Hamburg. In der Regel muss die Produktion im Allee Theater auf vier oder fünf Musiker eingedampft werden. Bei Bizet geht man jedoch aufs Ganze.
Ettore Prandi, musikalischer Leiter des Allee Theaters, muss die Besetzung ja in vielen Produktionen auf Quartett- oder Quintettformat eindampfen, damit sie überhaupt in den kleinen Graben passt. Aber nicht bei der konzertanten Aufführung von Georges Bizets „Die Perlenfischer“. Da sitzt ein ganzes Kammerorchester auf der Bühne. 23 Musikerinnen und Musiker umfasst das Rungholt Ensemble bei der umjubelten Premiere.
Mit diesem vergleichsweise üppigen Aufgebot erkundet Prandi den Reichtum der Partitur, der sich schon in der Ouvertüre andeutet. Herrlich, wie Bizet das Thema der Geigen mit Bläserstimmen andickt und noch fülliger fließen lässt. Sind das die Klarinetten, die da mit den Geigen mitsingen? Oder Hörner? Dass man das kaum ausmachen kann, ist ein Beleg dafür, wie geschickt der Komponist die Farben mischt.
Der „Perlenfischer“ in Hamburg: Bizet schrieb die Oper im Alter von 24 Jahren
Gerade mal 24 Jahre jung war Bizet, als er die bis heute erstaunlich selten gespielte Oper schrieb. Das Stück, angesiedelt auf der Insel Ceylon, „in vergangener Zeit“, erzählt ein Drama um Treue, Pflichtgefühl und Leidenschaft. Zurga, der frisch ernannte König der Perlenfischer, und sein Jugendfreund Nadir haben einst dieselbe Frau begehrt und sich daraufhin geschworen, der Liebe zu entsagen. Aber, wie das Leben eben so spielt, vor allem auf der Opernbühne: Einer von beiden hat den Schwur gebrochen. Und dann schleppt der Oberpriester auch noch eine verschleierte Jungfrau namens Leïla an, die eigentlich das Meer besänftigen und dafür schön keusch bleiben soll. Was allerdings so gar nicht funktioniert, weil diese Leïla der besagte Jugendschwarm der beiden Freunde ist. Ihre Liebe zu Nadir flammt wieder auf.
Lutz Hoffmann, der bewährte Moderator und langjährige Freundeskreischef des Allee Theaters, fasst diese Entwicklungen zwischen den Nummern kurz zusammen. Sodass man den französischsprachigen Arien, Duetten und Chören auch ohne Übersetzung gut folgen kann.
Exotisches Setting des „Perlenfischers“ wird durch die Musik gespiegelt
Die vier Protagonisten der Oper stehen vor dem Orchester, am Bühnenrand, ganz nah am Publikum. Ihre Kostüme – die Herren im Kaftan, Leïla im goldschimmernden Kleid – und der farbige Gesichtsschmuck (Maske: Eva Guerrero Rodriguez) deuten das exotische Setting an, das sich auch in der Musik spiegelt. Etwa in den schlangenbeschwörerisch anmutenden Verzierungen der Sopranpartie.
Luminita Andrei singt gewohnt koloraturensicher; sie verbindet technische Disziplin mit sinnlichem Leuchten, setzt den Ensembles die Krone auf. Beeindruckend, wie immer. Der junge Tenor Guillermo Valdés ist Nadir, ihr heimlicher und am Ende entlarvter Geliebter. Er hat den passenden Schmelz, die Wärme und auch eine besondere Glut in der Stimme, muss allerdings hier und da ein bisschen kämpfen, um die gewünschte Tonhöhe zu erreichen.
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Titus Witt, am Allee Theater oft als bassgewordene Gagmaschine in komischen Rollen zu erleben, zeigt sich diesmal von einer ganz anderen Seite. Als Oberpriester Nourabad orgelt er mit der angemessenen Schwere und verströmt eine Aura von heiliger Strenge. Er ist es auch, der Leïla und Nadir beim Stelldichein erwischt.
„Perlenfischer“ in Hamburg: Starke Darbietung – auf der Bühne und im Orchestergraben
Ihr doppelter Verrat stürzt König Zurga in einen dramatischen Konflikt. Zwischen unbändiger Wut und Eifersucht auf der einen und der Erkenntnis, dass Leïla ihm einmal das Leben gerettet hat auf der anderen Seite. Diese Zerrissenheit verkörpert der Bariton Leonhard Geiger packend. Er singt den Zurga großartig, füllt den Raum mit seinem kernigen, obertonreichen Timbre und mächtiger Strahlkraft.
Auch wenn es hier und da mal im Orchester ein bisschen ruckelt und manche Tempi sich erst zurechtgrooven müssen: ein starker Opernabend mit hinreißender Musik.