Hamburg. Auf nach Schleswig: Joana Vasconcelos erschafft magische Riesenwerke, die den Feminismus und die traditionelle Handwerkskunst feiern.
Ein mehrere Meter großer Stiletto steht mitten im prächtigen Gobelin-Saal. Ein Wandteppich nach Entwürfen Peter Paul Rubens und ein Porträt des letzten regierenden Herzogs Schleswig-Holsteins, Friedrich IV., rahmen ihn ein. Aus der Ferne schimmert er auffällig silbern, wie mit großen Pailletten besetzt. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man, dass sich die Pumps-Silhouette aus Pfannen und Kochtopfdeckeln aus rostfreiem Stahl formt.
Die Skulptur „Marylin“ (2011) ist – wie bei allen Werken der Künstlerin Joana Vasconcelos – eine Referenz auf die Kraft weiblicher Ermächtigung. Diese hier ist ganz offensichtlich ein Seitenhieb auf die Frauen häufig zugedachte Zuständigkeit für Küche und Verführungskunst durch hohes Schuhwerk.
Schloss Gottorf in Schleswig: Stilettos aus Bratpfannen und Kunst aus Portugal
Und es war eines dieser Werke, die Thorsten Sadowsky auf der Biennale in Venedig 2005 so stark beeindruckte, dass er fortan die unglaubliche Karriere der 1971 in Paris geborenen Künstlerin verfolgte. „Dort war ein prächtiger Kronleuchter ausgestellt, aus lauter kunstvoll aneinander und aufeinander gereihten Tampons.
Das war natürlich ein mutiges feministisches Statement zur damaligen Zeit“, erinnert sich der heutige Vorstand der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen. Nun zeigt die international gefeierte Künstlerin ihre riesigen, magisch wirkenden Skulpturen in Schleswig. Am 1. Mai eröffnet auf Schloss Gottorf ihre Ausstellung „Le Château des Valkyries“ („Das Schloss der Walküren“).
Kunst aus Portugal: Die Walküren erobern Schloss Gottorf
Die Walküren sind so etwas wie ein Markenzeichen der Künstlerin. In der nordischen Mythologie sind sie die auf Pferden reitenden Todesengel, die in der Schlacht gefallene Krieger nach Walhalla bringen. Bei Joana Vasconcelos erfahren diese Geisterwesen eine Umdeutung: Ihre schwebenden, organischen Skulpturen sind mit Luft gefüllt, mit bunten Stoffen umspannt und lauter Fransen, Pailletten, LED-Lichtern, Kordeln, Perlen und Stickereien geschmückt, alles davon ist in Handarbeit hergestellt und angebracht worden. Sie feiern das Ornament und erheben die Textilkunst, die in den Künsten traditionell einen eher niederen Rang einnehmen. Jede Walküre ist einer besonderen Frau gewidmet. Die „Valkyrie Marina Rinaldi“ huldigt der italienischen Modeschöpferin. Sie ist die größte in der Ausstellung und nimmt fast den gesamten Raum in der Reithalle in Beschlag – was bei aller Fröhlichkeit der Farben und Details doch etwas leicht Bedrohliches hat.
Dabei spielt der Maßstab an sich keine so große Rolle in der Arbeit der Künstlerin. „Das Hauptziel ist es, verschiedene Perspektiven auf die Realität zu bieten.“ Ob nun die überdimensionale Brust-Wandskulptur „Big Booby“ (2019, ebenfalls im Reitstall), die begehbare Riesen-Hochzeitstorte für die Rothschild Foundation im englischen Waddeston Manor oder die aus lauter Spiegeln zusammengesetzte Maske „Beyond“ im Yorkshire Sculpture Park.
