Hamburg. Der Hollywoodstar ist von Mittwoch an im Stück „Just Call Me God“ zu sehen. Ein Gespräch Politik, Egoismus und die Nachrichten.

Anmaßend, brutal, selbstgerecht. Der personifizierte Größenwahn, dieser Kerl, der einer Journalistin ein Interview in einem Konzertsaal gewährt und daraus ein Machtspiel ums Überleben macht. Satur Diman Cha heißt der (fiktive) Diktator, der sich irgendwo unter der Wüste seines Unrechtsstaates eine Replik der Hamburger Elbphilharmonie gebaut hat und eine Reporterin dort als Geisel nimmt. „Just Call Me God“, fordert er sie auf, nenn mich einfach Gott.

Der Diktator ist – nach dem Frauenmörder Jack Unterweger und dem Verführer Casanova – die dritte hemmungslos egomane Figur, die dem Hollywoodstar John Malkovich („Gefährliche Liebschaften“, „Being John Malkovich“) auf den Leib geschrieben wurde und die ihn nun erneut in der Regie von Michael Sturminger auf eine Hamburger Bühne führt. Diesmal, als Welturaufführung, in den Großen Saal der Elbphilharmonie.

Am Mittwoch ist Premiere, noch wird vor Ort für „Just Call Me God“ geprobt. Und auch wenn ein reales Interview durchaus Ähnlichkeiten mit dem Stück aufweist – Journalistin trifft Malkovich in der Elbphilharmonie – könnte der Kontrast kaum größer sein. John Malkovich, weite Jeans, Kapuzenpulli, weiche Gummisohlen, spricht leise, langsam, zuvorkommend, mit irritierend sanfter Stimme und unbeirrtem Blick. „Just Call Me God“ ist ein Stück über Macht und Machtmissbrauch, über letzte Wahrheiten und „Fake News“, über Politik und Medien. Die reale Weltlage allerdings lässt den US-amerikanischen Hauptdarsteller verblüffend kalt.

Hamburger Abendblatt: Sind Sie ein politischer Mensch, Mr. Malkovich?

John Malkovich: Nein.

Gar nicht?

Malkovich: Überhaupt nicht. Was auch immer ich tue, versuche ich unideologisch zu tun. Es geht nicht darum, was ich denke, sondern wie der Charakter meiner Figur die Welt sieht. Das ist interessanter, als allen deine Ideologie aufzuzwingen.

Sind Politik und Ideologie für Sie das Gleiche?

Malkovich: Ich halte Ideologien jeglicher Art für zerstörerisch. Grundsätzlich. Ginge es in der Politik wirklich um Problem­lösungen, wäre ich interessiert.

Vielleicht ginge es in der Politik mehr um das Lösen von Problemen, wenn jemand wie Sie interessierter wäre?

Malkovich: Könnte sein. Und vielleicht würden Leute, die sich politisch engagieren, auch sagen, dass es ihnen durchaus um Problemlösungen geht. Ich denke aber nicht, dass echte Problemlösungen in diesem System überhaupt möglich sind.

Sie haben 1972 sogar aufgehört, wählen zu gehen. Warum?

Malkovich: Ich hatte als Collegestudent für die Kampagne von George McGovern gearbeitet, den Präsidentschaftskandidaten, der gegen Nixon verlor. Ich dachte, wenn die Leute nicht die Qualität des Unterschieds zwischen den Menschen McGovern und Nixon erkennen können – wozu das alles? Und ich ging nie wieder zur Wahl.

Haben Sie das je bereut?

Malkovich: Nein.

Auch nicht dieses Mal?

Malkovich: Nein. Amerika wird wie viele Länder mal in die eine Richtung ausschlagen und dann wieder in die andere. Vielleicht in vier Jahren oder in acht Jahren, vielleicht schon viel früher, wer weiß. Und jede Seite wird dir erzählen, wie brillant ihr Anführer ist.

Sie glauben also, es macht keinen Unterschied? Obama, Trump, ganz egal?

