Hamburg. Büchner-Preisträger sorgt sich um die freie Gesellschaft. Am Hamburger Theater setzt er auf eine neue Gesprächsreihe und starke Gäste.

Den Schweizer Autor, Essayist und Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss treibt das Politische um. Er wird gefeiert für seine weltweit gespielten Dramen wie „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ oder „Öl“. Seine Romane (unter anderem „Koala“) wurden in rund 20 Sprachen übersetzt. Ab dem 23. April moderiert er eine neue Reden- und Gesprächsreihe am Deutschen Schauspielhaus: „Zukunft der Demokratie“. Das Gespräch führt der viel beschäftigte Autor aus dem Zug Richtung Zürich.

Hamburger Abendblatt: Was hat Sie bewogen, sich mit der Zukunft der Demokratie zu beschäftigen?

Lukas Bärfuss: Die Arbeit an der Demokratie ist die tägliche Aufgabe einer jeden Demokratin und eines jeden Demokraten. Darin liegt eine große Gefahr: die fehlende Bereitschaft, sich zu beteiligen, sich zu engagieren und sich die Frage zu stellen, wie die Demokratie morgen aussehen soll. Eine demokratische, eine gerechte Gesellschaft ist lebendig und entwickelt sich. Wir sind alle aufgerufen, an unserem Platz daran zu arbeiten.

Inwiefern ist unsere Demokratie bedroht und was muss getan werden, um sie zu retten?

Neben den inneren Bedrohungen steht sie von außen unter Druck. Chinas KP lässt wenig unversucht, um den Rechtsstaat zu destabilisieren und Demokratinnen und Demokraten zu verfolgen. Ganz zu schweigen von Russland: Es greift die Demokratie auch militärisch an. Dazu kommt die technologische Entwicklung. Social Media haben wir weder begriffen noch gezähmt. Die künstliche Intelligenz steht erst am Anfang und bereitet schon Sorge. Dazu, natürlich, der Druck durch Klimawandel und Artensterben. Ein fast perfekter Sturm. Die Gesellschaft ist gefordert, vielleicht überfordert von der Größe der Aufgabe. Ich finde, große Aufgaben geben Gelegenheit, sich zu bewähren.

Schauspielhaus Hamburg: Lukas Bärfuss – „Sehe, was geschieht, wenn Geld und nicht Menschen regieren“

Sie gelten als Kritiker der nationalkonservativen und wirtschaftsliberalen Politik der Schweiz. Wie blicken Sie auf Deutschland?

Ich habe in den letzten Jahrzehnten oft und gerne in Deutschland gearbeitet. Ich fühle mich zugehörig und als Europäer. Natürlich besitze ich als Schweizer eine zusätzliche Perspektive. In der Schweiz sind wir in bestimmten Entwicklungen die Avantgarde. Der Rechtspopulismus sitzt bei uns seit Jahrzehnten in der Regierung. Aus der europäischen Politik haben wir uns vor 30 Jahren verabschiedet. Die Migrationsgesetze verschärften wir früher und härter. Und ich sehe, was geschieht, wenn das Geld und nicht die Menschen regieren. Und wir sind acht, nicht 80 Millionen, das macht den Überblick einfacher.

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Wie kommt die Auswahl der Gesprächspartner zustande? Die ersten beiden Ausgaben sind ja mit dem bekannten Politikwissenschaftler Herfried Münkler und der Schriftstellerin Herta Müller hochkarätig besetzt.

Im September dürfen wir Carolin Emcke begrüßen. Alle unsere Gäste arbeiten mit Wort und Tat an der Demokratie. Herfried Münkler ist einer der wichtigsten Analysten der internationalen Politik. Herta Müller sollten alle lesen, die den Glauben an die Demokratie verloren haben. Sie zeigt uns, wie es ist, in einer Diktatur zu leben. Und Carolin Emcke stellt die Frage, welche Geschichten uns als Gesellschaft verbinden, in Zeiten der globalen Erwärmung und der Gewalt.

Lukas Bärfuss in Hamburg: „Rechtspopulisten könnten an die Macht kommen“

Werden sich die Gespräche auch konkret um die Bedrohung der Demokratie durch die Diktatur drehen?

Es gibt Szenarien, dass die Rechtspopulisten in Landesparlamenten an die Macht kommen könnten. Man muss es verhindern, überall. Fremdenfeindlichkeit ist nicht regional zu erklären, sie kommt überall vor und bildet einen soliden Sockel. In einer Demokratie haben auch Fremdenfeinde eine Stimme und können wählen. Wir als Demokraten müssen alles tun, dass sie keine Mehrheiten bilden und nicht in die Regierung kommen. Man kann diese Ideen nicht zum Verschwinden bringen. Aber man kann sie eindämmen und von der Macht fernhalten. Und dies ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. In den Betrieben, der Verwaltung, überall.

Man kennt Sie als Theaterautor. Erfolgsstücke wie „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ und „Der Bus“ liefen auch mit Erfolg am Thalia Theater in Hamburg. Es scheint, als wurden Ihre Stücke mit den Jahren immer politischer. Haben Sie ein Faible für kontroverse Themen?

Ich schreibe über Politik, und ich schreibe über die Liebe. Die Literatur ist in der letzten Zeit politischer geworden. Ich fühle mich mit meinen Stoffen weniger allein als früher, das liegt vor allem an der postmigrantischen Literatur.

Gesprächsreihe im Hamburger Schauspielhaus: Zuhören als demokratische Tugend

Was ist Ihnen beim Schreiben wichtiger geworden, die Theaterdramen oder die Romanarbeit?

Das Theater wird mich nie verlassen. Es ist meine Lebensform. In Einsiedeln in der Schweiz hat im Juni das Welttheater Premiere. 500 Menschen aus dieser Bergregion führen vor der schönsten Klosterkirche der Schweiz seit einem Jahrhundert ein riesiges Spektakel auf. Und jeden Abend schauen 2000 Menschen zu. Und ich durfte den Text dazu schreiben. Es ist wundervoll. Eine soziale Installation. Alle 500 Menschen sind freiwillig dabei. Ohne Bezahlung. Theater und Demokratie hängen zusammen: Ein Kollektiv arbeitet an einer Sache, die niemand alleine beherrscht. Die griechische Polis ist ohne das Theater nicht vorstellbar. Und auch in Deutschland führt die demokratische, aufgeklärte Tradition ins Theater, nach Hamburg, zu Lessing und seiner hamburgischen Dramaturgie. Empathie, nicht Angst, soll das Theater auslösen.

Wie werden Sie Ihre Gespräche inszenieren? Zwei Stühle und zwei Wassergläser?

Wir beginnen mit einer Rede des Gastes und setzen uns danach zum Gespräch. Der Austausch wird im Zentrum stehen. Zuhören ist eine demokratische Tugend.

Diskussionsreihe: „Zukunft der Demokratie“, Lukas Bärfuss im Gespräch mit Herfried Münkler: Wie es um die Demokratie bestellt ist 23.4., 19.30 Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de