Die Künstlerin zurrt selbst die Spanngurte bei der Stoffschlange „Pantelmina“ fest
Erdacht und geplant wird diese spektakuläre Kunst nach handschriftlichen Notizen und Skizzen der Künstlerin in einem Atelier in Lissabon, zusammen mit 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, darunter Architektinnen, Techniker, Grafikdesignerinnen, Ingenieure, Experten für Pressearbeit und Finanzen. Dabei werden stets mehrere parallel laufende Projekte betreut. Eine Mammutaufgabe. Ebenso den Überblick zu behalten über die Tausenden Knöpfe, Kordeln und Schmucksteine, die in Schubladen sortiert und Werken zugeordnet auf ihre nächste Verwendung warten. In einer Reportage für den Sender France TV erzählt Joana Vasconcelos, wie die Skulptur eines Lebensbaums entstanden ist: Während der Pandemie musste auch ihr Team sich per Videokonferenzen austauschen. Um dennoch etwas Gemeinschaftsgefühl zu schaffen, kreierten viele von ihnen zu Hause fantasievolle einzelne Blätter. Diese wurden dann zu einem ganzen Baum zusammengesetzt.
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Wie stark das Team durch die intensiven kreativen Prozesse zusammengeschweißt ist, spürte man während des Aufbaus der Ausstellung. Zwei Wochen vor Beginn waren acht Leute mit etlichen Containern aus Lissabon nach Schleswig gereist, um unter der Leitung von Projektmanagerin Paula Lateo alles einzurichten. Offensichtlich zur Zufriedenheit der Künstlerin, die beim Laufen durch die Räume kurze Anweisungen durchgab, mit einer ihrer Beraterinnen per Videochat letzte Korrekturen besprach und bei der Schlangen-Skulptur „Pantelmina“ selbst die Spanngurte festzurrte. Nur bei der „Valkyrie Martha“ hielt sie sich länger auf: Die an mehreren Säulen gespannte Stoffarbeit ist verbunden mit einer portugiesischen Tanzperformance, die am Eröffnungstag dargeboten wird. Dabei sollen die herabhängenden Tentakeln von den Tänzerinnen und Tänzern an Westen befestigt auf dem Rücken getragen werden.
Für Chefrestauratorin „das forderndste und aufwendigste Projekt in 15 Jahren“
„Es war im Dezember 2023, als Joana Vasconcelos zum ersten Mal bei uns zu Gast war. Sie war so begeistert von den Räumen des Schlosses, dass wir sie fast bremsen mussten“, erzählt Chefrestauratorin Anne-Christin Henningsen. „Ursprünglich sollten nur Kreuzstall und Reithalle mit ihren raumgreifenden Arbeiten bespielt werden. Aber die Künstlerin beschloss kurzerhand, noch eine vierte Walküre in die Ausstellung zu nehmen.“ So wurde „Valkyrie Thyra“ in die Schlosskapelle installiert. Die dafür nötige Aufhängung in den alten Gemäuern zu konstruieren dauerte mehrere Wochen, die Anbringung an sich sechs Stunden. Als ihr bisher „forderndstes und aufwendigstes Projekt“ bezeichnet es die Restauratorin, die seit 15 Jahren auf dem Schloss tätig ist.
„Thyra“ ist ein Arm der „Valkyrie Miss Dior“, die die Künstlerin zu Ehren der Schwester des Modeschöpfers Christian Dior, Catherine Dior, schuf und während der Herbst/Winter-Schau des Modehauses 2023 gezeigt wurde. Außerdem bezieht sich der Titel auf die gleichnamige dänische Königin. Die Kapelle wird von der dänischen Kirchengemeinde genutzt, von daher ist die Walküre sowohl eine geschichtliche Anknüpfung als auch eine Verneigung vor den zahlreichen dänischen Gästen des Schlosses. Aber auch ohne dieses Hintergrundwissen begeistert diese besondere Kunst aus Portugal. Und das soll auch so sein, denn „wir sollten die Kunst nicht zu sehr rationalisieren, wir sollten sie mehr genießen“, findet selbst Joana Vasconcelos.
„Joana Vasconcelos. Le Château des Valkyries“ 1.5.–3.11., Schloss Gottorf, Schlossinsel 1, 24837 Schleswig, Di–Fr 10.00–17.00, Sa/So 10.00–18.00, Mo geschlossen, Eintritt 17,-/14,- (erm.); www.schloss-gottorf.de