Malkovich: Ich glaube, es ist egaler, als die Leute denken, ja. Wir haben ja keine Diktatur. Ein Regierungschef kann zwar sagen, dass er dieses oder jenes tun will, aber er muss doch einige Hindernisse überwinden, um überhaupt irgendetwas zu tun.

Der amerikanische Schauspieler John Malkovic in der Elbphilharmonie
Der amerikanische Schauspieler John Malkovic in der Elbphilharmonie © Roland Magunia | Roland Magunia

Wäre es nicht vorstellbar, dass jemand diese Hindernisse kaltschnäuzig ignoriert, um seine Ziele zu erreichen?

Malkovich: Obama hat das ganz sicher getan, und Trump wird das auch tun. Die Leute, die Obama dafür applaudiert haben, werden aufschreien, wenn Trump das tut. Tja, darüber hätten Sie früher nachdenken müssen. Aber ich will die Welt nicht beeinflussen. Ich bin mehr daran interessiert, dass die Welt mich beeinflusst.

Haben Sie je überlegt, welchen Einfluss Ihre Weigerung hat, wählen zu gehen? Sie sind prominent.

Malkovich: Mein Gefühl ist: Je mehr Prominente über Politik reden, desto weniger Einfluss haben sie. Das hat die letzte Wahl bewiesen. Die Leute schalten ab. Ich bin Schauspieler, ich bin Regisseur, ich designe Mode, ich schreibe. Das ist es, was ich tue.

Was halten Sie davon, wenn andere sich öffentlich äußern wie Meryl Streep, die Donald Trump heftig kritisierte?

Malkovich: William Faulkner sagte: „Lass keinen Mann einem anderen Mann vorschreiben, wie er zu leben hat.“ Das gilt natürlich auch für Frauen. So lebe ich. Wenn andere das anders halten – fein. Ich würde allerdings behaupten, es ist äußerst selten, dass sie jemanden überzeugen, der nicht schon ihrer Überzeugung ist. Und ist das nicht eigentlich der Sinn der Politik? Andere von der eigenen Sicht zu überzeugen? Man predigt stattdessen zu den Bekehrten. Ich hoffe, durch meine Arbeit zu zeigen, wie meine Sicht auf die Welt ist. Aber ob Leute mir zustimmen oder nicht, ist mir ganz gleichgültig.

Ist das nicht, mit Verlaub, eine ziemlich egoistische Art, Teil einer Gesellschaft zu sein?

Malkovich: Ja. Ja, ist es. Ich vermute aber auch: Wenn sich die Leute alle einfach auf Ihre Arbeit konzentrieren würden, hätten wir weniger Probleme in der Welt. Ist das selbstsüchtig? Sicher. Ich muss mich darum kümmern, dass wir eine gute Show abliefern in ein paar Tagen, jeden Abend vor 2000 Leuten. Ich kümmere mich um meine Familie, meine Kinder, meine Freunde. Mir ist das genug. Ich bin nicht weiter interessiert.

Auch wenn Sie die Politik von heute nicht interessiert – Sie sind interessiert an Geschichte, richtig?

Malkovich: Okay, ich interessiere mich für Geschichte. Denn das eigentliche Problem ist doch, dass wir nicht wissen, was gerade tatsächlich geschieht. Wir denken nur, dass wir es wissen. Aber wir haben vor 50 Jahren auch gedacht, dass wir alles wissen, erst später stellte sich heraus, dass wir nichts wussten. Und meiner Familie gehörte eine Zeitung! Meine ganze Familie bestand aus Journalisten, meine Schwester war eine bekannte TV-News-Produzentin, das, was da jeden Tag aus dem Nachrichten-Ticker kam, als ich Kind war, war wie das Wort Gottes für uns. Es stellte sich heraus: Oft stimmte es gar nicht.

Halten Sie es für unmöglich, aus der Geschichte zu lernen?

Malkovich: Vielleicht kann man das, aber wie soll das deine Entscheidungen von heute beeinflussen, wenn du gar nicht wirklich weißt, was heute überhaupt geschieht? Wir wissen viel zu wenig. Und das ist nicht die Schuld von Journalisten.

