Hamburg. Uraufführung des Stücks „Frost – Eine Komödie“ im Winterhuder Fährhaus begeistert mit Dietrich Hollinderbäumer und mexikanischer Musik.

Der stilvolle Raum ähnelt dem Oval Office. Jedoch empfängt hier und heute nicht irgendein alter oder alter gemeingefährlicher US-Präsident seinen Stab, sondern ein Familien- und Firmenpatriarch namens Werner seine Gäste. Er feiere seinen 75. Geburtstag, sagt seine älteste Tochter.

Diese Wiebke, von Judith Richter im Verlauf mit dezent-souveräner Komik verkörpert, tritt vors Publikum im Winterhuder Fährhaus, durchbricht gleich mal die sogenannte vierte Wand und weist darauf hin, dass es nur eine „Familien-Kuchentafel“ werden solle. Der Herr Papa sei sparsam, erläutert die designierte Nachfolgerin von Deutschlands zweitgrößtem Papierfabrikanten, mit der „Cashcow“ Toilettenpapier. Und womöglich könne es Vaters letzter Geburtstag werden – sein schwaches Herz. Das ist der ungewöhnliche Rahmen für ein ungewöhnliches Stück, das als „Frost – Eine Komödie“ nun seine Uraufführung erlebte.

Theater Hamburg: Was für eine Farce dank „Frost“ mit „heute-show“-Star und Mariachi

In gewisser Weise geht es in Richard Kropfs Farce um Leben und Tod, ums Überleben und um ewiges Leben sowie natürlich ums Thema Familie. Denn Hausherr Werner – Fernsehstar Dietrich Hollinderbäumer (der Ulrich von Heesen aus der ZDF-„heute-show“) spielt ihn überzeugend mit griesgrämigem Alterscharme – fragt sich nicht nur mit Blick auf die drei erwachsenen Kinder: „Wie lange bleiben die denn?“ Er konfrontiert sie auch damit, dass es im Fall seines Ablebens nichts werde mit dem Erbe. Werner hat nämlich alles in die Wege geleitet, um kurz nach dem Tod eingefroren und zu gegebener Zeit wieder aufgetaut zu werden. Und das kostet.

Richard Kropf, bisher bekannt als Drehbuchautor für Film und Fernsehen („Wochenendrebellen“, Boris-Becker-Biopic „Der Rebell“, Serie „4 Blocks“), verbindet in seinem ersten Theaterstück „Frost – Eine Komödie“ den drohenden Erbstreit mit dem auf deutschen Bühnen bisher kaum behandelten Thema Kryonik. Die Komödie Winterhude kam dank eines in Berlin ausgelobten Autoren-Wettbewerbs darauf.

Dietrich Hollinderbäumer, mit Sabine Vitua schon lange Jahre in der TV-Sitcom „Pastewka“ zu sehen

Eine Win-win-Situation. Denn mit Regisseur Dominik Paetzholdt, Künstlerischer Leiter des Berliner Kabarett-Theaters Die Distel, hat Kropf eine Stückfassung mit pointierten Dialogen erarbeitet, die jedem der sieben beteiligten Schauspieler Raum gibt, sich komödiantisch zu entfalten. Wenn auch zum Ende hin etwas zu viel des Guten.

Bis dahin präsentieren sich des Patriarchen Ehefrau, die drei grundverschiedenen, jedoch glaubhaften Nachkommen plus Wiebkes Ehemann als Charaktere, denen man gern und gebannt beim Familientreffen zusieht. Sabine Vitua, schon in der TV-Sitcom „Pastewka“ als Managerin des gleichnamigen Comedians lange Jahre mit Dietrich Hollinderbäumer zu sehen, kämpft sich hier als Werners gläubige Gattin Esther frei – trotz ihres nötigen Stomabeutels. Über das medizinische Teil für Ausscheidungen sollten natürlich keine Witze gerissen werden, es passiert aber ...

