Hamburg. 25 Jahre nach „Mondscheintarif“ erscheint nun die Fortsetzung des Bestsellers. Seine Autorin sagt: Mit 55 ist alles anders. Komplett.

Forsch hatten wir uns bei Ildikó von Kürthy selbst eingeladen. Als wollten wir uns für eine Homestory aufdrängen. War aber gar nicht der Plan. Ein Interview im Arbeitszimmer einer Schriftstellerin verspricht Einblicke beruflicher Natur, und um ihre Arbeit sollte es ja gehen. Frau von Kürthy, die Erkunderin weiblicher Lebenswelten mit Entertainment-Auftrag, hat einen neuen Roman geschrieben. „Eine halbe Ewigkeit“ heißt er und ist nicht einfach eine weitere Lieferung aus der Bestsellerproduktion einer erfolgreichen Autorin. Sondern die Wiederaufnahme eines Erzählfadens. „Eine halbe Ewigkeit“ ist die Fortsetzung eines der meistverkauften Bücher dieses Jahrtausends, von „Mondscheintarif“, dem Hit, zu dem ab Ende der so jungen Neunzigerjahre so viele unglücklich verliebte Frauen tanzten.

Ildikó von Kürthy gewährte uns Einlass in ihr Haus in Harvestehude. Ganz unkompliziert. Das passt dann wohl auch zu einer Frau, die in den sozialen Netzwerken, ihrem Podcast und auf ihren Veranstaltungen durchaus eine Form von Nahbarkeit offenbart. Später wird sie erzählen, dass sie sich mit ihren Leserinnen auch E-Mails schreibt. Jetzt wird erst einmal die Frage geklärt, ob man für das Gespräch im Arbeitszimmer bleibt oder nach dem Foto (mit Hündin Hilde) an das Fenstertischchen in der Küche geht.

Ildikó von Kürthy: Wie hält man die Liebe am Laufen?

Letzteres geschieht. Man blickt auf die Terrasse, ebenjene, auf der Kürthy und ihre Lektorin vor einiger Zeit saßen, um über das Thema des neuen Buchs zu sprechen. Ildikó von Kürthy hatte dieses Thema für sich schon gefunden, als Generationserfahrung in puncto Liebe: Wie bleiben Paare zusammen? Oder, wie Kürthy es auch ausdrückt: „Wie hält man die Liebe am Laufen?“ Die Hälfte aller Ü-50-Paare, sagt sie, trenne sich.

Was kann man daraus machen? Am besten einen Roman, der gleichzeitig die Romantik infrage stellt und doch auch feiert. Denkt man sich auch so als jemand, der das neue Buch schon gelesen hat und weiß, dass Kürthy exakt das getan hat. Ihr ist damals, im Austausch mit der Lektorin, noch aufgefallen, dass der Roman, der ihre Autorinnenkarriere in Gang setzte, Jubiläum feiert. Und dann musste, sollte, durfte es wieder Caro Hübsch sein.

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Die Heldin von „Mondscheintarif“ also. Die Um-die-30-Hamburgerin, mit der sich damals auch viele Studentinnen im geisteswissenschaftlichen Grundstudium identifizierten. Neben Kafka lag auf dem Nachttisch im Zweifel Kürthy. (Und wer seine Bibliothek tatsächlich alphabetisch sortierte, hatte faszinierenderweise einen Grund, sie im Regal nebeneinanderzustellen.) Ildikó von Kürthy wollte wissen, „was nach dem Happy End passiert“. Davon, also von der Realität, die unweigerlich einsetzt, wenn gerade alles noch so schön und kitschig war, erzählt sie nun in „Eine halbe Ewigkeit“, von Caro und Dr. Daniel Hoffmann und wie es also weiterging. Es gibt ein paar Überraschungen in diesem „Mondscheintarif 2“. Und es muss so sein, dass der Mediziner nicht der einzige Mann im Leben der nun 55-jährigen Caro Hübsch ist.

Ildikó von Kürthys neuer Roman „Eine halbe Ewigkeit“: Die kennt man doch von „Mondscheintarif“

Die ist immer noch nicht auf den Mund gefallen und von Frauen umgeben, die sich auch dem nächsten Akt in ihrem Leben entgegensehnen. Eine späte Hochzeit, zur Abwechslung mal mit einer Frau, oder noch einmal ein neuer, alter Mann im Leben? Es ist ein typischer Kürthy-Roman, viel Dialog – und mit dem Thema „Die Frau in den schon nicht mal mehr mittleren Jahren“ nahe am Publikum, das mit der Autorin gealtert ist. Sie müsse sich, sagt Kürthy, nicht lange fragen, was mit 55-jährigen Frauen passiert, „was mich beschäftigt, beschäftigt viele andere“.

