Hamburg. Für Sonntag nur noch Restkarten: Der Hollywoodstar liefert sich in Hamburg mit seiner litauischen Kollegin ein finsteres Dialogduell.
Im Angebot: ein berühmter Hollywoodschauspieler. Der Dealer: das Thalia Theater. Der Interessent: das Publikum. So weit sind sich alle Parteien einig. Zumindest abseits der Spielfläche ist die Situation eindeutig und liefert einen einleuchtenden Grund, warum ein Theater auch an einem Sonnabendnachmittag trotz strahlender Frühlingssonne das Haus voll bekommt.
Auf der Bühne sind die Verhältnisse längst nicht so durchschaubar. Zwar findet in Bernard-Marie Koltès‘ Zweipersonenstück „In the Solitude of Cotton Fields“ („In der Einsamkeit der Baumwollfelder“) ebenfalls ein Handel statt, ein mysteriöser Austausch von – nun, weniger von Waren als vielmehr von Zuständen, Atmosphären, Instinkten. Was der amerikanische Kinostar John Malkovich und seine litauische Kollegin Ingeborga Dapkūnaitė einander hier konkret andrehen oder abluchsen wollen, stellt sich dabei allerdings als weniger entscheidend heraus als das fesselndeWie. Das Ereignis ist die immer abgründigere Transaktion selbst.
Schon zum wiederholten Mal ist John Malkovich nach Hamburg gekommen, um hier Theater zu spielen. Kurz nach der Eröffnung der Elbphilharmonie zeigte er zuletzt 2017 in „Just Call Me God“ dem frisch eingeweihten Konzertsaal dessen Grenzen auf, einige Jahre zuvor sorgte er als Frauenmörder Jack Unterweger für ein ausverkauftes Deutsches Schauspielhaus, als Casanova gastierte er an der Staatsoper. Die Serienkiller-Vibes sind geblieben, die Verführungskraft sowieso, so viel kann man festhalten. Diesmal lotet Malkovich mit seiner ihm ebenbürtigen Bühnenpartnerin Dapkūnaitė und in der Regie des russischen Regie-Shootingstars Timofey Kulyabin die Regeln von Status und Hierarchie aus, von Begehren, Lust, Macht und Geschäft.
John Malkovich duelliert sich in Hamburg mit messerscharfen Dialogen und Serienkiller-Vibes
Wer hier Verkäufer ist und wer Kunde, ist dabei ebenso wenig ausgemacht wie die Natur der Ware. Alles muss verhandelt werden, zuallererst die Beziehung derer, die sich begegnen. Unverhohlen dräuen von Beginn an Aggression und Misstrauen zwischen denen, die sich – absichtlich? Zufällig? – gegenüberstehen, in einem düsteren Raum, der mit seinen vielen eigenartigen Türen noch am ehesten an einen Hotelflur erinnert. Das Geschehen beginnt in einem Schwarz-Weiß-Film auf der Leinwand, ein Unbekannter zieht sich aus und verschwindet onanierend in einer Dusche, in der schon wenig später Malkovich kauert und auf eine kühle Händlerin trifft, die sich ihm offensiv in den Weg stellt. „Wonach auch immer Sie verlangen, ich habe es schon, Sie müssen nur fragen“, erklärt sie, und schon diese erste Offerte klingt wie eine Drohung.
Malkovich und Dapkūnaitė suchen die Schlacht, sie umschleichen einander und nutzen die volle Breite der Bühne zum Dialoggefecht. Verführen wie Verführtwerden ist hier ein übergriffiger, gewaltvoller Akt. Auch wenn sie sich dabei den Rücken zuwenden, sind beide Figuren stets im Frontalkontakt – mit dem Publikum und über diesen Umweg auch miteinander. Denn Timofey Kulyabin und sein Bühnenbildner Oleg Golovko teilen den Schauplatz in einen Theaterraum und eine ebenso großflächige Kinoleinwand, auf der man der präzisen Mimik beider Darsteller in Großaufnahme folgt. Jedem Lippenkräuseln, jedem Atemzug, jedem Nasenflügelzucken. Wenn Malkovich offensiv ein Bonbon lutscht, kann das durchaus ein Ereignis sein.
In dunkler Stoffhose und weißem Hemd (sie mit Krawatte, er mit Hosenträgern) behaupten sich beide „innerhalb der Grenzen des Schicklichen“, um dann doch jede Grenze zu jeder Zeit zu überschreiten und ihr Verhältnis ohne Unterlass auf die Probe zu stellen. Sie stoßen sich ab und ziehen sich an, es ist eine geradezu beispielhaft toxische Beziehung, die hier ausgehandelt wird. Voneinander lassen können die Kontrahenten nicht. Weil sie nicht wollen, womöglich auch, weil sie nicht können, einen Ausweg bietet keine der Türen.
Dahinter lauern stattdessen ein kleines Schneegestöber oder eine Gürtelsammlung, deren Verfügbarkeit auch nicht eben zur Gelassenheit beiträgt. Zwar gibt es einen Fahrstuhl, der aber saust ungebremst am Stockwerk vorbei. So bleibt den Figuren nur der maliziöse Tanz umeinander. Mal führt der eine, mal demütigt die andere, Malkovich und Dapkūnaitė tauschen Rollen und switchen Status. Nicht immer ist das dekodierbar, gebannt verfolgt man dennoch die permanente Täter-Opfer-Umkehr. „Es gibt keine Regeln, nur Mittel.“
- Interview: John Malkovich spielt den Diktator in der Elbphilharmonie
- Thalia Theater: Barbie und „brüllend Komisches“ – Intendant stellt letzte Saison vor
- Schauspielhaus Hamburg setzt auf Heinz Strunk, Fatih Akin und Bertolt Brecht
Auch wenn sich manch ein Mittel, insbesondere der in seiner Bedeutungsschwere nahezu gleichbleibende Ton, verstärkt durch ein düsteres Dauerdröhnen (Sounddesign: Timofei Pastukhov), zwischenzeitlich erschöpft – hat vor allem John Malkovich seine darstellerischen Mittel ungemein präzise im Griff. „Being John Malkovich“ ist ein Prinzip, das auch auf einer Theaterbühne verlässlich funktioniert. Das Hamburger Publikum dankte mit Jubel und Standing Ovations.
Gastspiel„In the Solitude of Cotton Fields“, wieder am Sonntag, 21. April, 16 und 19 Uhr, Restkarten unterwww.thalia-theater.de