Hamburg. Die Bestseller-Autorin will den Leserinnen ihrer Bücher das Gefühl vermitteln, dass sie mit ihren Gefühlen nicht allein sind.
Man kennt sie als Schriftstellerin von extrem erfolgreichen Büchern wie „Mondscheintarif“. Doch es macht nicht nur Spaß, von Ildikó von Kürthy (56) zu lesen – sie auf der Bühne bei ihren Shows zu erleben, ist mindestens ebenso unterhaltsam. Weshalb man kaum glauben kann, dass die Hamburgerin unter einem Phänomen leidet, das sie selbst als „Schangst“ bezeichnet, eine Mischung aus Scham und Angst. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht die Bestseller-Autorin darüber, über die Fortsetzung ihres ersten Romans und die Sorge, dass ihr nie wieder etwas Interessantes einfällt. Zu hören ist das komplette Gespräch unter www.abendblatt.de/entscheider.
Das sagt Ildikó von Kürthy über …
… Scham und Angst, für die sie eine eigene Bezeichnung hat: „Der Schangst ist mein Name für eine Mischung aus Scham und Angst, die mich schon allzu lange begleitet. Das hat mein Leben sehr geprägt, manchmal auch auf skurrile Art und Weise. Denn einerseits bin ich ein großer Angsthase, andererseits eine Rampensau, und ich musste einen Weg finden, die beiden zusammenzubringen. Deshalb habe ich die Show zum Buch erfunden, bei der ich nicht allein auftrete und lese, sondern immer jemanden an meiner Seite habe. Ich habe es gern gemütlich und liebe das Abenteuer nicht, also bin ich auch in meinen Büchern nicht in die Ferne geschweift. Ich schreibe keine Abenteuerromane, es geht nicht hinaus in die weite Welt, es geht in die Innenwelt. Mein großes Thema ist der Alltag und die Untiefen, die im Gewohnten lauern.“
… die Selbstständigkeit als Autorin, die lange nichts für sie war: „Ich habe die Selbstständigkeit in jeglicher Form gefürchtet. Ich wollte nicht aus meinem Elternhaus ausziehen, ich wollte nie aus meiner Heimatstadt Aachen weg, ich wollte immer behütet sein. Eigentlich wollte ich für immer Kind bleiben. Die berufliche Selbstständigkeit hat mich viel mehr erschreckt, als es eigentlich nötig war. Ich habe drei Bestseller gebraucht, bis ich mich getraut habe, meinen Job als Journalistin beim ‚Stern‘ aufzugeben.“
… das neue Buch, von dem sie jedes Mal denkt, das es das letzte ist: „Wenn ich ein Buch fertig habe, bin ich mir jedes Mal ganz sicher, dass es das letzte Buch war und mir nie wieder etwas Neues einfallen wird. Wie leergeschrieben. Das ist zunächst ein schreckliches Gefühl, aber dann genieße ich es, nicht zu schreiben und mich auf meine hausfraulichen Fähigkeiten zu konzentrieren, da gibt es Optimierungsbedarf.“
… den ersten Roman, der nie veröffentlicht wurde: „Mein allererster Roman, den ich mit 20 geschrieben habe, heißt Blutsbrüder, es geht um die Dakota-Indianer. Dieses Buch ist zwar nie erschienen, für mich aber sehr wichtig, weil es auf den Rat von Petra Oelker, einer Schriftstellerkollegin aus Hamburg, hin entstanden ist. Die sagte mir: ‚Beschäftige dich mit dem, was du liebst, was du kannst und was dich beschäftigt.‘ Ich besuchte damals die Journalistenschule und sah mich selbstverständlich als Korrespondentin der ‚Süddeutschen Zeitung‘ in Washington; und dann habe ich mich auf meine Interessen besonnen, die nicht im Ausland, sondern auf der anderen Straßenseite lagen.“