Was einen unweigerlich zu dem Punkt bringt: Jung ist man hier als Fragesteller auch nicht mehr, andererseits eindeutig ein Mann. Kürthys Leserschaft ist beinah hundertprozentig weiblich. Kürthy würde sich über männliche Leser sicher nicht beschweren, auf jeden Fall ist sie der Meinung („Es ist das Wesen der Literatur, sich in Menschen hineinzuversetzen“), dass Männer über Frauen schreiben dürfen, „und vielleicht können sie es sogar“.

Ildikó von Kürthy bei der Show zu ihrem 2022 erschienenen Roman „Morgen kann kommen“ im Schmidtchen.
Ildikó von Kürthy bei der Show zu ihrem 2022 erschienenen Roman „Morgen kann kommen“ im Schmidtchen. © FFS-HH | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Das Gespräch biegt an dieser Stelle nicht in Richtung „kulturelle Aneignung“ ab, was hier ja auch eher eine „geschlechtliche Aneignung“ wäre. Man bekommt viel eher einen Eindruck davon, wie wichtig Kürthy weibliche Identität in all ihren Facetten ist. Also auch den problematischen. Auf die Frage, ob bei Frauen denn jenseits der 50 mehr los sei als bei Männern, kommt sie schnell auf den hormonellen Umbau, auf die Wechseljahre (Kürthy: „Eine Vollkatastrophe“) zu sprechen. Klar, hat man von gehört. Im Buch klingt das, was Ildikó von Kürthy im Gespräch die sexuelle „Unsichtbarwerdung“ der Frau nennt, übrigens ziemlich komisch: „Setz dich doch auf ein Menopäuschen zu uns“ – „Sobald ich versuche, sexy zu gucken, denkt mein Mann, ich hätte einen Schlaganfall“.

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Für sich selbst hat die Autorin („Brüste und Po waren sowieso nie mein Unique Selling Point“) übrigens beschlossen, sich im Zweifel klarzumachen, dass sie sich grundsätzlich für genau die Männer, die sie unter Umständen aufgrund ihres ergrauenden Haares aussortieren, ebenfalls gar nicht interessiert. Klingt nach einer guten Vorgehensweise. Über die manchmal arg konventionelle männliche Vorstellung von Schönheit landet man dann beim Leeren-Nest-Syndrom. Spoiler: Die Romanfigur Cora Hübsch leidet unter dem, ihr Mann aber auch.

Im neuen Roman, ihrem 16. Buch, zitiert Kürthy ihr Debüt ausführlich; als Tagebuch taucht der Text wieder in Caro Hübschs Leben auf. Was haben die Sätze von früher bei Kürthy selbst ausgelöst? „Mildes Lächeln und Wehmut“, sagt die gebürtige Rheinländerin. Es sei eine Begegnung mit ihrem jüngeren Ich gewesen; „nostalgisches Rückblicken ist ein Wesenszug, ich bin wehmütig, sentimental und neige zum Pathos“.

Ildikó von Kürthy: der Sound eines Lebensgefühls

Es klingt nicht so, als betrachte sie, die nach eigenem Bekunden vor der Zukunft eher Angst hat, ihre melancholische Neigung als Schwäche. Aber vermutlich weiß diese erfolgreiche Frau, die ihre Eltern verhältnismäßig früh verlor und Mutter zweier Söhne ist, dass Rückwartsgewandtheit manchen auch verdächtig ist. Ihre Leserinnen lieben sie jedenfalls für den Sound jenes Lebensgefühls. Sie sei jedoch, sagt Kürthy, „kein Vorbild für meine Leserinnen, es sei denn, weil ich Schwächen habe und offen damit umgehe“.

Man wundert sich nicht, dass diese Frau ihrem Publikum viel bedeutet: Ildikó-von-Kürthy-Bücher sind Identifikationstexte, die ihre Leserinnen barrierelos erklimmen können. Und man wundert sich auch nicht, wie stolz diese Frau darauf ist, dass ihre Bücher vielen in ihrem Leben geholfen haben. Wenn Fans für ein Foto zitternd neben ihr stehen, fühlt sie sich – „auf diesem Sockel“ – aber nicht wohl.

