Hamburg. Kurioses Obst: Galerie der Gegenwart zeigt spektakuläre Skulpturen von Kathleen Ryan, Shootingstar der amerikanischen Kunstszene.
Schon von Weitem glitzern dem Publikum große am Boden liegende Objekte wie aus dem Erdreich frei gelegte Edelsteine entgegen: Im Inneren funkeln unzählige verschieden große Schmucksteine und Perlen in Rot, Rosa und Weiß um die Wette, durchbrochen von zartem Türkis. Durch das warme Licht von oben wirken sie wie Preziosen in einem Juweliergeschäft. Doch was soll die Autofrontscheibe mit abgeknickter Antenne, die an einem der größeren Stücke außen angebracht ist? Und wieso sitzen überall riesige goldene Fliegen auf der Oberfläche?
Bei genauerem Hinsehen setzen die Augen ein anderes Bild zusammen, werden Kirschquarz, Rhodonit und Karneol zu aufgerissenem Fruchtfleisch einer Melone, die türkisen Stellen aus Jaspis und Aventurin zu Schimmel, der somit viel kostbarer ist als die „Schale“, Stück eines ausrangierten Aluminium-Airstream-Wohnwagens, gefunden von der US-amerikanischen Künstlerin Kathleen Ryan, die die Objektfamilie „Bad Melon“ 2020 schuf. Die aus Santa Monica stammende 40 Jahre alte Künstlerin ist in den USA bereits populär; besonders ihre Werkreihe „schlechter Früchte“ hat sie berühmt gemacht. Sie ist in privaten und musealen Sammlungen vertreten und wird in Einzel- und Gruppenschauen gezeigt. In der Kunsthalle hat sie nun ihre erste große Einzelausstellung in Deutschland, mit Arbeiten von 2014 bis heute.
Kunsthalle: Faule Melone und Bowlingkugeln als Kette – was soll diese Kunst?
Es ist eigentlich nicht üblich, dass der Rosa-Schapire-Preis an eine Ausstellung geknüpft ist. Bei Kathleen Ryan hat Direktor Alexander Klar eine Ausnahme gemacht, „weil die Künstlerin einfach so gut in die Galerie der Gegenwart passt“. Und tatsächlich ist der durch den Kubus-Bau vorgegebene Rundgang im ersten Stock wie gemacht für die spektakulären Skulpturen der Preisträgerin von 2020, bei denen die Materialien oft im Widerspruch zu der eigentlichen Beschaffenheit der Objekte stehen. Dabei macht die Ausstellung auch einen kleinen Schwenk in den Altbau der Kunsthalle, zeigt dort „Bad Peach“ und „Bad Lemon“.
Ryan hat offensichtlich eine Schwäche für Bowlingkugeln, sie tauchen gleich mehrere Male in der Ausstellung auf, etwa in der Arbeit „Pearls“ von 2017, einer sich am Boden schlängelnden überdimensionierten Perlenkette aus Bowlingkugeln der Marke Pearls, erstanden bei Ebay und in Secondhandläden, zu einem Kunstwerk erdacht und produziert im Atelier in New Jersey, wo Ryan zusammen mit ihrem Mann, ebenfalls bildender Künstler, und einem fünfköpfigen Team arbeitet, als „Dirigentin eines sehr kleinen Orchesters“, beschreibt es Jasper Sharp. Der Kurator für moderne und zeitgenössische Kunst am Kunsthistorischen Museum Wien hat als Jury-Mitglied für Ryan votiert und die Hamburger Ausstellung zusammen mit Ifee Tack von der Kunsthalle entwickelt.
Objekte rufen Reaktionen zwischen Staunen, Belustigung und Abscheu hervor
Übergroße Weintrauben aus grauem Beton, in einer Art aufgeklappter Muschel anstelle einer Perle eine Bowlingkugel, aus Keramik gefertigte Kanarienvögel, die auf einem ausrangierten Satellitengitter sitzen, eine riesige Kette aus künstlichen Gänseblümchen – Ryans Skulpturen sind durch ihre Alltäglichkeit leicht zugänglich, überraschen, machen Spaß; ihre polierten Oberflächen wirken anziehend (die Künstlerin hat für Jeff Koons gearbeitet). Doch was soll diese Kunst, und warum ist sie bei Sammlern und Museumsleuten so begehrt? „Es ist das Spiel mit Erwartungen und Gegensätzen, Gewicht und Leichtigkeit, organische und industriell gefertigte Formen, reale und künstlerische Größe, präzise Handarbeit und die Unperfektheit von Fundstücken, klassische Zitate der Kunstgeschichte und extrem zeitgenössische Ansätze mit Bezügen zur amerikanischen Popkultur“, erklärt Jasper Sharp.
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Zudem bieten die Objekte auf vielerlei Ebenen die Möglichkeit zur Betrachtung und Reflexion; jeder mag zum Beispiel etwas anderes in den „Bad Cherries“ (2021) sehen, zwischen Staunen, Belustigung und Abscheu schwanken. „Sie regen dazu an, über Reichtum und Verschwendung, Dekadenz und Verfall sowie über den Kreislauf des Konsums und des Lebens nachzudenken“, so der Kurator. „Die fantasievolle Verspieltheit der Objekte suggeriert ebenso die Möglichkeit von Erneuerung und einer zweiten Chance.“ Die Künstlerin selbst schweigt sich übrigens über ihre Arbeit aus. Frei nach dem Motto: Lasst Früchte sprechen.
„Kathleen Ryan“ bis 11.8., Galerie der Gegenwart/Hamburger Kunsthalle (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall 5, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 16,-/8,- (erm.); www.hamburger-kunsthalle.de