Hamburg. Das gab es noch nie im Maritimen Museum: eine Gemälde-Ausstellung mit Seestücken, die die wechselvolle Geschichte Europas spiegeln.

Wer das Internationale Maritime Museum Hamburg (IMMH) ansteuert, hat meist ein festes Ziel vor Augen: Sei es, den Schiffsführungssimulator endlich mal auszuprobieren, eine weitere versteckte Figur am großen Lego-Kreuzfahrer zu entdecken, den Geschichten berühmter Piraten zu lauschen oder die unzähligen Schiffsmodelle aus der reichen Tamm‘schen Sammlung zu bewundern. Von denen sind tatsächlich fast 90 Prozent auf den insgesamt acht Decks ausgestellt. Was es allerdings bisher noch nie gab in der 15-jährigen Geschichte des Hauses: eine reine Gemälde-Schau.

Maritimes Museum: Marinemaler – sie liebten die Schiffe, das Meer und den Hafen

Aber jetzt: Mit „Spiegel der Welt. Schlaglichter auf Seestücke aus drei Jahrhunderten“ schlägt Patrick Rivière, der seit zwei Jahren Kurator am IMMH ist, in neues Kapitel auf: „Wir zeigen die erste epochenübergreifende Ausstellung mit Marinemalerei aus Europa vom 17. bis 19. Jahrhundert bei uns im Haus. Dabei konnten wir aus dem Vollen schöpfen: Mit rund 300 Gemälden präsentieren wir nur einen Bruchteil der Tausende Werke fassenden Sammlung in unserer Dauerausstellung. Rund 50 bisher nicht ausgestellte Werke sind nun in der Sonderausstellung zu sehen. Dazu kommen hochkarätige Leihgaben aus Privatsammlungen.“ Die Besucherinnen und Besucher mit etwas „überraschen, was sie nicht erwarten“, formuliert es der Kunsthistoriker.

Damit die wertvollen Seestücke auch richtig gut zur Geltung kommen, haben die Ausstellungsbauer das erste Deck abgedunkelt und die Wände dunkelgrau gestrichen. Gezielte Deckenleuchten lenken die Blicke auf das Wesentliche: die Bildmotive. Die beinahe meditative Stimmung in den Räumen ermöglicht es den Betrachtern, sich voll und ganz darauf einzulassen.

„Das Gesicht des Meeres hat mich seit meiner Kindheit fasziniert“, wird Peter Tamm Senior (1928–2016) im Booklet der Ausstellung zitiert. So wie ihm ging und geht es auch vielen Künstlern: Die See gilt seit jeher als Sinnbild von Sehnsüchten, war Schauplatz großer politischer Ereignisse und Leinwand künstlerischen Schaffens. Seestücke sind mehr als Abbilder maritimer Sujets, sie sind vielmehr Landschafts- und Geschichtsmalerei sowie Projektionsflächen für Atmosphären, Emotionen und menschliche Schicksale. Und sie waren und sind Kulturvermittler über Ländergrenzen hinweg.

Wiege der Marinemalerei liegt in den Niederlanden

Wie kaum ein anderes Volk leben die Niederländer vom Meer; daher verwundert es kaum, dass hier die Wiege der Marinemalerei liegt. Um 1650 fahren mehr Schiffe unter niederländischer Flagge als unter französischer und englischer zusammen. Der Handel beschert dem Land einen unvergleichlichen Wohlstand, wovon die Mittelschicht stark profitiert – und unter anderem in Kunst investiert.

Zum ersten Mal sind die Maler nicht mehr vom Mäzenatentum abhängig, können ihre Bilder frei verkaufen. Schätzungsweise 70.000 Gemälde entstehen auf diese Weise jährlich. Die Religionsfreiheit sorgt für eine Abkehr von christlichen Motiven. „Dafür wird die einfache Bevölkerung verstärkt bildwürdig“, so Rivière. Reinier Nooms Gemälde „Fischer ziehen ein Netz ein“ (1657) ist dafür ein Beleg, ebenso Wouter Knijffs „Boote an einer Anlegestelle“ (um 1640).

Reinier Nooms, genannt „Zeeman“ (1623/24–1664): „Fischer ziehen ein Netz ein“, 1657, Öl auf Leinwand.
Reinier Nooms, genannt „Zeeman“ (1623/24–1664): „Fischer ziehen ein Netz ein“, 1657, Öl auf Leinwand. © Internationales Maritimes Museum Hamburg | Internationales Maritimes Museum Hamburg

Ab dem 18. Jahrhundert wendet sich das Blatt: Die Niederlande müssen ihre Vormachtstellung auf den Meeren an das British Empire abtreten. Siegreiche Schlachten sollen nun in den Bildern der Marinemaler dargestellt werden; Bilder wie „Die Bombardierung Algiers“ (1819) von Thomas Luny oder „Off Fort Rouge“ (1849) von Clarkson Frederick Stanfield, das die Festung vor Calais zeigt, verkaufen sich gut. Künstlerisch üben die Niederlande weiterhin großen Einfluss aus. Viele Künstler wandern nach England aus, um große Aufträge zu übernehmen.

