Hamburg. Der russische Pianist, Dirigent und Komponist arbeitet in der Laeiszhalle in jeweils 24 Préludes die Gemeinsamkeiten heraus – beeindruckend.
Wenn ein Mann wie Mikhail Pletnev die beiden berühmten Préludes-Zyklen op. 11 von Alexander Skrjabin und op. 28 von Frédéric Chopin in einem Recital einander gegenüberstellt wie am Mittwoch in der Laeiszhalle, war jedem Kenner schon im Voraus klar, dass wieder alles anders, neuer und weiterentwickelter klingen würde, als man es je zuvor gehört hatte. Michail Pletnev ist ja nicht nur Pianist, er ist auch Dirigent, Bearbeiter und Komponist, der Notentexte stets durch eigene Ideen zu erweitern und neu zu formen bereit ist. So hatte er zum Beispiel einmal keine Sekunde gezögert, den Orchesterpart von Chopins zweitem Klavierkonzert einfach neu zu orchestrieren oder aus Skrjabins fast vergessenem Klavierkonzert eine revidierte Fassung zu erstellen.
So weit ist Pletnev mit den jeweils 24 Préludes für Klavier solo von Chopin und Skrjabin, die wir in Hamburg hörten, natürlich nicht gegangen. Er hat sie ja nicht umgeschrieben. Die Art aber, wie er die vielen Gemeinsamkeiten zwischen Chopins und den fast ein halbes Jahrhundert später komponierten Préludes Skrjabins interpretatorisch herausarbeitete, war schon Eingriff genug.
Mikhail Pletnev arbeitet in der Laeiszhalle die Gemeinsamkeiten von Chopin und Skrjabin heraus
Pletnev ließ die Skrjabin-Préludes gleich mit großen Temposchwankungen und einem kraftvollen Anschlag in der linken Hand beginnen, wechselte im Allegretto dann aber schnell ins Delikate. Genau wie später bei Chopin lotete er die vielen klangfarblichen Varianten wirkungsvoll aus, die in Skrjabins eigenwillig erweiterter Harmonik allerdings noch schärfer zur Geltung kamen.
Das Verträumte und Weltentrückte der chopinschen Klangwelt fand sich jedoch auch in seiner Skrjabin-Interpretation, wurde hier aber auch schneller wieder gebrochen. Viele der Préludes op. 11 bauten sich erst langsam auf, die schnelleren Sätze wurden mit einem fast ungebremsten Bewegungsimpuls dagegen allerdings rasch immer wilder. Das Vorwärtsdrängende in Skrjabins Musik und die Begeisterung dieses Komponisten, an manchen Stellen das Geschehen in eine grummelnde Tiefe absinken zu lassen, ließ Pletnev wirkungsvoll zur Geltung kommen.
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Schon den freundlichen Beginn des C-Dur-Préludes von Chopins op. 28, das gleich darauf folgende Lento mit seinen vielen schattenhaften Eintrübungen oder die wellenartigen Bewegungen in der linken Hand im lichtdurchfluteten Vivace spielte Pletnev in einem Gestus, der sofort auch an Skrjabin zurückdenken ließ. Genau wie bei seinem russischen Nachfolger und Bewunderer gibt es bei Chopin das Emphatische, was Pletnev durch besonders kraftvoll gespielte Steigerungen, aber auch das zuweilen Trotzig-Drängende zum Ausdruck brachte.
Pletnev überzeichnete all das aber nicht, ließ gegen Ende dann aber doch mal Pathos durchdringen und setzte große Temposchwankungen und viele Verzögerungen im Kleinen ein.