Hamburg. Heaven Can Wait, der Chor von Menschen über 70, sorgt für Furore und ausverkaufte Konzerte. Auf Tournee wird er trotzdem nicht gehen.

Er steht dem Chor vor, der wie kein anderer das Leben feiert, und dafür von immer mehr Menschen selbst gefeiert wird. Dabei wollte Jan-Christof Scheibe eigentlich niemals Chorleiter werden, dass und wie er zu „Heaven Can Wait“ gekommen ist, war wie so vieles in seiner außergewöhnlichen Berufslaufbahn ein Zufall. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ erzählt Scheibe – so nennen ihn die meisten –, wie es ist, mit Menschen zwischen 70 und 93 auf den Bühnen großer Theater Lieder zu singen, die deren Enkelkinder gut finden. Er verrät, was als Nächstes kommt und wie man mitmachen kann, selbst wenn man es nicht in den Chor geschafft hat. Das komplette Gespräch hören Sie unter www.abendblatt.de/entscheider

Das sagt Jan-Christof Scheibe (Jahrgang 1963) über …

… die Gründung von Heaven Can Wait: „Es war ein Zufall – wie so oft, wenn es um kreative Dinge geht. Thomas Collien, der Betreiber des St. Pauli Theaters und des Hansa-Theaters, und ich haben vor elf Jahren zusammengesessen und über neue Ideen für die Bühnen gesprochen. Thomas wollte gern eine Show mit alten Varieté-Künstlern machen, mit einem 80 Jahre alten Stepptänzer aus New Orleans und einem 85 Jahre alten Jongleur aus Buenos Aires zum Beispiel. Aber dann haben wir mal ausgerechnet, was es kosten würde, die älteren Damen und Herren aus der ganzen Welt nach Hamburg zu holen, und die Idee schnell wieder verworfen. Ich habe dann vorgeschlagen, uns mal im Umfeld nach älteren Sängerinnen und Sängern umzusehen. Daraus wollte ich einen Chor machen, dessen Alleinstellungsmerkmal sein sollte, dass er Lieder von Musikern singt, die deutlich jünger sind als die Chormitglieder, die Songs ihrer Enkelgeneration. Über das Projekt hat damals das Hamburger Abendblatt berichtet, und es haben sich rund 120 Männer und Frauen über 70, das war das Mindestalter, bei uns gemeldet. Daraus haben wir 35 Personen ausgesucht.“

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… den Kinofilm über den Chor: „Das war wieder ein Zufall. Einer unserer Sänger hatte einen Sohn, der befreundet war mit einem Filmregisseur, den er mal zu einem Konzert mitgebracht hat. Und der ist hinterher zu mir gekommen und hat gesagt: Über Heaven Can Wait muss ich einen Dokumentarfilm machen. Das Ergebnis ist wahnsinnig wahrhaftig geworden. Der Film hat unsere Botschaft auf den Punkt gebracht: Nutze den Moment, lebe jetzt, hadere nicht mit der Vergangenheit!“

… die Fangemeinde, die immer größer wird: „Wir hatten immer schon unsere Fans, die Konzerte waren sehr gut besucht. Aber durch den Kinofilm hat sich das jetzt noch mal potenziert, was dazu führt, dass wir auch in Städten wie Flensburg oder Bremen in großen Häusern spielen können, und fast immer ausverkauft sind. Wahrscheinlich könnten wir auch auf Tour gehen, aber das ist mit älteren Leuten leider schwierig zu organisieren – das schaffen meine Chormitglieder weder konditionell noch zeitlich. Deshalb haben wir längere Distanzen bisher auch ausgelassen.“

… die Auswahl der Lieder: „Die Entscheidung, welche Lieder Heaven Can Wait singt, treffe zu hundert Prozent ich. Es gibt keine Demokratie im Chorbereich. Man kann nicht mit 35 Leuten über das Stück diskutieren, als Chorsänger willst du nach einer Probe auch ein Ergebnis sehen. Je mehr man bei Proben redet und je weniger man singt, desto unbefriedigender ist das.“