Nur eine Frau unter den Marinemalern: Louise Herminie Gudot

Was Caspar David Friedrich in der deutschen Landschaftsmalerei ist, ist Joseph Mallord William Turner (1775–1851) für die Briten: der Künstlerheld der Romantik. „Vor Margate“ (1840), eine besonders schöne Bleistift- und Kreidezeichnung auf körnigem blauen Papier, gelangte über eine Hamburger Privatsammlung in die Ausstellung: In virtuos verschlungenen Strichen deutet der Maler ein Boot vor einem Küstenstreifen mit Leuchtturm an. Die Wahrnehmung setzt aus diesem Wenigen ein zartes Panorama zusammen, das wie eine Fata Morgana wirkt. Turner dokumentiert damit ein Ereignis vor der Küste von Margate: Ein Schiff (die „Westminster“ oder die „Claudine“) wird absichtlich auf den Sand östlich der Küstenstadt auf Grund gesetzt, um dessen Ladung vor dem Sturm zu bewahren. Der Künstler besucht die Stadt mehrmals und lebt dort im Haus von Sophia Booth, mit der er bis zu seinem Tod liiert ist und die erste Besitzerin dieser Zeichnung ist.

Anton Melbye (1818–1875): „Sejlskibe“, 1859, Öl auf Leinwand.
Anton Melbye (1818–1875): „Sejlskibe“, 1859, Öl auf Leinwand. © Internationales Maritimes Museum Hamburg | Internationales Maritimes Museum Hamburg

Frauen sind übrigens kaum unter den Marinemalern zu finden: Die Ausstellung zeigt nur ein Bild der Französin Louise Herminie Gudin (1825–1876). Sie ist die Tochter des renommierten Malers Jean Antoine Théodore Gudin (sein undatiertes Gemälde „Fischerboot bei Sonnenaufgang“ schmückt die Außenwand des Museums) und geht bei ihm in die Lehre. Von ihr stammt das sehr stimmungsvolle Bild „Fischer im Abendlicht“ (undatiert).

Maritimes Museum: Anton Melbye war Schiffsbauer und lebte in Altona

In den 1820er-Jahren treten talentierte dänische Marinemaler auf den Plan, inspiriert durch die deutsche Naturromantik. Allen voran Anton Melbye (1818–1875), der mit einer kühlen Farbgebung das nordische Lebensgefühl spiegelt und durch technisch korrekte Details brilliert; er ist gelernter Schiffsbauer.

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Als einer der wenigen Maler findet er seine Motive tatsächlich an Bord von Schiffen (während andere ihre Bilder aus Erzählungen oder Geschichten herleiten). Melbye begleitet dänische Marineschiffe auf ihren Fahrten nach Marokko und Italien. Eine wichtige Station ist auch Hamburg, wo er im dänischen Altona lebt, Werften besucht und Studien vom Hafen und von der Elbe anfertigt.

Andreas Achenbach (1815–1910): „Hafenszene im Mondschein“, 1891, Öl auf Leinwand.
Andreas Achenbach (1815–1910): „Hafenszene im Mondschein“, 1891, Öl auf Leinwand. © Internationales Maritimes Museum Hamburg | Internationales Maritimes Museum Hamburg

Den Abschluss der Ausstellung bilden die deutschen Marinemaler Julius Hintz, Wilhelm Krause, Carl Saltzmann, Eduard Hildebrandt, Franz Johann Wilhelm Hünten und Andreas Achenbach (1815–1910). In ihren Bildern greifen sie die fortschreitende Industrialisierung mit rauchenden Schornsteinen und Dampfschiffen auf. Zur selben Zeit befriedigen sie die Sehnsucht der Menschen nach der unberührten Natur. Achenbach ist der bekannteste unter ihnen. Im Zentrum seiner Malerei steht immer der Mensch, der sich allerdings der Naturgewalt Meer in dramatischen Szenen unterwerfen muss. Dabei schwingt auch stets viel Pathos mit, etwa in seiner „Hafenszene im Mondschein“ (1891).

„Spiegel der Welt. Schlaglichter auf Seestücke aus drei Jahrhunderten“ bis 1.4.2024, Internationales Maritimes Museum Hamburg (U Überseequartier, Bus Bei St. Annen), Koreastraße 1, täglich 10.00–18.00 (24. und 31.12. geschlossen), Eintritt 17,-/12,- (erm.), imm-hamburg.de