Hamburg. Was Poetry-Slammerin Mona Harry alle Menschen rät, die Reden halten müssen – und was es mit der Sechs-Minuten-Regel auf sich hat.
Sie hat Kunst und Philosophie mit dem Ziel studiert, Lehrerin zu werden. Doch dann kamen ganz viele kluge Gedanken und Sätze dazwischen – und ein Ministerium, das einfach ein Video von ihr ins Internet stellte, ohne zu fragen. Spätestens seitdem ist Mona Harry eine der bekanntesten Poetry-Slamerinnen Deutschlands und lebt von ihrer Sprachkunst. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht sie über eine magische Grenze, eine Liebeserklärung an den Norden und verrät, warum sie das Publikum auf dem Land so liebt.
Das sagt Mona Harry über …
… ihren Beruf: „Wenn mich jemand nach meinem Beruf fragt, gerate ich regelmäßig ins Schwimmen. Ich sage dann meistens: Kunst im weitesten Sinne. Oder ich fange an zu erzählen, dass ich Texte schreibe und damit mit Poetry-Slam angefangen habe. Aber die meisten Leute haben davon entweder gar keine oder nur eine eingeschränkte Vorstellung, und ich kann dann nicht aufhören zu erklären, was ich alles mache.“
… Poetry-Slam und eine magische Grenze: „Das ist erst einmal Veranstaltungsformat. Man sagt deshalb nicht, dass man einen Poetry-Slam schreibt. Sondern man schreibt einen Text, mit dem bei einem Poetry-Slam auftritt. Das ist ein moderner Wettstreit von Dichter*innen, bei dem es kein Genre gibt. Das heißt, jeder kann das sagen, wozu er Lust hat, die einzige Regel ist, dass der Vortrag etwa sechs Minuten dauern darf. Man darf nicht singen, keine Musik oder Requisiten einsetzen. Es soll wirklich um den Text gehen, mit dem man das Publikum in der kurzen Zeit erreicht. Meine Texte sind meistens rhythmisch und oft auch gereimt, und trotzdem würde ich sie nicht als Lyrik bezeichnen. Ich liebe es, wie ich dabei mit der Sprache spielen kann.“
… ihr geringes Interesse am Fach Deutsch und ihren ersten Auftritt im Hamburger Molotow: „Deutsch gehörte in der Schule nicht zu meinen Lieblingsfächern, was vor allem an meinen Problemen mit der Rechtschreibung und der Grammatik lag. Als ich auf YouTube zum ersten Mal Filme von Poetry-Slams gesehen habe, war ich auch deshalb davon begeistert, weil die Menschen dort Dinge mit der Sprache gemacht haben, die keinen literarischen Regeln entsprachen. Das hat mich begeistert, und ich bin im Winter 2011 als Zuschauerin zu einem Poetry-Slam ins Deutschen Schauspielhaus gegangen. Sofort danach habe ich beschlossen, so etwas auch machen zu wollen, und bin eine Woche später im Molotow das erste Mal selbst aufgetreten. Was auch deshalb etwas absurd war, weil ich es vorher in der Schule gar nicht gemocht habe, wenn ich etwas vorlesen musste. Und heute verdiene ich mit so etwas Ähnlichem mein Geld.“
… ihre Liebeserklärung an den Norden, der sie bundesweit bekannt machte: „Ich habe 2015 eine ‚Lieberklärung an den Norden‘ geschrieben, die bei einem Auftritt in Süddeutschland von ein paar Leuten mitgefilmt und ins Internet gestellt wurde. Dort hat es das Kieler Wirtschaftsministerium gefunden, heruntergeladen und auf seinem eigenen YouTube-Kanal gezeigt. Alles, ohne mich zu fragen und anfänglich auch, ohne meinen Namen zu nennen. Bei denen ist es dann viral gegangen und von mehr als einer Dreiviertelmillion Menschen gesehen worden. Danach wollten viele Zeitungen, TV- und Radiosender mit mir sprechen. Der Text hat mir andere Auftrittsmöglichkeiten eröffnet und meiner Bekanntheit sicher sehr gutgetan. Plötzlich bekam ich Anfragen von unterschiedlichen Seiten, ob ich nicht zu diesem oder jenem Thema einen Text schreiben und vortragen könnte – zum Beispiel über Wasserwerke …“
… Tipps für Menschen, die Reden halten: „Ich glaube, dass viele Menschen von der Zeit-Regel bei Poetry-Slams etwas lernen können. Es ist schon gut, wenn man sich vornimmt, nicht zu lang zu reden, das müssen nicht sechs, das können auch zehn Minuten sein. Es hilft, um sich auf das fokussieren, was man wirklich sagen will. Ich kann aus eigener Anschauung bestätigen, dass die wenigsten Reden davon profitieren, wenn sich die Redner nicht an die vereinbarten Zeiten halten, man kann das leider oft bei Auftritten von Politikerinnen und Politikern erleben. Weiter hilft es, wenn man frei redet und in irgendeiner Form zeigt, dass man ein Mensch mit Emotionen ist, der keine Scheu hat, auch etwas von sich zu erzählen. Das ist alles seit Langem bekannt, aber leider halten sich nach wie vor zu wenige Menschen daran.“
… den Prozess des Schreibens: „Es ist ein Denkprozess, bei dem ich am Anfang nicht weiß, wo er endet, und bei dem ich oft vom Ergebnis überrascht bin. Wenn ich eine Idee habe, fange ich an, Worte zu sammeln, die mir dazu einfallen, Redewendungen, Assoziationen, Wortspiele. Wenn ich davon genügend zusammenhabe, beginne ich, die Dinge zusammenzuschreiben. Es ist mehr wie ein Puzzle. Irgendwann komme ich dann an einen Punkt, an dem ich den Text nicht mehr loslassen kann und über mehrere Stunden daran sitze, ohne wahrzunehmen, ob ich eigentlich Durst habe oder Hunger oder was sonst um mich herum passiert. Ich liebe diesen Prozess. Hinterher bin ich so leer und ausgelaugt, dass eigentlich nichts mehr geht, außer vielleicht, an der Steuererklärung zu arbeiten.“
… das Publikum auf dem Dorf und in der Großstadt: „Das beste Publikum ist Dorfpublikum, denn das ist noch nicht so abgeklärt. Ganz ehrlich: Studierende in Hamburg, die haben alles schon gesehen und gehört, die kannst du nicht mehr beeindrucken. Die ungebändigte Begeisterungsfähigkeit an Orten, an denen es noch nicht so oft Poetry-Slams gegeben hat, macht es Menschen wie mir am leichtesten. Aber ich bin natürlich trotzdem noch sehr, sehr gern auf Bühnen in Hamburg …“
Entscheider treffen Haider
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… Lob und Kritik: „Für mein eigenes Seelenwohl versuche ich zu vermeiden, Kommentarspalten auf YouTube oder anderswo zu lesen. Ich glaube, mir ist es wichtiger, was die Leute sagen, auf deren Meinung ich wirklich Wert lege. Meistens sind deren Beurteilungen auch deutlich konstruktiver als das, was man im Netz findet. Das, was dort steht, lese ich auch deshalb nicht, weil ich weiß, dass und wie es mich beschäftigen würde. Es ist absurd, aber mir geht es wie vielen anderen Künstlern: Wenn mich Menschen loben, lasse ich das kaum an mich rankommen; wenn sie mich kritisieren, passiert genau das Gegenteil. Wobei es natürlich extrem ärgerlich ist, dass man Kritik so viel ernster nimmt als Lob.“