… die Fortsetzung ihres ersten Buches „Mondscheintarif“, die im wahrsten Sinne des Wortes „Eine halbe Ewigkeit“ gedauert hat: „Ich bin jetzt seit 25 Jahren Schriftstellerin, und ich wollte ein besonderes Buch zu diesem besonderen Jubiläum schreiben. Über die lange Liebe, über eine Beziehung, die in die Jahre gekommen ist: Die Kinder sind aus dem Haus, man kennt sich schon etwas länger, man dreht nicht mehr durch, wenn man sich nackig sieht. Von dort war es kein weiter Weg mehr zu Cora Hübsch, der Heldin aus meinem ersten Roman ‚Mondscheintarif‘. Wie geht es ihr, 25 Jahre nach dem Happy End? So bin ich auf die Idee gekommen, nach einem Vierteljahrhundert die Fortsetzung meines ersten Buches zu schreiben.“
… den ersten Buchvertrag, den sie bekommen hat: „Ich habe meinen Vertrag für ‚Mondscheintarif‘ auf einem Weg erhalten, der nahezu ideal war für superverwöhnte Einzelkinder wie mich. Britta Hansen, damals Lektorin beim Rowohlt Verlag, hatte eine Geschichte von mir im ‚Stern‘ gelesen, rief mich an und fragte, ob ich mir vorstellen könne, irgendetwas Lustiges für und über Frauen zu schreiben. Ich musste nur noch ja sagen. Und das tat ich. Ich hatte keinen dornigen Leidensweg. Ich schrieb ,Mondscheintarif‘, damals noch begleitet von sehr viel Zigaretten und Wein – und das war es.“
… Leserinnen- und andere Kritiken: „Anonyme Onlinekritiken lese ich nur, wenn es mir sowieso schon richtig schlecht geht, um mich final runterzuziehen. Es ist einfach ungerecht, aber es ist leider so: Die guten Kritiken nehme ich mir weniger zu Herzen als die schlechten. Deshalb ist es reiner Selbstschutz, dass ich sie mir normalerweise gar nicht ansehe.“
… ein Leben zwischen Größenwahn und Selbstzweifel: „Ich sehne mich nach dem goldenen Mittelmaß. Ich weiß, dass in der Mitte die Kraft und das gute Leben liegen. Aber ich bin oft extrem: Ich kann fasten oder fressen, saufen oder asketisch leben, ich rauche 40 Zigaretten am Tag oder gar keine. Das durchzieht mein Leben. Ich pendele zwischen Größenwahn und Selbstzweifel. Nehme mich oft viel zu ernst und traue mir oft zu wenig zu. Die Übertreibungen in verschiedene Richtungen können zwar auch die Kreativität beflügeln, aber oft lähmt es leider. Ich mache schnell aus jeder Mücke einen Elefanten, da reicht es schon, wenn jemand etwas Negatives über meine Frisur sagt. Aber, immerhin: Ich merke, dass das mit dem Alter allmählich besser wird.“
Entscheider treffen Haider
- Jan Christof Scheibe: „Lebe jetzt!“
- Sabine Sommer: „Schluss mit dem Bau von Autobahnen“
- Mona Harry: „Das beste Publikum ist das auf dem Dorf“
… das Feuilleton und ihre Bücher: „Was das Feuilleton über mich schreibt, ist mir nicht wichtig, denn das ist nicht meine Zielgruppe, das sind nicht die Leserinnen, die ich erreichen möchte. Wenn ich wissen will, wie ein Steak schmeckt, das ich gebraten habe, frage ich ja auch keinen Vegetarier.“
… das Publikum bei ihren Shows: „Das sind vor allem Frauen, die ihre Freundinnen mitbringen. Was ich immer wieder als sehr berührend erlebe, ist, wie das Publikum im Verlauf der Show zusammenfindet, als würde man sich lange kennen. Jede Show endet damit, dass die Zuschauerinnen fünf Minuten lang gemeinsam ‚My way‘ singen. Dann entsteht ein bewegendes Gemeinschaftsgefühl, das mir so wichtig ist. Jede, die meine Bücher liest, soll spüren, dass sie nicht allein ist.“