Hamburg. Dietrich Hollinderbäumer ist in „Frost“ zu sehen. Warum er so gern in Hamburg auftritt und wie er bei Ingmar Bergman gelernt hat.

Im vorderen Foyer der Komödie Winterhuder Fährhaus steht ein älterer schmächtiger Herr mit grauem Haarkranz und grauem Bärtchen inmitten von Koffern und lächelt. Erst vor wenigen Minuten ist Dietrich Hollinderbäumer mit dem ICE aus Berlin in Hamburg angekommen. Jener Mann also, der seit 2009 als Reporter Ulrich von Heesen in der ZDF-„heute-show“ gern auch mal dem Moderator Oliver Welke Kontra gibt. Und als inzwischen 81 Jahre alter Senior im Ensemble der Satiresendung viermal den Deutschen Comedypreis und je einmal den Deutschen Fernsehpreis und den Adolf-Grimme-Preis eingeheimst hat.

UIrich von Heesen in der Komödie Winterhude? Er lernte bei Regie-Star Ingmar Bergman

Nun spielt Hollinderbäumer zum ersten Mal in Winterhude, und das in einer der Hauptrollen in der Uraufführung des Stücks „Frost – Eine Komödie“. Die Hansestadt ist für den Wahlberliner jedoch alles andere als Neuland. Seine Großmutter und Mutter stammten aus Hamburg. Und seine ungewöhnliche Vita hat den gebürtigen Essener noch viel weiter nach Norden geführt. Hollinderbäumers Leben ist so vielschichtig, wie es seine Film- und Fernsehrollen sind, inzwischen mehr als 180. Etwa in „Der Untergang“ (2004), in der Dürrenmatt-Neuverfilmung „Der Besuch der alten Dame“ (2008) mit Christiane Hörbiger und 15 Jahre lang die Vater-Rolle in der Sat.1-Comedy-Sitcom „Pastewka“.

Ursprünglich aber kommt Hollinderbäumer vom Theater, und eigentlich ist ihm der Schauspielerberuf beinah zugeflogen. Nach der Trennung der Eltern war er Anfang der 50er-Jahre mit der Mutter und seinem älteren Bruder nach Schweden gezogen, in Stockholm ließ er sich bei der Lufthansa zunächst zum Luftverkehrskaufmann ausbilden. „Da habe ich auch Tickets verkauft“, erzählt Hollinderbäumer, der danach zur Suisse Air wechselte, ehe er zum schwedischen Militär musste.

Als Patriach und Klopapier-Fabrikant steht und sitzt Dietrich Hollinderbäumer (M.) im Zentrum des neuen Stücks „Frost – Eine Komödie” im Winterhuder Fährhaus.
Als Patriach und Klopapier-Fabrikant steht und sitzt Dietrich Hollinderbäumer (M.) im Zentrum des neuen Stücks „Frost – Eine Komödie” im Winterhuder Fährhaus. © Chris Gonz | Chris Gonz

Während der Militärzeit wurde ihm jedoch klar: „Ich will nicht mehr ins Büro, ich will was anderes machen.“ Und da sein Stiefvater Kotti Chave, den seine Mutter 1957 geheiratet hatte, Schauspieler war und zum Mentor wurde, arbeitete der Stiefsohn dann als Regie- und Beleuchtungsassistent an einem kleinen Theater. Hollinderbäumer nahm Schauspielunterricht, lernte auf einer Kindertheater-Tournee durch Schweden „das Land richtig schön kennen, von Süden bis Norden“.