Erfolg bedeutet der Bestsellerautorin etwas. Vielleicht kann man die zehntausendfach verkauften Bücher so herunterbrechen auf ein für den Wahrnehmungsapparat handhabbares Maß: Sie sehe bei ihren gut besuchten Lesungen und Literaturshows (für Letztere ist sie bekannt) „ganz viele Freundinnen“. Die Frauen, für die sie ihre Bücher schreibt.

Ildikó von Kürthy: Zahnweh beim Interviewtermin

Sie hat, bevor es losging mit den Fragen zum Werk, dem ganz neuen und dem gesamten, darauf hingewiesen („Falls Sie sich fragen, warum ich grässliche Antworten gebe“), dass sie vormittags beim Arzt war. Zahnschmerzen hat sie immer noch. Und bleibt tapfer, als die grässlichen Reporterfragen kommen. Es sind die, die auf möglicherweise dünnere Stellen im Mantel der Zufriedenheit zielen. Also, der ewige Unterschied zwischen E und U, zwischem dem Hohen und dem weniger Hohen. Also Kritik.

Ildikó von Kürthy lebt seit Jahrzehnten in Hamburg.
Ildikó von Kürthy lebt seit Jahrzehnten in Hamburg. © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Sie lese, erzählt Ildikó von Kürthy, Amazon-Rezensionen nur dann, wenn es ihr ohnehin schon schlecht gehe. Wenn sie eine weit überwiegend positive Rezension lese, merke sie sich nur die kritischen Sätze. „Es ist das pure Klischee, ich ärgere mich selbst darüber“, sagt sie. Ein Kritikerurteil, das sie sich gemerkt hat, stammt von Denis Scheck: „Ildikó von Kürthy schreibt wie Inge Meysel auf Speed.“ Fand sie lustig. Hat sie zum Kompliment umgedeutet.

Was sie nicht über ihre Bücher hören will: „Wenn ich überhaupt nicht nachdenken will, lege ich mich in die Sonne und lese Kürthy.“ Trifft die Sache längst nicht mehr, findet sie, Krankheit, Tod, Sterbehilfe, all das kommt bei ihr vor. Hofft sie nicht ein kleines bisschen auf die Wertschätzung des Feuilletons, auch anspruchsvolle Akademiker brauchen schließlich mal Unterhaltung? Nein, sagt Ildikó von Kürthy, „das ist so, als würde sich das Steak nach der Liebe des Vegetariers sehnen“.

Ildikó von Kürthy: die Sache mit Yasmina Reza

Das Leichte, behauptet die Frau, die in ihre Geburtsstadt Aachen fährt, wenn es ihr mal nicht so gut geht, völlig richtig, das Leichte muss auch zu seinem Recht kommen. Und ohnehin ist es so, dass sie den Ernst, die Tiefe und das Unglück längst in ihre Bücher geholt hat. Es sei eine bewusste Entscheidung gewesen. Trotzig wird sie, als sie berichtet, wie sie kürzlich zufällig im Internet auf eine abwertende Äußerung stieß. Sie lautete: „Yasmina Reza kann das, was Kürthy nicht kann.“

Wer liest schon gerne über sich, dass man etwas angeblich nicht kann? Sie will ja gar nicht Yasmina Reza sein. Und sie könne, so Kürthy, wiederum Dinge, die Yasmina Reza nicht kann. Was man wertfrei so stehen lassen kann.

Ein früher Leser ihrer Romane ist übrigens Ildikó von Kürthys Mann, der Journalist Sven Michaelsen. Wenn man Ildikó von Kürthys Ausführungen lauscht, könnte man schon auf die Idee kommen, in ihren Romanen teile sich ihr eigenes Seelenleben mit, hie und da, oder es gehe auch um ihre persönliche Beziehung zu Männern. „Er selbst“, berichtet sie über ihren Mann, „würde sich aber nie wiedererkennen, er liest die Texte nur mit Blick auf Syntax und Formulierungen“.

Männer und Frauen sind tatsächlich sehr unterschiedlich.

Die Show zu Ildikó von Kürthys neuem Roman „Eine halbe Ewigkeit“ findet am 5.12. im Ernst Deutsch Theater statt. Es gibt noch Karten.