Lesen Sie heute noch Zeitungen?

Malkovich: Nein.

Die Kontrahenten in Ihrem Stück sind ein Diktator und eine Journalistin. Politik versus Medien – Sie könnten kaum näher dran sein am Zeitgeist.

Malkovich: Das stimmt, und an manchen Orten der Welt bezahlen manche dafür mit ihrem Leben wie Anna Politkowskaja. Andere werden vielleicht nur in den sozialen Netzwerken gekreuzigt. Oder den asozialen Netzwerken, wie ich sie nenne.

Kameras sind Waffen, sagt der Diktator, den Sie spielen. Hat er recht?

Malkovich: Kameras sind viel gefährlicher als Waffen. Schauen Sie auf den Einfluss, den Leni Riefenstahl hatte. Schauen Sie, wie uns weisgemacht wurde, wer Stalin war. Wie Khomeini verehrt wurde. Wie Leute dachten, er sei ein cooler Typ wie Obama. Dekaden später findet man heraus, was die gemacht haben.

In der Politik gehe es allein um „Stories“, um Geschichten, sagt Ihre Figur im Stück. Ist das, während wir über „Fake News“ und „alternative Fakten“ debattieren, wahrer denn je? Oder fällt es uns nur plötzlich mehr auf?

Malkovich: Das Letztere ist es, glaube ich. Wir sagen in Amerika: Wem glaubst du mehr – mir oder deinen eigenen, lügenden Augen? Wer hätte zum Beispiel damals gedacht, dass wir es waren, die den früheren iranischen Regierungschef Mossadegh gestürzt haben? 20 Jahre später wundern sich Leute, warum die Iraner die Amerikaner so sehr hassen – dabei ist das alles nicht besonders komplex. Man wusste es eben nur nicht, während es passierte.

Lassen Sie uns über den Diktator sprechen, den Sie in „Just Call Me God“ spielen. Sie haben bereits den Killer Jack Unterweger gespielt, den Verführer Casanova, nun Diman Cha. Was haben die gemeinsam?

Malkovich: Sie lieben es, sich reden zu hören!

Eitelkeit.

Malkovich: Eitelkeit, absolut.

Ist das etwas, was diese Figuren auch mit Ihnen gemeinsam haben?

Malkovich: Ja, wahrscheinlich. Was mir fremd ist, sie aber verbindet, ist das Bedürfnis, Macht über andere zu haben. Wenn man sich Gaddafi-Aufnahmen anschaut … Vielleicht hat er anfangs wirklich geglaubt, die Welt mit seinem kleinen grünen Buch zu einem besseren Ort zu machen.

Tun Sie das, um sich auf eine Rolle wie diese vorzubereiten – Aufnahmen von Gaddafi oder Saddam Hussein angucken?

Malkovich: Ja, von ihnen und anderen. Ich kenne meinen Stalin ganz gut und bin auch bei Franco nicht schlecht. Manchmal schaut man sich die an und empfindet sie als wirklich tragische Figuren.

Empfinden Sie Mitleid mit ihnen?

Malkovich: Ja! Man kann sicher sagen, sie haben das Schicksal bekommen, das sie verdienen, offenbar wurden sie selten durch ihr Gewissen belästigt. Aber manchmal empfindet man auch Mitleid, wenn man auf so ein Leben blickt und denkt: Was für eine Verschwendung. Was für eine Zerstörung. Man fühlt den Horror, den sie über so viele brachten.

Würden Sie so weit gehen, dass Sie Mitleid für die Diktatoren selbst empfinden?

Malkovich: Nicht wirklich. Wobei – ich habe kürzlich diese Aufnahme von Saddam auf YouTube gesehen. Da war eine Szene, in der er einem alten Mann Geld gab, „Hier, du bist jetzt reich“, alles für die Kameras natürlich, und er lachte – man konnte ahnen, dass er eine Art Charme hatte. Vielleicht würde ich es nicht Mitleid nennen – aber das kurze Aufblitzen von etwas, was, vielleicht, auch möglich gewesen wäre.