehen auf der Bühne der Laeiszhalle, aber plötzlich ist der Paukenwirbel da, und sogleich antworten die Streicher mit einem forschen Unisono. Das Chamber Orchestra of Europe, angeführt von der Konzertmeisterin Lorenza Borrani, gestaltet die Einleitung von Brahms‘ erstem Klavierkonzert bebend vor Energie und so souverän, als wäre es Kammermusik. Alle wissen, welche Stimme gerade die Hauptrolle spielt, sie hören aufeinander, lassen einander hervortreten, stürzen sich aber auch im Kollektiv auf die zornigen Triller und Ausbrüche.

Der Solist und Spiritus Rector des Abends, Sir András Schiff, sitzt derweil reglos da, die Hände auf dem Flügel liegend. Ihr macht das schon, sagt diese Körperhaltung. Auch wenn bei den Einsätzen schon mal eine Masche fällt: Kraft und Ausdruckswillen sind einfach überwältigend. Und wenn sich die Einleitung verausgabt hat und die letzten Zuckungen der Trompete zum Erliegen gekommen sind, öffnet sich der Himmel. Schiff lässt sich Zeit vor seinem Einsatz, er nimmt das Tempo einen Hauch ruhiger als vorher das Tutti. Es liegt etwas unendlich Tröstendes darin, wie gelassen er die Bögen spannt, wie in der Elegie seiner Phrasen das orchestrale Wüten als Widerschein in die Ferne rückt.

Laeiszhalle: Brahms bebt vor Energie – und das ohne Dirigent

Beide, Solist und Orchester, formen die Musik so plastisch, dass man glaubt, die Figuren und Motive anfassen zu können. Sie nehmen ihr Publikum mit auf eine Entdeckungsreise ins Innere eines Werks, das man doch gut zu kennen glaubt. Aber so noch nicht gehört hat.

Auch Brahms‘ Haydn-Variationen zu Beginn des Abends haben diese Körperlichkeit. Unter Schiffs Dirigat entfaltet das behäbig-drehorgelartige Thema Witz und Charme. Der Gesang der Holzbläser fließt, und die Streicher formen einen Klang, dessen persönliche Färbung unmittelbar zu Herzen geht.

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Hübsch auch die Programmidee, Brahms mit seinem Vorbild Haydn zu verabreden. Mit der „Sinfonia concertante“ B-Dur kommt der Bewunderte selbst zu Gehör. An Geige, Cello, Oboe und Fagott sind gleich vier Solistinnen und Solisten aus dem Orchester dabei und treten in einen lustvollen Austausch, geistreich, hochvirtuos und mit einem hinreißenden Gespür für den Augenblick.

Den würden wohl alle im Saal gern festhalten. Am Ende gibt es Standing Ovations.