Ein Glück: Hollinderbäumer belegte Seminar beim Pantomimen Samy Molcho

Und nicht zu vergessen einen gewissen Ingmar Bergman. Nachdem Hollinderbäumer im ersten Anlauf in Stockholm die Aufnahme ans Königliche Dramatische Theater verfehlt hatte, bekam er eine zweite Chance. Sein Glück war, dass er zwischenzeitlich in Stockholm ein zweimonatiges Seminar beim bekannten Pantomimen Samy Molcho (heute 87) belegt hatte. „Ich habe dann bei der Prüfung mit der Aufgabe ‚Improvisation‘ eine technisch perfekte Pantomime hingelegt. Und damit war ich aufgenommen“, erzählt Hollinderbäumer noch heute mit Freude. Vor ihm saßen der Direktor Stig Torslow und Ingmar Bergman. Der weltbekannte Regisseur („Das Schweigen“, „Szenen einer Ehe“, „Fanny und Alexander“) war gleichzeitig Chef vom Theater, „er hat da viel mitgeredet.“, so Hollinderbäumer.

Die Erinnerungen an Bergman sind bis heute präsent. „Er kam gelegentlich zu uns in den Unterricht, hat da gesessen und sich befragen lassen“, berichtet Hollinderbäumer aus der Praxis. Gelernt habe er von ihm, indem er mit Kommilitonen etwas Verbotenes tat. Hollinderbäumer: „Wir haben uns in unseren Freistunden in den dritten Rang des Theaters geschlichen und von oben Bergman beim Proben zugesehen mit seinen großen Stars.: Erland Josephson, Max von Sydow und Bibi Andersson.“

In Hamburg arbeitete er zweimal im Theater im Zimmer, erst als Regisseur, Jahre später als Schauspieler

Bis 1968 blieb Schweden 17 Jahre Hollinderbäumers Lebensmittelpunkt. „Gar nicht so lange, aber es war natürlich die prägende Zeit“, meint er rückblickend. Noch heute fühle er sich als Schwede, hat noch nicht mal einen deutschen Pass. „Ich fühle mich jetzt aber eher als Europäer“, sagt der Schauspieler, der mit seiner 2022 nach 54 Jahren Ehe verstorbenen Frau Barbara viele Jahre zwischen Berlin und Mallorca pendelte. Da hatte er seine festen Engagements an renommierten Bühnen im gesamten deutschsprachigen Raum längst hinter sich, etwa am Deutschen und Jungen Theater Göttingen, an den Städtischen Bühnen Heidelberg und bis 1988 fünf Jahre lang als Ensemblemitglied an der Wiener Burg.

Seitdem hat er nur noch frei gearbeitet. „Ich habe das nie bereut, ich hatte immer interessante Aufgaben.“ Existenzängste kannte er kaum. Außer nach Zürich oder Bremen führte ihn sein langer Berufsweg auch mehrmals nach Hamburg.

Im Dialog mit Oliver Welke (l.) ist Dietrich Hollinderbäumer als Ulrich von Heesen regelmäßig freitags in der ZDF-„heute-show“ zu sehen.
Im Dialog mit Oliver Welke (l.) ist Dietrich Hollinderbäumer als Ulrich von Heesen regelmäßig freitags in der ZDF-„heute-show“ zu sehen. © ZDF/Willi Weber | Willi Weber

Hollinderbäumer weiß die Daten, das beeindruckt, ganz genau. Bereits 1973 hatte er das erste Mal in Hamburg gearbeitet: Im Theater im Zimmer inszenierte er mit der legendären Direktorin Gerda Gmelin Franz Xaver Kroetz‘ Ein-Personen-Stück „Wunschkonzert“. Und agierte in der weißen Villa in Alsternähe zwei Jahrzehnte später selbst auf der kleinen Bühne im Schauspiel „Berlin Bertie“ von Howard Brenton.

Beim letzten Hamburg-Gastspiel ging er zu Fuß über die Alster zum Ernst Deutsch Theater

Sein bis dato letztes längeres Hamburg-Gastspiel ist ihm besonders in Erinnerung. Im Winter 2009/10 spielte er mit Daniela Ziegler als deren Mann in Eugene O’Neills „Trauer muss Elektra tragen“ am Ernst Deutsch Theater. Anschaulich schildert Holllinderbäumer, wie er von seiner Künstlerwohnung in der Nähe des Abaton-Kinos vom Harvestehuder Ufer oft über die damals zugefrorene Außenalster in Richtung Mundsburg zur Arbeit gehen konnte. „Das war ein großes Vergnügen, ich habe es sehr genossen.“ Auch wenn Hamburg natürlich nicht mit Stockholm, seinen Schären und den im Winter oft großen Eisflächen vergleichbar ist..