Als Schwiegersohn Tillmann entpuppt sich Oliver Dupont als echter Klugscheißer

Dafür zuständig: Oliver Dupont. Der versierte Komödiant, bereits zum achten Mal Gast in Winterhude, holt auch in „Frost“ aus einer Nebenrolle wieder mal alles heraus, alles Lustige. Als Wiebkes Ehemann Tillmann, von Beruf Steuerberater sowie Hobbygolfer, entpuppt er sich als echter Klugscheißer, will immer das letzte Wort haben, tritt dabei aber in ein Fettnäpfchen nach dem anderen.

Als Kontrast zu diesem Business- und Elternpaar (selbstverständlich mit Babyfon-App!) taucht mit Lisa die jüngere Schwester bei der Feier auf. Kristin Heil gibt sie als Langzeitstudentin, die mehr vorgibt als das, was sie bislang real erreicht hat. Und macht in ihrer Rolle außer der des Vaters die größte Veränderung durch.

Theater Hamburg: „Frost“ – im zweiten Teil geigen sich Familienmitglieder schonungslos die Meinung

Okan Cömert hat als Bruder Rufus zwischen seinen beiden Schwestern weder mit der Firma noch mit der Uni was im Sinn. Als Filmemacher verdient er mehr schlecht als recht, hat jedoch immer wieder neue ausgefallene Ideen. Seine erste an diesem Abend sorgt für einen Hallo-wach-Effekt und große Heiterkeit beim Publikum: Die von Rufus als Geschenk für den Vater engagierte Mariachi-Band platzt viel zu früh in die Feier, legt aber mit Gitarren und Trompete zu mexikanischer Musik los wie die Feuerwehr.

Sabine Vitua in der Rolle der Ehefrau Esther macht Patrirach Werner (Dietrich Hollinderbäumer) für die Familienfeier zurecht.
Sabine Vitua in der Rolle der Ehefrau Esther macht Patrirach Werner (Dietrich Hollinderbäumer) für die Familienfeier zurecht. © Oliver Fantitsch | Oliver Fantitsch

Das in Hamburg gegründete Trio Mariachi Europa ist fortan Teil der Inszenierung. In der geigen sich die Familienmitglieder im zweiten Teil schonungslos die Meinung. Durchaus böse, aber erhellend. Es stößt beim Patriarchen Werner die Suche nach dem wahren Sinn des Lebens an „Feliz cumpleaños“ (korrekt gesungen und gespielt) oder „Feliz Navidad!“ (auch kurz zu hören, hier aber fehl am Platz), das ist hier nicht die Frage. Spät, indes nicht zu spät, entdeckt der Alte stattdessen das Trompetespielen für sich und zeigt plötzlich Empathie für seine Lieben. Werner im Wandel, auch das kriegt Dietrich Hollinderbäumer schauspielerisch hin.

Bliebe noch der siebte Darsteller: Als Gregory, Angestellter der Kryonik-Firma, sitzt Johannes Sautner mit aufgeklebtem Schnurrbart lange Zeit regungs- und sprachlos am Bühnenrand. Doch auch er wird sich rühren, zurückschlagen und noch etwas zu erzählen haben.

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„Sie sind ja noch hier?“, fragt Wiebke alias Judith Richter am Ende ins Publikum. Auch wenn jetzt alles „anders verlaufen sei als gedacht“. Macht jedoch gar nichts. Nach dem Lied „Carnaval“ und minutenlangem Uraufführungsapplaus für alle Beteiligten folgt von Mariachi Europa und dem Ensemble sogar noch eine musikalische Zugabe: das populäre „Cielito lindo“, frei übersetzt „Mein Liebling“.

„Frost Eine Komödie“ bis 26.5., täglich (außer Mo), 19.30, So 18.00, Komödie Winterhuder Fährhaus (U Hudtwalckerstraße), Hudtwalckerstr. 13, Karten zu 25,- bis 43,- unter T. 040/48 06 80 80; www.komoedie-hamburg.de

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