… die Organisation hinter Heaven Can Wait, die auch auf Profimusiker setzt: „Wir haben einen Verein gegründet, der den Chor trägt. Das Ganze ist also kein Unternehmen, und ehrlich gesagt bleibt trotz der vielen ausverkauften Konzerte auch so gut wie kein Geld übrig. Denn wir beschäftigen Profis – Musiker, Beleuchter, Tontechniker –, und die müssen natürlich bezahlt werden. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sollen das Gefühl haben, in ein echtes Popkonzert zu gehen, mit dem einzigen Unterschied, dass die Sängerinnen und Sänger etwas älter sind. Dadurch ergibt sich im Erleben der Musik eine völlig neue Perspektive, weil aktuelle Lieder anders wirken, wenn sie von Menschen gesungen werden, die irgendetwas zwischen 70 und 93 sind.“

… seinen (anderen) Blick auf das Alter durch die Zusammenarbeit mit dem Chor: „Man merkt, dass Altwerden sicherlich beschwerlich ist, aber sich immer wieder die Möglichkeit ergibt, sich neu zu interessieren und begeistern zu lassen. Das hat mich wahnsinnig beruhigt, weil ich lange dachte, dass man im Alter automatisch schrecklich boniert wird und auf einmal alles doof findet, so nach dem Motto: Früher war alles besser. Das muss nicht zwingend so sein.“

… die Heaven-Can-Wait-Akademie: „Die Akademie ist entstanden, weil es viele ältere Menschen gibt, die auch gern aktuelle Songs singen wollen, die wir aber gerade nicht in den Chor aufnehmen können oder die noch unter 70 sind. Für die habe ich die Akademie gegründet, an der wir inzwischen auch andere Kurse anbieten, zum Beispiel einen darüber, wie man Poetry-Slams schreibt. Wichtig ist immer, dass wir etwas tun, was die Generationen verbindet, damit alte und junge Menschen im wahrsten Sinne des Wortes miteinander im Gespräch bleiben. Wir haben auch einen wunderbaren Schauspielkursus. Insgesamt sind an der Akademie in Hamburg inzwischen 80 bis 100 Menschen aktiv. Wir sind jetzt dabei, die Akademie an weitere Standorte zu bringen, damit ältere Menschen auf professionelle Weise an jüngere Kultur herangeführt werden können.“

… seine ungewöhnliche Karriere: „Ich bin beruflich als Musiker gestartet, erst in so kleinen Tingeltangel-Bands, in denen ich Tanzmusik gemacht habe. Dann kam eine Gruppe, die mich gefragt hat, ob ich nicht bei ihr einsteigen wolle? So bin ich zu Chanel Five gekommen, die viele Menschen durch den Song ‚Isn’t It You‘ kennen. Ich wurde Bühnenkünstler und danach Musikproduzent, habe mich um verschiedene Musiker gekümmert. Dadurch kam ich in Kontakt mit der Kabarettistin Sissi Perlinger, in deren Programme ich auftreten konnte. Das war eine harte, aber sehr schöne Schule, die irgendwann dazu führte, dass ich eine eigene Soloshow hatte: „Zu viel Sex ist gar nicht gesund“ spiele ich bis heute, inzwischen aber in einer Version, die zeitgemäß und meinem Alter angepasst ist.“

Entscheider treffen Haider

… seine Vision für Heaven Can Wait: „Ich möchte gern, dass der Chor ein eigener Künstler wird, das heißt, selbst Songs schreibt und nicht nur Lieder von anderen singt. Wir werden versuchen, die Weisheit des Alters in eine musikalische Form zu gießen, die so klingt, als stamme sie von jüngeren Menschen. Ich sitze gerade dran und bin sehr gespannt, wie die eigenen Songs beim Publikum ankommen werden.“