Hamburg . Ein sensationeller Solo-Abend von Daniil Trifonov im Großen Saal der Elbphilharmonie. Warum der berühmte Pianist etwas riskierte.

Er sieht etwas, was für alle anderen unsichtbar ist. Er hört etwas, was unsereins entgeht. Daniil Trifonov am Flügel zu beobachten, macht einerseits rasend neidisch, weil er dort in eine Welt darf, für die nur er den Schlüssel hat. Andererseits ist es auch erschreckend. Denn wie kaum jemand sonst kämpft dieser 27 Jahre alte Extrem-Pianist mit jeder Note, mit jeder Nuance. Bei vielen Virtuosen kann man leicht alle weggeübten Noten ausblenden, die für höchstens halbwahr befunden wurden. In Trifonovs Spiel klingen diese Anstrengungen nach und mit. Was er tut und lässt, ist kein Spaß und dennoch das größte Vergnügen – in den raren Momenten, wenn alles stimmt. Und das Lächeln, dann? Seligkeit. Glück.

Trifonovs Experiment in der Elbphilharmonie

Dass Trifonov sein sensationelles Solo-Recital im Großen Saal der Elbphilharmonie so genoss, hatte nicht nur mit dieser für ihn so lebenswichtigen Verausgabungsgelegenheit zu tun, sondern wohl auch mit dem Experiment, auf das er sich dort einließ: kein Deckel auf dem Flügel, das Instrument, leicht schräg gestellt, sehr mittig. Dieser Verzicht auf direkte Reflexion setzte ganz neue Klangschattierungsmöglichkeiten frei. Und für das Publikum stand die Notwendigkeit des Umhörens und Mitdenkens radikaler im Raum, als es je in der Laeiszhalle der Fall sein kann.

Trifonov könnte nun wirklich alles spielen, doch er begann mit einer großartigen Kleinigkeit: Beethovens „Andante favori“, dessen kaum verschlüsselter Liebesbrief an eine junge Dame, in dem Trifonov das schlicht zu singende Hauptmotiv drehte, wendete und mit verspielter Höflichkeit betrachtete wie ein unerwartetes Kompliment. Die schlichte Harmonik bekam so Anmut und die Liebenswürdigkeit, mit der Trifonov ihr nachfabulierte, war allerliebst.

Charmant auf die Tastatur geworfen

Diese Stimmungsumschwünge auf engstem Raum waren aber auch eine ideale Vorstudie für die Es-Dur-Sonate op. 31/3. Keine der großen, eher Beethoven-Mittelfeld, noch kein so manisches Ringen wie in den späteren. Aber: nun, hier und jetzt und bei Trifonov eben doch. Charmant auf die Tastatur geworfen, mit einer Leichtigkeit, die jeden Lauf, jeder Ideen-Eskapade zum spontan ausgelebten Erlebnis machte.

Danach: Wechselbad. Schumanns „Bunte Blätter“, eine chaotisch zusammengelebte Sammlung von Einfällen unterschiedlicher Größe, abgebunden mit dem „Presto passionato“, dem später verworfenen Finale der g-Moll-Sonate. Trifonov verstand all das als Charakter-Studien, er warf sich, nicht immer eine Antwort findend, von einer Befindlichkeit in die nächste. In den düsteren Momenten: blanke, finstere Verzweiflung. Und nach der Pause als nächster Angst-Gegner Prokofiews 8. Sonate. Beidhändiges Ringen mit dieser irren, verworrenen Musik, mit ihren Fliehkräften und ihren Abgründen.

CD-Tipp: Daniil Trifonov „Destination Rachmaninov: Departure“ Philadelphia Orchestra, Yannick Nézet-Séguin (DG, ca. 16 Euro)