Sein Sohn Seth Hollinderbäumer, von Beruf TV-Produzent, wohnt und arbeitet bis heute n Hamburg. Er hat sich zur jetzigen Uraufführung ebenso angesagt wie seine Enkelkinder, „die ganze Bande. Das ist ein zusätzliches Motiv, hier zu arbeiten.“, erläutert Hollinderbäumer.

In „Pastewka“ hatte Holinderbäumer 15 Jahre mit Kollegin Sabine Vitua zusammengespielt

Immer wieder kommen im Laufe des Gesprächs Schauspielkollegen wie Komödiant Oliver Dupont vorbei, begrüßen den Senior des Ensembles herzlich. Die insgesamt sieben Beteiligten kennen sich offenbar gut, von den Proben im Saal des Theaters am Potsdamer Platz etwa. Und mit Sabine Vitua hat Hollinderbäumer 15 Jahre in „Pastewka“ zusammengespielt.

Das Hauptmotiv seines Engagements aber ist das Stück. „Das hat mir gefallen. Ich habe den Autor und den Regisseur getroffen. Und sie haben erzählt, wer da sonst noch so mitmischt, es wurde immer schöner.“ In „Frost – Eine Komödie“ von Richard Kropf dreht es sich in Dominik Paetzholdts Regie um einen Erbstreit mit dem auf deutschen Bühnen bisher nicht behandelten Thema Kryonik. Dieser Begriff bezeichnet das „Einfrieren“ und Aufbewahren von Menschen kurz nach ihrem Tod – hier den eines 75 Jahren alten Vaters, der zu gegebener Zeit wieder aufgetaut werden möchte.

Winterhude: In „Frost – Eine Komödie“ tut es auch manchmal weh, meint Hollinderbäumer

Diesen Patriarchen Werner, einen Klopapier-Fabrikanten, gibt Dietrich Hollinderbäumer. „Das Stück hat ein Thema, das zu unserer Zeit passt“, sagt er. „Das ewige Leben, das ist Werners Problem, dass er nur für das Morgen arbeitet und dabei das Heute verpasst. Er hat seine drei jetzt längst erwachsenen Kinder kaum gesehen..“ Nach den Proben sei das Ensemble „schon mal richtig alle, doch es macht auch Spaß.“ . Das Stück sei zwar lustig, aber auch hart, „die Beteiligten geben es sich. Es tut auch manchmal weh“, sagt der Protagonist.

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An der Komödie Winterhude steht Dietrich Hollinderbäumer auf der Besetzungsliste ganz oben. Dass seinen wahren Namen nur wenige Menschen kennen? „Das trifft mich überhaupt nicht!“, sagt er. Der Schauspieler überlegt: „Ich bin mit dem Leben und meinem Beruf zufrieden, wenn ich schöne Aufgaben habe.“ Und dass er überhaupt auf der Straße erkannt werde. „Überall, sogar schon in New York auf der Straße. Natürlich nicht von Amerikanern, sondern von Deutschen“, berichtet Hollinderbäumer lachend. „Meistens sind die Leute sehr nett und wollen ein Selfie machen.“

Am 31. Mai, dem ersten Freitag nach seinem fünfwöchigem Engagement an der Komödie Winterhude, ist Dietrich Hollinderbäumer wieder in der „heute-show“ zu erleben. Auch diesen Termin hat er sofort parat. Präzise und vielschichtig, wie der Mann ist.

„Frost Eine Komödie“ UA Fr 19.4., 19.30 (ausverkauft), bis 26.5., täglich (außer Mo), 19.30, So 18.00, Komödie Winterhuder Fährhaus (U Hudtwalckerstraße), Hudtwalckerstr. 13, Karten zu 25,- bis 43,- unter T. 040/48 06 80 80; www.komoedie-hamburg.de

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