Im Schauspielhaus faszinierte John Malkovich in “Infernal Comedy“ als Frauenmörder mit österreichischem Akzent im Englischen.
Hamburg. Dass junge Menschen vor dem Theaterfoyer stehen und den Hineinströmenden mit ernster, fast sorgenvoller Miene ein Pappschild entgegenrecken, passiert ja auch nicht mehr so häufig im Schauspielhaus: "Suche 1 Karte" stand am Sonntagabend darauf, oder "Noch 1 Karte übrig?!"
Ein bedauerndes Achselzucken dürfte wohl die häufigste Antwort gewesen sein. Denn die beiden einzigen Vorstellungen seiner "Infernal Comedy" , die John Malkovich in Hamburg gab - eine um 20 Uhr und ein "Extra Late Night Special" um 23 Uhr, das bis nach Mitternacht ging - waren restlos ausverkauft. Und jenen, die deshalb vergeblich ihr Pappgesuch in die Höhe hielten, muss man leider sagen: Sie hatten das richtige Gefühl. Sie haben tatsächlich etwas verpasst.
Gemeinsam mit den Musikern der Wiener Akademie und vier Sopranistinnen (er verschleißt je zwei in jeder Vorstellung) gab Malkovich den österreichischen Frauenmörder Jack Unterweger, der sich mit seiner Autobiografie auf postmortaler Lesereise befindet und nun auf Einladung der Elbphilharmonie im Hamburger Schauspielhaus seine Deutschlandpremiere gibt. Also: Malkovich. Und: Unterweger. Während ein Teil der Zuschauer nämlich noch glaubt, es sei der Hollywoodstar, der da aufgeräumt und eitel auf die Bühne hüpft, mit hellgrauem Haupthaar, Bart und Wohlstandsbäuchlein ins Parkett winkt und ein paar einleitende Worte spricht, ist der in Wahrheit längst in seiner Rolle. Und baut auch sogleich süffisant die für Ortsfremde eigenwillige Konstruktion aus Veranstalter (Elbphilharmonie) und Aufführungsort (Schauspielhaus) in seinen Unterweger-Text ein, womit er direkt die ersten großen Lacher im Publikum kassiert: Eigentlich, sagt Malkovich/Unterweger, habe er ja "in einer Konzerthalle namens Elbphilharmonie" auftreten sollen. "Aber die sind wohl noch ein paar Tage hinter ihrem Zeitplan." Die Kultursenatorin und der Elbphilharmonie-Intendant in Reihe 5 lächeln tapfer. Was bleibt ihnen übrig.
In den folgenden knapp zwei Stunden erzählt und kommentiert Malkovich als Unterweger sein Leben. Er spricht Englisch ("die Sprache der Liebe"), aber mit österreichischem Akzent, und kreiert so eine eigene Kunstsprache, die ihn selbst an den Gouverneur seiner Wahlheimat Kalifornien erinnert. Auch, dass er "diese Art von Musik", die hier gespielt werde, wenn er sich "mal räuspern" müsse, eigentlich nicht leiden kann, gesteht Unterweger mit angewiderter Miene und weist auf die Orchestermusiker der Wiener Akademie hinter ihm. "Diese Art von Musik verursacht bei mir körperlichen Stress!"
Es ist nicht zu übersehen. Die Musik - und die Frauen. Während Aleksandra Zamojska anrührend Vivaldis "Sposa son disprezzata" aus "Ottone in Villa" singt, umschleicht er sie, kniet sich vor sie, lässt die Hand in ihren Ausschnitt fahren, nestelt nervös an einer Schlinge und eilt schließlich an den Bühnenrand, um sich ein Glas Wasser über den Kopf zu gießen und seinen Zuschauern das Offensichtliche zu erklären: "Frauen lassen mich den Verstand verlieren."
Das beruht auf Gegenseitigkeit. Permanent scheint dieser Mann den Atem einzuziehen, ist gespannt, ist überspannt, ist immer anmaßend und schleicht und tigert mit federndem Malkovich-Gang in seinem viel zu weißen Dandy-Anzug an der Bühnenrampe entlang - oder spaziert gleich direkt ins Parkett. Grenzen erkennt er nicht an. Unterweger. Oder Malkovich. Der schönen Dänin Louise Fribo löst er mitten in ihrer Mozart-Arie "Vorrei spiegarvi, oh Dio!" die rotbraunen Locken, holt ihr Blumen und Schokoladentorte aus den Kulissen, umgarnt und verschreckt sie gleichermaßen.
Anschaulich führt er damit die Faszination für das Monster Jack Unterweger vor, der einst als verurteilter Mörder durch die Talkshows tingelte und nicht nur die literarische Szene um den kleinen Finger wickelte. Nur sechs Monate nach seiner Begnadigung wurden in Wien, Prag, Graz und Bregenz acht Prostituierte brutal mit ihren Büstenhaltern erdrosselt - Unterweger schrieb für die Zeitungen über die Mordserie. Perfider geht es kaum.
Die Frauen lassen sich dennoch nur zu gern von ihm verführen, wollen "einmal mit einem Killer ins Bett", als Zeichen für das Spiel mit dem Feuer tragen die Sängerinnen lackrote High-Heels unter ihren langen Kleidern. Beide singen betörend und spielen überzeugend den Zwiespalt zwischen Faszination und Angst, während Jack Unterweger plausibel aufzeigt, wie ausgerechnet seine Identität als Frauenmörder ihn zum anerkannten Mitglied der Gesellschaft machte. Und auch dem Publikum hält Unterweger arrogant den Spiegel vor: "Ihr wärt doch gar nicht hier, wenn es nicht um den Killer in mir ginge." Nunja, der eine oder andere mag vielleicht auch für den Hollywoodstar gekommen sein. Erst zum Schluss zeigt sich, dass die auf dem Lesetischchen aufgestapelten Bücher über Unterwegers Leben, in denen doch endlich "die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit" stehen sollte, nur leere Seiten aufweisen.
Malkovich ist an diesem Abend das Energiezentrum der Vorstellung. Wach und irrsinnig präsent. Zu keiner Zeit jedoch spielt er die Kolleginnen an die Wand, "The Infernal Comedy - Confessions of a Serial Killer" ist in der Regie von Malkovich und Michael Sturminger und unter musikalischer Leitung von Martin Haselböck eine eindrückliche Ensembleleistung. Besonders Louise Fribo erntet, etwa für ihre Haydn-Arie "Berenice, che fai?", starken Szenenapplaus, Bravos und begeisterte Pfiffe.
"Als Nächstes sind wir in Bilbao", verabschiedet sich Unterweger - oder ist es an dieser Stelle dann doch Malkovich. Bloß den Kartensuchenden vor dem Theater wird das kaum weiterhelfen. Die Auftritte in Bilbao sind natürlich auch längst ausverkauft.